Turbulente Schlussphase nach dem Ausschluss des insolventen FC Oberneuland. HSV II und St. Pauli II sind gerettet, Victoria kann hoffen

Hamburg. Eine Krankenkasse, die bereits im März einen Insolvenzantrag gegen den Bremer Fußballverein FC Oberneuland eingereicht hatte, und das Amtsgericht Bremen, das am 14. Mai das Insolvenzverfahren eröffnete, haben für einen sportlich wohl einmaligen Akt in der Geschichte der Regionalliga Nord gesorgt: Die komplette Tabelle der vierthöchsten Spielklasse musste nach dem 32. Spieltag neu berechnet werden. Damit steht der Hamburger Aufsteiger SC Victoria, der beide Partien gegen Oberneuland verloren hatte, plötzlich auf dem rettenden 15. Platz. Der HSV II und der FC St. Pauli bleiben in der Liga. "Ich bin unendlich erleichtert", sagte HSV-Trainer Rodolfo Cardoso. "Vor ein paar Wochen waren wir schon am Ende."

Nach der 1:3-Niederlage am vergangenen Mittwoch gegen den HSV II hatte sich Victorias Trainer Lutz Göttling noch ausweichend zum Fall Oberneuland geäußert und von "Spekulationen" gesprochen. Am Freitag um 17.44 Uhr war die Sanktionierung dann amtlich. In einer zwölfzeiligen Pressemitteilung mit dem Betreff "Insolvenzverfahren des FC Oberneuland" teilte der Norddeutsche Fußball-Verband (NFV) mit, der Bremer Stadtteilclub stehe als zweiter Regelabsteiger neben dem VfB Lübeck fest. Alle Spiele mit seiner Beteiligung seien annulliert.

Die Reaktionen fielen unterschiedlich aus. Havelse (minus ein Punkt) freute sich über Rang eins mit zwei Punkten Vorsprung, der auf Platz zwei verbannte Traditionsclub Holstein Kiel (minus sechs) schaltete vorsichtshalber wegen "unzureichender Informationspolitik des NFV" den renommierten Sportjuristen Christoph Schickhardt ein. Er wird wohl nicht tätig werden. Denn am Sonnabend besiegte Kiel Havelse mit 2:1 und holte den Liga-Titel.

Der SC Victoria feierte am Tag nach der Entscheidung mit einem 2:1 in Flensburg seinen ersten Auswärtssieg. Doch weil der HSV II nach zweimaliger Führung nur 2:2 gegen Wilhelmshaven spielte, ist der Klassenerhalt noch nicht perfekt. Wilhelmshaven belegt mit 27 Punkten Platz 16 hinter Victoria (30 Zähler), das aber ein deutlich schlechteres Torverhältnis aufweist. Die letzte Chance für den SVW ist ein Heimsieg im Ligafinale an diesem Sonnabend gegen Oldenburg bei einer gleichzeitigen Niederlage Victorias in Kiel.

Doch die Vorgänge werfen die Frage auf, was eine Saison wie diese überhaupt wert ist. "Uns hilft diese Entwicklung in der Tabelle, aber als Sportler bin ich darüber schockiert. Für den Fußball ist das ein schwarzer Tag", sagte Victoria-Trainer Göttling. "Ich verstehe nicht, warum ein Verein, der seit Jahren so gewirtschaftet hat, wie Oberneuland es offensichtlich tat, überhaupt für die Regionalliga zugelassen wurde." Die Folgen gleich zweier Insolvenzen in dieser Saison lassen sich gut am Beispiel des SV Wilhelmshaven beschreiben, der jetzt vom Sturz in die Landesliga bedroht ist, da er keine Lizenz für die Oberliga beantragt hat. Sechs Punkte waren dem Verein bereits kurz vor Saisonbeginn wegen Unregelmäßigkeiten beim Transfer von Sergio Sagarzazus im Jahr 2007 abgezogen worden. Doch auch ohne diesen Fauxpas wäre Wilhelmshaven längst gerettet - wenn die beiden Siege gegen Oberneuland und die vier Punkte gegen den VfB Lübeck in der Endtabelle auf der Habenseite stehen würden.

Dementsprechend nahm SVW-Trainer Christian Neidhardt gegenüber der "Wilhelmshavener Zeitung" schonungslos Stellung - und schoss sich auf den NFV ein. "So macht Fußball einfach keinen Spaß. Die Herren müssen sich fragen, ob sie bei der Lizenzvergabe alles richtig gemacht haben. Wir haben unsere sportlichen Hausaufgaben gemacht." Beim Norddeutschen Verband müsse man sich nun warm anziehen. Sollte Wilhelmshaven gegen die Entscheidung klagen, ist davon auszugehen, dass der SC Victoria wohl ebenfalls vor die Gerichte zieht.

Juristisch scheint die Sache auf den ersten Blick klar zu sein. In der Spielordnung des NFV regelt Paragraf 6, Absatz 9 (Staffelstärke, Auf- und Abstieg) den sofortigen Regelabstieg eines Vereins, sofern über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Paragraf 14, Absatz 1 (Spielwertung in besonderen Fällen) lässt eigentlich keine Zweifel an der Verbandsentscheidung im Fall Oberneuland zu: "Scheidet eine Mannschaft vorzeitig aus dem Wettbewerb aus, so werden alle von ihr bereits ausgetragenen Spiele nicht gewertet."

In der Begründung seiner Entscheidung bezieht sich der NFV allerdings auf Paragraf 6, Absatz 9 der eigenen Spielordnung und auf Paragraf 6 der Spielordnung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Letzteres könnte einen möglichen Ansatzpunkt für eine Klage darstellen, da die Spielordnung des DFB mit eine Sonderregelung (Paragraf 55a) enthält, in der es heißt: "Scheidet ein Verein während des laufenden Spieljahres aus der Meisterschaftsrunde aus, so sind seine bisher ausgetragenen Spiele (...) entsprechend ihrem Ausgang zu werten, wenn das Ausscheiden im Zeitraum der letzten fünf Meisterschaftsspiele erfolgt."

Diese Regelung gilt zwar für die Dritte Liga, aber die Argumentation könnte "Bundesrecht schlägt Landesrecht" lauten - in einem Prozess, der erst vor dem NFV, dann vor dem DFB und vielleicht sogar vor zivilen Gerichten ausgefochten wird. Die neue Saison wäre in einem solchen Fall vermutlich längst angepfiffen.