Die Schwergewichts-Boxweltmeister Wladimir Klitschko und David Haye werben für ihr Duell am 2. Juli in der Imtech-Arena

Hamburg. Wladimir Klitschko hatte die Hände tief in den Taschen seiner hellgrauen Anzughose vergraben und starrte den Mann mit den eng an den Kopf geflochtenen Rastazöpfen mit ausdrucklosem Blick an. Zu gern hätte man Gedanken gelesen in diesem Moment, denn später, als er gefragt wurde, was ihm im Kopf herumgegangen sei während des Blickduells, da packte der Ukrainer wieder den altbekannten Spruch aus von den Augen, die der Spiegel der Seele sind, und sagte: "Ich habe heute wieder viel über David Haye gelernt." Zeit dazu hatte er ausreichend gehabt, denn der Staredown, wie das obligatorische Gegenüberstellen zweier Profiboxer vor einen Kampf genannt wird, war so lang gewesen wie nie zuvor bei einem Klitschko-Kampf.

Zwei Minuten und 50 Sekunden, fast so lang wie eine Runde im Ring dauert, hatten sich die beiden Kontrahenten, die am 2. Juli in der Imtech-Arena zum weltweit herbeigesehnten Schwergewichts-Showdown aufeinandertreffen, auf einem vor der Osttribüne aufgebauten Podium mit den Augen duelliert. Hätte nicht Hayes Trainer und Manager Adam Booth ein weißes Blatt Papier ins Sichtfeld geschoben und damit den Augenkontakt unterbrochen, dann wäre der Anstoß des Bundesligaspiels zwischen dem HSV und Borussia Mönchengladbach am Sonnabend ernsthaft in Gefahr geraten. Wer zuerst wegschaut, verliert - das ist ein im Profiboxen verbreiteter Aberglaube.

Wenn es stimmt, dass die psychologische Kriegsführung vor dem Kampf Hinweise auf den späteren Sieger gibt, dann muss man nach den "Kampfhandlungen" von gestern auf ein Unentschieden tippen. Es ist aber auch nicht leicht für die Protagonisten, die Spannung aufrechtzuerhalten, denn ihre Aufeinandertreffen auf eilig zusammengezimmerten Podien in Fußballarenen oder Konferenzräumen haben mittlerweile fast den Charakter einer Dauerwerbesendung. Seit mehr als zwei Jahren wird über das Zustandekommen des Duells zwischen dem ukrainischen Champion der Verbände IBF und WBO und dem britischen WBA-Weltmeister verhandelt. Haye, ein cleverer und rhetorisch begabter Südlondoner mit dem marketingwirksamen Habitus eines Rüpels, hatte nach seinem Aufstieg aus dem Cruiser- ins Schwergewicht die Klitschko-Brüder Wladimir, 35, und Vitali, 39 und WBC-Weltmeister, mit einem T-Shirt beleidigt, das ihn mit den abgeschlagenen Köpfen der beiden in seinen Händen zeigt.

Im Frühjahr 2009 kündigte man unter Austausch gegenseitiger Unhöflichkeiten auf gemeinsamen Pressekonferenzen in Gelsenkirchen, London und New York an, sich auf einen Kampf in der Arena Auf Schalke geeinigt zu haben. Drei Wochen vor dem geplanten Juni-Termin zog Haye wegen einer angeblichen Rückenverletzung seine Zusage zurück. Seitdem wird verhandelt und gepöbelt, wo es nur geht. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen, wer das Zustandekommen des Kampfes bislang torpediert habe, füllten in den krawalligen englischen Boulevardblättern viele Seiten. Diesmal allerdings, das betonten beide Boxer gestern, meinen sie es wirklich ernst mit ihrer Verabredung. "Wenn es diesmal auch nicht klappt, glaubt uns niemand mehr, dass wir den Kampf wollen", sagte Klitschko, der am Sonntag sein Trainingscamp wie gewohnt im Stanglwirt in Going (Tirol) aufschlagen wird.

Der großspurige Brite, der um 12.15 Uhr mit einem VW-Multivan vorm Spielereingang der Arena angekommen war, bemühte sich einmal mehr nicht im Ansatz, Respekt für Klitschko aufzubringen. "Ich respektiere ihn als Menschen nicht und auch als Athleten nicht. Seine Karriere ist künstlich gemacht worden, seine Gegner waren nur fette Säcke, die abkassieren wollten. Ich werde ihn zerstören und seinen Kopf aus dem Ring schlagen", sagte er.

Haye wird in London seine vielleicht vorletzte Vorbereitung absolvieren, denn er bekräftigte, seine Karriere am 13. Oktober, seinem 31. Geburtstag, beenden zu wollen. "Ich habe das schon 2002 versprochen, und ich habe einen Plan. Ich werde am 2. Juli Wladimirs Karriere zerstören. Danach wird sein Bruder die Familienehre wieder herstellen wollen. Ihn knocke ich auch aus und bin unangefochtener Weltmeister. Was soll dann noch kommen?"

Klitschko sagte, er wolle auf derartige Beleidigungen nicht mehr eingehen. "Irgendwann hat man solche Attacken satt. Ich werde meine Gefühle für David in meine Fäuste stecken und diese fliegen lassen. Und dann werde ich in meiner Heimat Hamburg ein Jubiläum feiern: meinen 50. K.-o.-Sieg!"

Zum Ende der gestrigen Auflage ihrer Comedyshow, die schon heute in London ihre Fortsetzung findet, trafen sich die Streithähne noch einmal im Mittelkreis, wo die erbarmungslos brennende Sonne nicht gerade zur Kühlung der Gemüter beitrug. Ein paar giftige Worte hier, einige abfällige Gesten dort, dann hatten die rund 50 TV- und Fotojournalisten ihre Bilder gemacht. Es folgten Interviewmarathons vor TV-Kameras, Radiomikrofonen und Printreportern, die in teils abgewandelten, teils schon oft gehörten Worten die gegenseitige Ablehnung unterstrichen.

Als Haye unter der Ankündigung, er sterbe vor Hunger, als Erster den Rasen verließ, würdigten sich die Sportler keines Blickes. Aber gestarrt worden ist nun auch mehr als genug. Am 2. Juli müssen Taten folgen.