Die Sportgymnastin Nicole Müller trainiert in Fellbach, vertritt aber ihre Heimat Hamburg bei den Olympischen Spielen

Fellbach/Hamburg. Ein bisschen schwäbelt sie schon. Nach eineinhalb Jahren im Leistungszentrum in Fellbach bei Stuttgart kann Nicole Müller sich ihrer neuen sprachlichen Umgebung nicht mehr komplett entziehen. "Hin und wieder rutsche ich schon in den Dialekt rein." Dennoch repräsentiert die gebürtige Hamburgerin als Teil der deutschen Nationalmannschaft in der Rhythmischen Sportgymnastik ihre Heimatstadt sowohl bei den heute beginnenden Europameisterschaften im russischen Nischni Nowgorod als auch bei den Olympischen Spielen in London (27. Juli bis 12. August).

Ihr sportliches Handwerk lernte die 17-Jährige beim SV Nettelnburg/Allermöhe (SVNA). Bereits mit fünf Jahren fing sie mit der Rhythmischen Sportgymnastik an. "Nicole war schon immer sehr fleißig und ehrgeizig", sagt ihre ehemalige SVNA-Trainerin Olga Golecko. Ihr Schützling habe immer von der Nationalmannschaft geträumt, "dass es so schnell geht, war dann aber doch überraschend", sagt Golecko stolz. Als sich eine Teamkollegin kurz vor der Weltmeisterschaft 2011 in Montpellier verletzte, sprang Müller als Ersatz ein. Platz sechs bedeutete die Olympia-Qualifikation. Seitdem hat sich Müller mit guten Leistungen in der ersten Mannschaft festgeturnt.

Seit sie im Bundesleistungszentrum in Fellbach trainiert, muss Müller ein straffes Programm absolvieren, der Weg zur Weltspitze ist steinig. Zurzeit geht sie in die 11. Klasse, doch die Schule steht im Olympiajahr nur an zweiter Stelle. Zwar hat sie zwei bis drei Stunden Unterricht am Tag, ausschließlich in den Hauptfächern, das Schuljahr muss sie aber trotzdem noch einmal absolvieren. Bei acht bis zehn Stunden Training täglich bleibt keine Zeit für einen intensiven Schulalltag. Nach den Olympischen Spielen will sie aber auf jeden Fall ihr Abitur machen - allerdings nicht in Hamburg. Aufgrund der besseren Trainingsmöglichkeiten will sie mindestens vier weitere Jahre in Fellbach bleiben - bis zu den nächsten Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.

In Hamburg ist Nicole Müller selten. Der Kontakt zu den Freunden in der Hansestadt ist aber dank des Internets nie abgebrochen, mit Trainerin Golecko telefoniert sie oft, und von ihrer Familie wird sie regelmäßig besucht, wenn sie selbst nicht nach Hamburg kommen kann. Die Mutter wird ihre Tochter zu den Olympischen Spielen begleiten. Turnen wird Müller in London voraussichtlich die Übung mit dem Ball. "Das ist zwar nicht unbedingt mein Lieblingsgerät, aber ich komme damit am besten zurecht", sagt sie.

Da die Wettkämpfe der Rhythmischen Sportgymnastik erst ganz am Ende der Spiele stattfinden, wird Müller bei der Eröffnungsfeier nicht dabei sein können. "Das ist echt schade", sagt sie. Trotzdem freut sie sich auf das olympische Dorf und hofft auf eine Begegnung mit dem schnellsten Mann der Welt. Jamaikas Sprintstar Usain Bolt steht bei den Turnerinnen ganz hoch im Kurs. Antreten wird sie in der 12 000 Zuschauer fassenden Wembley-Arena. Eine völlig neuartige Kulisse für die Nettelnburgerin. "Aber daran denkt man im Wettkampf nicht." Aufgeregt wird sie trotzdem sein.

Allzu hohe Erwartungen stellt die Schülerin an die Wettkämpfe nicht. Sie wolle ihre Übung einfach sauber durchturnen. "Olympia ist eine Zugabe", sagt sie. Am meisten freut sich Nicole Müller kurioserweise auf die Heimfahrt. Mit der MS "Deutschland" wird sie mit der gesamten deutschen Olympiamannschaft in den Hamburger Hafen einlaufen - und dann ist sie auch endlich mal wieder zu Hause.