Vor 40 Jahren zog das große Geld in den Hamburger Amateurfußball ein. Die Mäzene haben die Szene bis heute nachhaltig verändert

Hamburg. Sicher kennen Sie auch das Gefühlskarussell, das sich zu drehen beginnt, wenn man ein altes Foto, einen Brief oder auch einen Fußballbericht aus dem Abendblatt in die Hände bekommt. Plötzlich scheinen die 30 oder 40 Jahre wie weggeweht, die dazwischen liegen. Man ist wieder mitten drin, als sei alles erst gestern gewesen.

Eigentlich ging es um meine Winterreifen. Aber Konrad Kosmalla, der Chef des Reifendienstes und seit 33 Jahren in der Leitung der Fußballsparte des VfL Pinneberg, reichte mir lächelnd den Bericht aus dem Abendblatt. „Die Reichen und die Armen“ stand darüber und darunter mein Name. „Innerhalb des prallgefüllten Fußballprogramms stand am Sonntag ein ganz besonderes Schauspiel auf dem Spielplan“, hatte ich vor 40 Jahren geschrieben. „Die Reichen und die Armen“ hätte es heißen können oder noch treffender „Der Aufstand der Armen“. Denn für die größte Sensation im Hamburger Fußball sorgte ein ganz Kleiner. Die Bezirksligamannschaft des DJK Hamburg schlug den Hummelsbütteler SV mit 3:1.

Konrad Kosmalla hatte ein Tor zu dem Sieg beigetragen. Über den hat sich damals ganz Fußball-Hamburg gefreut. Denn bei Hummelsbüttel war der Immobilien-Unternehmer Peter Bartels mit prall gefüllter Brieftasche angetreten, um sein eigenes Erfolgskapitel bei den Amateuren zu schreiben. Wolfgang Wellnitz hatte er vom FC St. Pauli in seine Bezirksliga-Mannschaft gelockt. Später sind selbst HSV-Größen wie Peter Hidien und Georg „Schorsch“ Volkert dem Ruf und dem Geld des netten Herrn Bartels gefolgt, der Hummelsbüttel bis in die Regionalliga brachte.

Nun hat es immer schon betuchte Fußballfreunde gegeben, die Spieler und Vereine unterstützten. Mit Peter Bartels aber betrat eine Spezies die Szene, für die ein Fußballteam ein Spielzeug für große Jungen ist. „Es macht einfach Spaß, eine Mannschaft neu aufzubauen und von ganz unten nach oben zu bringen“, bekennt Olaf Ohrt, nicht nur Sponsor sondern auch Trainer des VfL 93, der sich auch mit ehemaligen Profis auf den Weg nach oben gemacht hat. „Unsere Siege erlebe ich heute viel genüsslicher als früher als Spieler. Und ich muss gestehen, mit der Mannschaft und beim Fußball bleibe ich jung.“ Für seinen VfL 93, mit dem er gerade in die Landesliga aufgerückt ist und von der Regionalliga träumt, hat Olaf Ohrt gerade den ehemaligen St.-Pauli-Star Marius Ebbers verpflichtet, und für St.-Pauli-Kapitän Fabian Boll soll er auch schon ein Trikot zurückgelegt haben.

Nun ist viel und wird noch immer hitzig darüber gestritten, ob die kleinen Abramowitschs des Amateurfußballs den Vereinen wirklich nutzen oder ihnen am Ende doch nur schaden? Der Hummelsbütteler SV hat im vergangenen Jahr seine Fußballsparte abgemeldet. Aber dass auch bei den Amateurkickern der Rubel rollt, ist ja längst kein Thema mehr.

In der Rückbesinnung auf 40 Jahre an den Seitenlinien des kleinen Fußballs taucht ein anderes Spiel in meiner Erinnerung auf, auch aus den 1970er-Jahren: Curslack-Neuengamme, der Emporkömmling aus den Vierlanden gegen den traditionsreichen Lokalrivalen Bergedorf 85. Das Spiel hatte Curslack extra ins alte Billtalstadion verlegt, und mehr als 3000 Zuschauer machten Stimmung gegeneinander. Abendblatt-Kollege Rüdiger Kahl erinnert sich, dass Curslack 1:0 gewann. Er muss es wissen, denn er stand bei Bergedorf im Tor.

Das Ereignis markiert einen Wendepunkt in der Hamburger Kickerszene, weil es eines der letzten großen Lokalderbys war. Die Leidenschaften des Fußballs entwickelten sich in den Straßenkämpfen der Jungen und fanden ihre Höhepunkte in den Orts- und Stadtteilduellen der Vereine. Als Kinder traten sie beim Harburger TB, dem SC Victoria oder Altona 93 ein und kämpften oft mit 50 oder 60 Jahren noch immer zusammen. Das ist aus und vorbei. Gefragte Spieler erinnern sich am Ende oft selbst nicht mehr, welche Vereinstrikots sie schon alle getragen haben.

Vom Fußball in Bergedorf ist auch eine Szene unvergessen geblieben, für die Günther Meier gesorgt hatte. Ich habe ihn als freundlichen Mann in Erinnerung, der meist mit einem Regenschirm am Spielfeldrand auftauchte. Mit diesem Schirm hat er einst Schiedsrichter Hans-Joachim Osmers kräftig bekannt gemacht, weil der seinen Sohn ungerecht behandelt hatte. Norbert Meier hat es später in der Bundesliga bei Werder Bremen zum Nationalspieler gebracht und zuletzt als Trainer von Fortuna Düsseldorf seinen Weg gemacht.

Ich erzähle diese Geschichte auch nur, damit nicht vergessen wird, es hat auch emotional Ausschreitungen gegeben, bevor die Türken und Griechen, Afrikaner und Kroaten den Hamburger Fußball veränderten. Ohnehin hatte ich immer eine differenzierte Einstellung, wenn mal wieder über die undisziplinierten Ausländer geschimpft wurde. Ich hatte da meine eigene Erfahrung.

Als kleiner Dorfjunge im Westerwald nahm mich mein Onkel häufiger zum Fußball mit. Der war Torwart, und ich war stolz, wenn ich neben ihm am Pfosten stehen durfte. Einmal rannte mein Onkel aus dem Tor, aber der Stürmer schob den Ball an ihm vorbei. Als der auf das Tor zu rollte, habe ich meinem Onkel beigestanden und ihn weggeschossen. Der Schiedsrichter entschied, der Regel entsprechend, das sei kein Treffer gewesen. Der Stürmer war ganz anderer Meinung. Entschieden wurde der Streit, als der Gegner den Mann in Schwarz am Kragen packte, zum nahen Bach schleifte und seinen Kopf unter Wasser drückte. Noch heute höre ich den Schützen, als er den Kopf des Schiedsrichters aus dem Wasser nahm, durch die Zähne pressen: „War das jetzt ein Tor oder nicht?“

Die Emotionen auf dem Spielfeld kochten eben schon hoch, lange bevor die Gastarbeiter seit den 70er-Jahren auch im Fußball kräftig mitmischten.

Norbert Scheid, 70, arbeitete von 1981 bis 1986 in der Sportredaktion des Abendblatts