Das Formel-1-Team von Red Bull muss sich nach jüngsten Erfolgen verstärkt gegen Neidattacken der Konkurrenz wehren

Hamburg. Am Sitz des Automobilweltverbandes Fia in Paris türmen sich die Dossiers, das Formel-1-Gericht ist schwer beschäftigt und hat das Weltmeisterauto ins Visier genommen. Erst überprüften die Regelhüter der Fia den Frontflügel des Red Bull auf seine Biegsamkeit, neuerdings geht es um ein Verbot des angeblasenen Diffusors, eines geheimnisvollen Luftkanalsystems am Unterboden, das den Anpressdruck des Wagens auf die Piste erhöht.

Nach Sebastian Vettels vier Siegen wird arg daran gezweifelt, dass diese Saison noch spannend werden kann. Viele seiner Konkurrenten verbinden die Hoffnung auf etwas Abwechslung mit einem Eingriff der Fia. Dass Vettel seinen Titel verteidigt, scheint nicht mehr eine Frage des Piloten zu sein. Es geht nur noch darum, ob alles an seinem Auto den Bestimmungen entspricht. "Sie versuchen uns immer wieder neue Steine in den Weg zu legen. Aber das sind wohl die Schattenseiten des Erfolges", grummelt Red-Bull-Chef Christian Horner, ohne die Anschwärzer näher zu benennen. Denn ohne Protest, da ist Horner sicher, würde die Fia gar nicht erst so forsch ans Werk gehen.

Die oberste Schiedsstelle gibt sich derweil alle Mühe, dem Ruch der Parteinahme zu entkommen. Die Dachorganisation mit Jean Todt, dem ehemaligen Ferrari-Teamchef, an der Spitze zog beim vergangenen Rennen in Barcelona einen regelwidrigen Heckflügel der Scuderia aus dem Verkehr. Niemand weiß besser als Ferrari, wie es ist, am Pranger zu stehen. Das italienische Traditionsteam stand in den Weltmeisterjahren 2000 bis 2004 in Verruf, einen flexiblen und damit illegalen Flügel und allerlei elektronische Tricks zu verwenden. Nun entwickeln sich deren Nachfolger zu Buhmännern. Das Gros im Fahrerlager argwöhnt, dass Red Bull die Nase - im bildlichen Sinn - etwas zu hoch trägt.

"Ich glaube, es wäre sehr arrogant, von uns zu glauben, dass wir einen Vorteil hätten und von jetzt an mit einer Sekunde pro Runde davonziehen würden", sagt Red-Bull-Teamchef Horner vor dem Grand Prix von Monaco. Am Wochenende nach Vettels Sieg in Barcelona aber hatte Horner noch bei seinem Rennfazit genüsslich auf McLaren gezeigt. "Sie werden für das Rennen in Monte Carlo sicher etwas Neues dabeihaben, aber es ist nicht so, dass wir nichts auf Lager hätten."

Angesichts der entwaffnenden Dominanz greint die Konkurrenz. Das müsse realistisch gesehen werden, hob Michael Schumacher zu einem Rechtfertigungsversuch an. Das Entwicklungspotenzial seines Mercedes-Teams sei eben beschränkt. "Wenn die Zahl der Personen unseres Teams mit jener Red Bulls verglichen werden, ist zu sehen, dass wir in zwei verschiedenen Ligen spielen", sagte Schumacher.

Ein Seitenhieb gegen das Red-Bull-Team, das angeblich eine Vereinbarung unterlaufen habe, wonach jeder Rennstall höchstens 315 Mitarbeiter beschäftigen dürfe. In der Fabrik in Milton Keynes gebe es 550 Mitarbeiter, bestätigte Red-Bull-Berater Helmut Marko freimütig, bestritt aber, dass die Regelung in Kraft getreten sei. Es herrschte Uneinigkeit, denn wer alles soll zum Team gezählt werden?

Für Marko ist diese Spitze nur der Auswuchs einer Neiddebatte. Tatsächlich gibt es kaum einen Bereich, in dem Red Bull nicht den renommierten Teams wie McLaren, Ferrari und Mercedes das Wasser abgegraben hat. Und wie einst Ferrari entdecken die neuen Champions die Liebe zum Detail. Bei den Boxenstopps etwa helfen neuerdings den Piloten Vettel und Mark Webber Laserpointer dabei, den exakten Halteplatz für den Reifenwechsel zu finden. Das aerodynamische Konzept von Stardesigner Adrian Newey mit Frontflügel, angeblasenem Diffusor und leicht nach vorn gesenkter Karosserie gilt als stilbildend.

Den düpierten Verfolgern bleiben nur die Verweise auf glorreiche Traditionen. Kein Rennstall ist häufiger Weltmeister geworden als Ferrari, kein Rennstall hat so oft in Monte Carlo gewonnen wie McLaren, 15-mal. Diesmal werden Jenson Button, dem Sieger 2009, und Lewis Hamilton, Erster im Jahr davor, nur Außenseiterchancen zugerechnet, weil die Formation beim Start vorentscheidend ist. In der Qualifikation dominierten die roten Bullen bisher.

Diese Erfolge verantwortet Christian Horner. Er ist mit 37 Jahren der mit Abstand jüngste Formel-1-Teamchef. Doch er spürt, dass er seit ein paar Monaten sehr ernst genommen wird. "Es ist lustig, wie die eigene Zielsetzung sich verändert", sagt Horner. "Vor zwei Jahren hätten wir den rechten Arm dafür gegeben, Zweiter zu sein. Heute lautet unser Ziel: Titelverteidigung!"