Gegen Frankreich 1:2 verloren, in der Schweiz 3:5 unter die Räder gekommen. Nach zwei bitteren Niederlagen 2012 ist die deutsche Fußball-Nationalmannschaft weit von einer Favoritenrolle bei der EURO in Polen und der Ukraine entfernt. Unterdessen hat Bundestrainer Joachim Löw bereits einen Tag vor der Deadline seinen endgültigen EM-Kader benannt.

Tourrettes/Frankreich. Als die Hoffnungsträger der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Südfrankreich ihre erste öffentliche Einheit im EM-Trainingslager absolvierten, befanden sich Torhüter Marc-Andre ter Stegen, Julian Draxler, Sven Bender und Cacau schon auf dem Rückflug in die Heimat. Joachim Löw hatte am Pfingstmontag dieses Quartett aus seinem vorläufigen Aufgebot gestrichen und sich bereits einen Tag vor dem Meldeschluss auf seinen 23-köpfigen Kader für die EM-Endrunde in Polen und der Ukraine (8. Juni bis 1. Juli) festgelegt. Erst am Dienstag will der Bundestrainer seine Personalentscheidung öffentlich begründen.

Zuvor hatte sich Löw lieber über seiner Fraktion von Bayern München geäußert, die über die Feiertage vom Problemfall zum Hoffnungsträger wurde. Denn ausgerechnet die Vize-Bayern sollen bei der DFB-Auswahl die Mission Titelgewinn 2012 am Leben halten und nach der 3:5 (1:2)-Pleite in Basel gegen die Schweiz ein neues Selbstwertgefühl beim EM-Mitfavoriten vermitteln.

„Ich mache mir keine Sorgen, denn wir haben noch zwei Wochen Zeit. Einige Spieler haben gefehlt, die unser Spiel prägen. Mit den Bayern-Spielern gehen wir zur Normalität über“, sagte der 52-Jährige, für den die „entscheidende Vorbereitung“ auf die EURO erst Montag mit dem Einstieg von Kapitän Philipp Lahm und Co. in den Trainingsbetrieb startete.

Der Bundestrainer zieht nun ausgerechnet all seine Hoffnung auf Besserung aus der Verstärkung durch den achtköpfigen Bayern-Tross, der nach seiner denkwürdigen Frustsaison gegen die Schweiz nicht im Einsatz und erst am Samstag an der Cote d’Azur eingetroffen war. Nachdem die Bayern eine Woche zuvor nach ihrem verlorenen Champions-League-Finale mit Bayern München gegen den FC Chelsea noch tagelang als Problemfälle mit möglichen Folgeschäden galten, werden sie nach der Blamage von Basel ohne eigenes Zutun als Heilsbringer gehandelt.

„Die Bayern haben richtig Lust auf die EM, sie versprühen Freude und wollen ihre letzte Chance in dieser Saison auf einen Titel nutzen“, sagte Sami Khedira und beschrieb seine Eindrücke von den Münchnern. Dass die Bayern nach ihren Frustwochen wieder angriffslustig sind, unterstrich auch Thomas Müller. „Wir Bayern kommen jetzt wie ein angeschlagener Boxer zur EM“, sagte der WM-Torschützenkönig und sprach Löw aus dem Herzen: „Wir haben uns nach der WM nochmals weiterentwickelt und wollen nicht immer nur Zweiter oder Dritter werden. Wir wollen jetzt endlich etwas Großes erreichen. Also müssen wir auch Mannschaften schlagen, die extrem hohe Qualität haben.“

Dazu bedarf es aber einer gewaltigen Steigerung gegenüber dem Auftritt gegen die Eidgenossen, die sich noch nicht einmal für die EM-Endrunde qualifizieren konnten. Bei der historischen Niederlage am Samstag hatte vor allem die Abwehr des vermeintlichen EM-Favoriten einen verheerenden Eindruck hinterlassen, aber auch in allen anderen Mannschaftsteilen wurden genau zwei Wochen vor dem ersten Gruppenspiel der DFB-Auswahl gegen Portugal große Defizite deutlich.

„Es gibt nun einiges aufzuarbeiten, denn es sind sehr viele Dinge passiert, die muss man noch mal in Ruhe vor sich ablaufen lassen und dann analysieren“, sagte Löw, der mit seinem Trainerstab am Pfingstsonntag den geplanten Besuch des Formel-1-Rennens in Monaco kurzfristig abgesagt und stattdessen lieber Video-Analyse betrieben hatte.

Nach der Niederlage mit den meisten Gegentoren einer deutschen Mannschaft (2004 1:5 in Rumänien) seit acht Jahren und der ersten Pleite gegen den Nachbarn seit 56 Jahren (1956 1:3 in Frankfurt) mahnte griff Khedira seinem Coach schon einmal vor: „Wir dürfen bei aller Euphorie um unser Offensivspiel unsere Defensive nicht vernachlässigen.“

Dies sei auch in Monte Carlo ein Thema gewesen, wo die Nationalelf den Großen Preis von Monaco verfolgt hatte. Dabei war auch Bastian Schweinsteiger, der ebenso wie die anderen Bayern am Donnerstag bei der EM-Generalprobe gegen Israel in Leipzig (20.30 Uhr/ARD) spielen soll. „Er lacht schon wieder und verhält sich ganz normal“, sagte Khedira über seinen etatmäßigen Partner im defensiven Mittelfeld. Nach Schweinsteigers verschossenem Elfmeter gegen Chelsea war viel über den Gemütszustand des deutschen Vizekapitäns spekuliert worden.

Spekuliert wurde zu diesem Zeitpunkt auch noch über die Streichkandidaten, die überraschend schon zu Wochenbeginn ihr Schicksal ereilte. Dass es ter Stegen nach dessen verunglückter Premiere gegen die Schweiz traf, war vorauszusehen. Draxler und Sven Bender waren ebenfalls heiß gehandelt worden, die Ausmusterung von Cacau war dagegen eine kleine Überraschung.

„Es war mein großes Ziel, nach der WM in Südafrika auch bei der EURO 2012 für die deutsche Nationalmannschaft auflaufen zu dürfen. Von Anfang an war mir klar, dass der Konkurrenzkampf um die 23 Plätze sehr hart und eng sein wird. Ich habe mein Bestes gegeben. Wie die jüngeren Spieler bin auch ich enttäuscht, aber ich fühle mich weiterhin als Teil der Mannschaft und wünsche ich ihr von ganzem Herzen, dass sie eine tolle EM spielt“, ließ der Stürmer des VfB Stuttgart über die Verbands-Homepage übermitteln. Überglücklich waren hingegen Ilkay Gündogan und Lars Bender, die ebenfalls bis zum Schluss zittern mussten.

(SID)