Der Buxtehuder SV spielt gegen den Thüringer SC um die Meisterschaft. Gespräch mit Torhüterin Jana Krause und Trainer Dirk Leun.

Buxtehude. Am Sonnabend hat Jana Krause ihre Großeltern aus Bayern zu Besuch. Sie wollten die Nationaltorhüterin schon immer mal bei einem Handballspiel des Buxtehuder SV erleben. Nun ist es gleich das Finalhinspiel um die deutsche Meisterschaft gegen den Thüringer HC geworden (19.30 Uhr/live im Internet bei bsv-live.tv). Das treffe sich gut, denn ein bisschen Zerstreuung schade nicht vor dem größten Spiel der Vereinsgeschichte, sagt Krause, 23. Ihr Trainer Dirk Leun, 47, wird den Tag vielleicht nutzen, um seine Wohnung zu putzen: "Dabei kann ich mich ablenken."

Hamburger Abendblatt: Wie wird man deutscher Meister, Frau Krause?

Jana Krause: Der Glaube daran ist das Wichtigste. Dass wir es können, haben wir hinlänglich bewiesen. Den Pokal überreicht zu bekommen ist einfach unbeschreiblich. Ich habe in den vergangenen Tagen öfter an meine beiden Meistertitel mit dem 1. FC Nürnberg gedacht, besonders an den letzten 2008. Ich versuche den anderen auch klarzumachen, was für eine Chance wir da haben. Den Titel "deutscher Vizemeister" schreibe ich mir jedenfalls nicht auf die Autogrammkarte.

Dirk Leun: In so einem Endspiel sind es der Wille, die Leidenschaft, die Leidensfähigkeit auch, die entscheiden. Thüringen geht sicher als Favorit in die Finalspiele und hat unseren Respekt verdient. Sie haben den qualitativ besten Kader, mit jungen, aufstrebenden Kräften und international erfahrenen Spielerinnen, dazu einen Trainer, der es versteht, eine Mannschaft mitzureißen. Wir konzentrieren uns aber auf unsere Stärken. Es gibt wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Wenn wir den Traum vom Titel wahr werden lassen wollen, muss jede Spielerin an ihre Bestleistung herankommen und wir als Team über das hinausgehen, was wir bisher als unsere Grenze gekannt haben. Wir wissen, dass Menschen in Extremsituationen dazu in der Lage sind. Die Mannschaft ist bereit dazu, das merkt man.

Das klingt nach einem ungleichen Duell.

Leun: Ich habe schon nach unserer klaren Niederlage in Thüringen gesagt: Mit deren Mannschaft würden sicher viele Trainer deutscher Meister werden. Das ist durchaus nicht als Kritik an Herbert Müller gemeint, den ich als gewieften und sehr guten Kollegen schätze. Aber Thüringen ist handballerisch erstklassig besetzt. Wir müssen andere Wege finden, um das auszugleichen: Teamgeist, eine harte und bewegliche Abwehr, gute Torhüterinnen.

Schauen Sie sich lieber Frauen- oder lieber Männerhandball an, Frau Krause?

Krause: Ich schaue mir gern und viel Männerhandball an. Aber wenn man ehrlich ist, ist es sehr von Einzelaktionen dominiert, viel geht über Kraft. Bei uns steht das Zusammenspiel eher im Vordergrund. Wir haben jedenfalls bewiesen, dass wir schönen Handball spielen können.

Leun: Wir sind in Deutschland im Männerhandball vielleicht etwas verwöhnt, weil die Bundesliga mit das höchste Niveau weltweit versammelt. Der Frauenhandball hat aber meines Erachtens hinsichtlich Teamgeist, Leidenschaft und Zusammenspiel mehr zu bieten. Das macht es aus meiner Sicht attraktiver als den Männerhandball, in dem eine starke Tendenz hin zu Kraft und Individualität festzustellen ist.

Bei den Fernsehsendern ist diese Einsicht offenbar noch nicht angekommen. Ihr Sport findet kaum statt.

Krause: Große Turniere sind die Ausnahmen. Umso schmerzlicher, dass es bei der EM im Dezember ein Debakel gab (Deutschland schied in der Vorrunde aus; die Red.). Wenn Frauenhandball irgendwann im Fernsehen stattfinden soll, muss die Nationalmannschaft konstant Höchstleistungen abliefern.

Leun: Wir waren vor zwei Jahren kurz davor, ein Bundesliga-Magazin auf Sport1 zu bekommen. Leider ist der Sponsor kurzfristig abgesprungen. Ziel des Verbands muss sein, in zwei bis drei Jahren mindestens ein Livespiel pro Monat ins Fernsehen zu bekommen.

Die meisten Spielerinnen sind nebenher berufstätig oder studieren. Würden Sie eine Professionalisierung befürworten?

Krause: Es wäre wohl kaum möglich, mit dem Sport für später auszusorgen. Das können vielleicht Stars bei den Männern wie Pascal Hens oder Johannes Bitter, wenn sie gut wirtschaften. Für einen normalen Bundesligaspieler gilt das auch nicht.

Leun: Ich habe großen Respekt vor meinen Mädels, die neben ihrem Job noch achtmal die Woche trainieren. Was die reinen Trainingszeiten angeht, lässt sich das meist noch organisieren. Aber bei denen, die arbeiten oder eine Ausbildung machen, kommen die Regenerationszeiten zu kurz. Und doch ist es gut, dass sich die Spielerinnen um ihr späteres Leben kümmern. Ich glaube sogar, dass ein gewisser geistiger Abstand zum Handball notwendig ist, um Höchstleistungen zu bringen.

Auch wenn es international einen Wettbewerbsnachteil bedeutet, etwa im Vergleich zu norwegischen Profiteams?

Leun: Der Leistungsunterschied liegt wohl eher in der Methodik begründet. Die Norweger setzen andere Schwerpunkte im athletischen Bereich. Wir in Deutschland sollten darüber nachdenken, ob wir die Trainingszeit anders, effektiver nutzen können. Dadurch, dass den Klubs die großen finanziellen Mittel fehlen, um Topspielerinnen zu kaufen, sind wir darauf angewiesen, den eigenen Nachwuchs auszubilden. Darin liegt auch eine Chance.

Wie viel Spielraum nach oben hat Ihre Mannschaft noch?

Leun: Wir haben viele junge Spielerinnen, die sich weiterentwickeln können. Aber wir verlieren einige Leistungsträgerinnen wie Debbie Klijn und Janne Wode. Angesichts des Erreichten und der Aufgaben, die vor uns liegen - egal ob Champions League oder Qualifikation -, sollten wir über Verstärkungen nachdenken, zumindest am Kreis. Der geplante Kader reicht nicht aus, um ein Spitzenteam zu bleiben und den Belastungen, die Champions League, Bundesliga, Pokal und Nationalmannschaft fordern werden, standzuhalten.

Hat Manager Peter Prior die Botschaft gehört?

Leun: Ich bin Realist. Wenn der Verein sagt, es geht nicht, vertraue ich darauf. Wir sind einer der wenigen in Deutschland, die alle Gehälter pünktlich zahlen. Das wissen wir sehr zu schätzen und ist auch leistungsfördernd. Aber ich sehe es als Aufgabe des Managements, den Erfolg langfristig zu sichern.

Vom zurückgetretenen Bundestrainer Rainer Osmann heißt es, er sei auch an mangelnder Erfahrung mit Frauenteams gescheitert. Wie ist das zu verstehen?

Krause: Männer können sich im Training anzicken, und danach ist es gegessen. Bei Frauen wirken Konflikte oft in den persönlichen Bereich hinein.

Leun: Ich habe schon erlebt, dass zwei Spielerinnen vier Wochen nicht miteinander gesprochen haben wegen einer Banalität, über die Männer lachen würden. Frauen haben aber andere Qualitäten. Sie können Emotionen bewusst leben, sie sind bereit, alles zu geben. Man muss sie anders ansprechen, auf martialische Kampfansagen oder Kraftausdrücke, mit denen sich Männer starkmachen, reagieren sie nicht. Aber es gibt auch andere Gefahren im Umgang mit einer Frauenmannschaft - gerade einer Nationalmannschaft. Hinsichtlich der Werte und Normen, die da gelten, wurde vieles unterschätzt. Sie hat bei der EM nicht funktioniert, weil die Akzeptanz, der gegenseitige Respekt im sozialen Gefüge fehlte.

Krause: Es war erschreckend, das am Fernseher zu sehen. Da stand kein Team auf dem Feld. Das Spiel gegen die Ukraine war zum Fremdschämen.

Haben die Mannschaft und der neue Bundestrainer Heine Jensen die Lektion verstanden?

Krause: Beim Lehrgang im April war eine Aufbruchsstimmung spürbar - zum ersten Mal, seit ich bei der Nationalmannschaft bin. Wir haben die EM aufgearbeitet, da sind auch Tränen geflossen. Die Grüppchenbildung, die vorher stark ausgeprägt war, fand nicht mehr statt. Es sind jetzt die richtigen Persönlichkeiten in der Mannschaft. Es mag tolle Handballerinnen geben, die aber menschlich nicht für den Teamsport geeignet sind. Das wurde lange übersehen.

Leun: Eine Nationalspielerin sagte, sie sei in den letzten Jahren nur gemobbt worden. Wichtig ist, dass die Spielerinnen wieder das Vertrauen des Trainerteams und den Respekt untereinander spüren. Es darf niemand mehr Angst haben, zur Nationalmannschaft zu gehen. An mangelnder Qualität lag es bei der Europameisterschaft nicht.