Hamburgs Marathon wird zum 26. Mal am 22. Mai gestartet. Auch der erste Marathon fand 1986 an einem Mai-Sonntag statt.

Hamburg. Sonntag, 25. Mai 1986, kurz vor 9 Uhr: 7486 Läufer stehen dicht gedrängt in den drei Startblöcken des ersten Hanse-Marathons. Nervöses Hin- und Hertrippeln, manche treibt es auch noch einmal in die Büsche, der Duft von Massageöl liegt in der Luft. Dann ist es endlich so weit: Hamburgs Bürgermeister Klaus von Dohnanyi und die tschechische Läuferlegende Emil Zatopek geben gemeinsam den Startschuss ab - und schlagen damit ein neues Kapitel der internationalen Marathon-Geschichte auf.

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Auch wenn mangels finanzieller Mittel keine Weltstars wie Olympiasieger Carlos Lopez oder Weltmeisterin Grete Waitz verpflichtet werden konnten: Die Hamburger schließen den Marathon sofort in ihr Herz. Eine halbe Million Zuschauer, so schätzt die Polizei später, zieht es an die Strecke, die sich von den Messehallen über die Reeperbahn, die Landungsbrücken und den Jungfernstieg bis in die City Nord erstreckt, um über Eppendorf und Harvestehude zur Zielgeraden auf der Karolinenstraße zu führen. Knapp neun Grad beträgt die Temperatur zur Startzeit, im Laufe des Tages steigt sie bis auf 16,2 Grad - ideales Laufwetter, auch wenn Sieger Karel Lismont später erklärt, auf den letzten Kilometern habe ihm der Gegenwind etwas zu schaffen gemacht. Die meisten Läufer und vor allem die Zuschauer stört das kaum. Sie genießen den Sonnenschein, die klare Luft und das Abenteuer Stadtmarathon. "Wir wissen, dass wir gemessen werden an Vorbildern in anderen deutschen Großstädten", hatte Organisationschef Wolfgang Kucklick, damals 1. Vorsitzender des Hamburger Leichtathletik-Verbandes, im Vorfeld eingeräumt. Und tatsächlich blickte an diesem Maisonntag die bundesdeutsche Laufwelt mit großer Spannung nach Hamburg. Wird es gelingen, vom Start weg in einer Liga mit Berlin, Frankfurt und München zu spielen? Und welche Auswirkungen auf die Größe des Teilnehmerfeldes hat der am gleichen Tag ausgetragene und gut etablierte Bremen-Marathon? Die Antwort: Alles geht noch besser, als es selbst kühnste Optimisten erwartet haben. Der Hanse-Marathon, 16 Monate lang akribisch vorbereitet, schafft aus dem Stand den Sprung an die deutsche Marathonspitze und muss sich in Sachen Teilnehmerzahl nur Berlin geschlagen geben. Die Bremer Konkurrenz verliert erst viele Läufer, gerät dann in finanzielle Schieflage und gibt Anfang der 90er-Jahre schließlich auf.

Auch wenn bei der Premiere trotz exzellenter äußerer Bedingungen keine absoluten Weltklassezeiten gelaufen werden, in der "leistungsorientierten Breite" ist Hamburg bestens aufgestellt. Das wird besonders deutlich beim Vergleich der gelaufenen Zeiten 1986 und 2009. Zwar hat sich die Zahl der ins Ziel Gekommenen von 6957 auf 13 943 mehr als verdoppelt, aber dieser Zuwachs betrifft vor allem den Bereich der Gelegenheitsläufer, die keine Bestzeiten erzielen, sondern in erster Linie ankommen wollen. Schaffen es 1986 noch 16 Prozent der Läufer, unter die magische 3-Stunden-Grenze zu kommen, sind es 2009 nur noch 2,9 Prozent. Unter vier Stunden bleiben 1986 unglaubliche 83 Prozent, 2009 ist es mit lediglich 44 Prozent weniger als die Hälfte der Starter. Zahlen, die keinen Zweifel daran lassen, dass der Marathonlauf sich zum Massenphänomen entwickelt hat und leistungssportliche Aspekte in den Hintergrund getreten sind. Das zeigt sich auch bei der Betrachtung der damals und heute besonders populären Laufliteratur. 1986 ist Manfred Steffnys "Marathon Training" die unangefochtene Nummer eins. Hier finden sich Pläne für Endzeiten zwischen 2 Stunden 20 Minuten und 3 Stunden 59 Minuten. Wer länger als vier Stunden für die 42,195 Kilometer braucht - 2009 mehr als die Hälfte des Teilnehmerfeldes - wird nur am Rande mit einigen Warnhinweisen bedacht und muss sich sagen lassen, mit einer solchen Endzeit sei er eigentlich kein Marathonläufer. Heute hingehen dominieren die Hauptsache-ankommen-Ratgeber, die ihr Hauptaugenmerk darauf legen, mit wie wenig wöchentlichem Zeitaufwand ein Marathon zu schaffen ist.

Natürlich hat sich mit steigenden Teilnehmerzahlen auch der organisatorische Aufwand verändert. Wolfgang Kucklick, damals hauptberuflich Chef des Kriminalkommissariats St. Pauli, leitete den Hamburg-Marathon von 1986 bis 1996 ehrenamtlich und bekam lediglich drei Tage Sonderurlaub - mit dem strengen Hinweis, das könne aber "nicht jedes mal so gehen". "Ich habe wenig geschlafen", erinnert sich der heute 76-Jährige. "In der heißen Phase mussten maximal vier Stunden pro Nacht reichen."

Möglich wurde die Durchführung dieser Großveranstaltung insbesondere durch die Unterstützung des Betriebssportverbandes und der großen Hamburger Leichtathletik-Vereine, deren Mitglieder die zahlreichen Verpflegungsstationen an der Strecke besetzten. Sie schälten Tausende Bananen, füllten Zehntausende Wasserbecher und reichten den erschöpften Läufern feuchte Schwämme. Ein Engagement, das längst Tradition hat und immer noch unersetzlich ist. "Auch die Stadt hat uns damals alle Tore geöffnet", erinnert sich Kucklick. "Der Marathon war 1986 von offizieller Seite gewollt." Daran hat sich bis heute nichts geändert, ebenso wenig wie an Kucklicks emotionaler Bindung an sein "Baby". Wenn an diesem Sonntag um 9 Uhr der Startschuss ertönt, wird er deshalb mit seiner Frau als Zuschauer wieder dabei sein - und gemeinsam mit den erwarteten 850 000 Fans an der Strecke die unvergleichliche Atmosphäre dieses Stadtmarathon-Klassikers live erleben.

Interessante Punkte an der Strecke