In den Weiten der Nationalparks tun sich riesige Gletscherwelten auf, samt Bären, Elchen und Wölfen. Eine Entdeckungstour durch Alaska.

Drei Dinge braucht ein Bär: „Fressen, Schlafen, Sex. An Menschen ist er nicht interessiert“, sagt Gary Porter und beruhigt so die Touristentruppe, die er an diesem Morgen durch den Katmai Nationalpark führt. Allerdings müsse man schon Respekt vor den großen Tieren haben. Schließlich seien wir hier nicht im Zoo, sondern mitten im Bärenland.

Natur pur, Abenteuer inklusive – diese Versprechen löst Alaska ein. Der Denali – auch Mount McKinley genannt – ist mit mehr als 6000 Metern der höchste Berg der USA, in den acht Nationalparks tun sich endlos scheinende Gletscher- und Eiswelten auf. Der Bundesstaat im äußersten Nordwesten Nordamerikas ist riesig, knapp fünfmal so groß wie Deutschland. Von den etwa 680.000 Einwohnern leben ungefähr die Hälfte in Anchorage, in der Hauptstadt Juneau nur knapp 30.000. „The Last Frontier“ – die letzte Grenze, die letzte große Wildnis – heißt es auf den Autoschildern.

Bis auf 20 Meter kommen Touristen im katmai Nationalpark den Bären
Bis auf 20 Meter kommen Touristen im katmai Nationalpark den Bären © Karin Franzke | Karin Franzke

Genau in diese Wildnis hat uns ­Gary – in dieser hemdsärmeligen Gegend nennt man sich beim Vornamen – mit seinem Wasserflugzeug gebracht. Knapp 80 Minuten dauert der Flug von dem kleinen, hübschen Ort Homer über eine spektakuläre Landschaft mit schneebedeckten Bergen, tiefblauen Fjorden, Gletschern und Seen. Sanft setzt die zwölfsitzige Otter in einer geschützten Bucht auf. Hohe Watstiefel schützen uns vor nassen Füßen, als wir an Land gehen. Auf Trampelpfaden folgen wir dem Piloten und Guide, der seit 25 Jahren Touristen begleitet. Übrigens hat er nie eine Waffe dabei, auch kein Bärenspray, beides ist in diesem geschützten Gebiet verboten. „Im Katmai Nationalpark finden die Bären immer genug zu fressen. Ich garantiere, dass ihr tolle Fotos machen könnt.“ Kaum hat er den Satz ausgesprochen, bedeutet uns Gary: hinsetzen. Was von Weitem wie eine grasende Kuh aussieht, ist ein großer Braunbär.

Bären zu beobachten braucht Geduld. Gemächlich zieht das Tier von einem Grasbüschel zum anderen, während Gary Anekdoten erzählt: Wie ein Bär ihn beim Angeln überrascht hat, wie die Tiere Lachse aus dem Fluss fischen, wie die Mütter ihre Kleinen verteidigen. Entspannt hockt der 60-Jährige zwischen blau blühenden Lupinen, isst sein Sandwich, raucht ein Zigarillo. Als der Bär auf etwa 30 Meter herankommt, scherzt Gary: „Ich rette erst einmal mich, um die Überlebenden auszufliegen.“ Ganz so locker nimmt er seinen Auftrag dann aber doch nicht. Er hat immer ein Auge auf das etwa sieben, acht Jahre alte Männchen gerichtet, das langsam hinter einem großen Gebüsch verschwindet. Uns Menschen hat es keines Blickes gewürdigt.

Austin Robel, 33, fliegt Touristen regelmäßig zu den Gletschern. Das ist bequemer als mit dem Auto zu über 100 Kilometer Schotterpiste zu fahren
Austin Robel, 33, fliegt Touristen regelmäßig zu den Gletschern. Das ist bequemer als mit dem Auto zu über 100 Kilometer Schotterpiste zu fahren © Karin Franzke | Karin Franzke

Der zweite Bär bietet mehr. Schlafend ist er noch nicht die Sensation, dann aber räkelt er sich, steht auf, schlabbert ein bisschen Wasser am Fluss und trottet auf die nächste Wiese, wo eine Bärin frisst. Vorsichtig nähert er sich, knabbert am Puschelohr, schleckt ihr übers Gesicht, dann: Sex. Gary grinst: „Hab ich doch gesagt!“ Er weiß aber auch, was Touristenherzen höher schlagen lässt: Am Ende des knapp fünfstündigen Aufenthalts auf Katmai gibt’s für jeden ein Beweis-Foto mit Bär im Hintergrund.

Es stimmt, Bären sind nicht an Menschen interessiert. Und doch sind sie allgegenwärtig. Cordi Page, unsere deutsch-amerikanische Reiseleiterin, lebt seit zehn Jahren mit ihrem Mann und zwei Kindern in Alaska. „Ein ganz wichtiger Grundsatz lautet: Guck, was um dich herum passiert.“ Sie achtet auf Tierkot, erfährt von den Nachbarn, was sich in der Nähe der Siedlung herumtreibt. „Wir lernen von klein auf, dass Bären und auch Elche, Wölfe, Karibus da sind. Wir arrangieren uns damit.“

Auch im Wrangell St.Elias Nationalpark sind Schwarzbären und Grizzlys zu Hause. Wer die etwas aufwendige Anreise in das Unesco-Weltnaturerbe nicht scheut, sucht aber vor allem die gewaltige Gletscherwelt in diesem riesigen Wildnisgebiet, das etwa sechsmal so groß ist wie Korsika. „Willkommen am schönsten Ende der Erde“, begrüßt uns Austin Robel, der mit seiner sechssitzigen Piper regelmäßig die Strecke von Chitina nach McCarthy fliegt. Auch wir fahren nicht die knapp 100 Kilometer lange, anstrengende Schotterpiste. In 25 Minuten überfliegen wir Berge wie aus einer Modelleisenbahn. Wälder, steile Abhänge, Eisfelder – und in der Ferne ist der Mount St. Elias zu ­sehen. Mit stattlichen 5489 Metern der zweithöchste Berg in den USA.

Ungewöhnlicher Snack zwischendurch: Fleisch oder Fisch – getrocknet
Ungewöhnlicher Snack zwischendurch: Fleisch oder Fisch – getrocknet © Karin Franzke | Karin Franzke

Es ist schon eine sehr abgelegene Gegend, in die es jährlich 15.000 Touristen zieht. (Zum Vergleich: Der weit bekanntere Yellowstone Nationalpark im Bundesstaat Wyoming zählt mehr als drei Millionen Besucher pro Jahr.) Eine der Touristenattraktionen im Wrangell St. Elias Nationalpark ist Kennicott, einst eine der ergiebigsten Kupferminen der Welt und inzwischen Industriedenkmal. Dann ist da noch die Lodge von Neil Darish, der sich engagiert, damit aus der Old Town McCarthy keine Ghost Town wird. „Vor allem Deutsche mögen die Abgeschiedenheit“, hat der Manager erkannt. „Sie lernen das langsame Leben, sie akzeptieren schlechte Straßen, selbst wenn der Generator mal ausfällt, bleiben sie gelassen.“ Das liegt vielleicht auch an dem exzellenten Essen, das Neil in seinem Restaurant servieren lässt: An diesem frischen Lachs aus dem Copper River werden sich künftig alle Lachs-Gerichte messen lassen müssen. Neils Hotspot für Feinschmecker verleiht der Stadt, die aussieht wie eine verlassene Goldgräber-Siedlung, einen würdigen Platz auf der Touristenkarte.

Ganz oben auf der Liste der Besucher steht aber eine Gletscherwanderung. Anya Voskresensky, 26, und Bryan Kerr, 28, arbeiten seit zwei Jahren von Mitte Mai bis Mitte September als Guides. Zielsicher suchen sie passende Steigeisen heraus, helfen beim Anziehen. Erst staksend, dann immer sicherer folgen wir den beiden aufwärts. Schmutzig-grau ist zunächst noch die Oberfläche des Eisfeldes wegen der Schuttmassen, die mitgeführt und abgelagert wurden. Je weiter wir den Gletscher hinaufgehen, umso weißer wird das Eis. Die Oberfläche ist uneben, Pfützen haben sich gebildet, Krater und Spalten. Anya kennt die unterschiedliche Zusammensetzung von altem und neuem Eis, gewiss eine Wissenschaft für sich. Wir genießen das Gefühl, auf Millionen von Jahren altem Untergrund zu gehen. 300 Meter dick soll die Eisschicht in Kennicott sein, doch die Ranger beobachten Folgen der Klimaerwärmung: In den vergangenen 25 Jahren hat sich auch dieser Gletscher um 100 Meter zurückgezogen. Wie sich das Eis verändert, ist selbst als Laie spürbar: Am Nachmittag dieses Tages mit viel Sonne ist die Oberfläche teilweise geschmolzen, es ist sulzig.

Im Sommer wird es nie ganz dunkel, und oft ist sogar T-Shirt-Temperatur

Das Wetter beschäftigt natürlich nicht nur die Forscher. Lediglich drei Monate dauert die Saison in Alaska. Aufgrund der Nähe zum Nordpol wird es im Sommer nie ganz dunkel, häufig ist sogar T-Shirt-Temperatur. „Nach zwei Wochen Regen schimpfen alle, nach einem Tag Sonnenschein ist alles vergessen“, berichtet Cordi. Die Winter sind lang und kalt und dunkel. Wer es sich leisten kann, verbringt dann einige Wochen im Süden.

Das ist für Cordi kein Widerspruch zu der Feststellung: „Wenn du dich für Alaska entscheidest, dann ganz oder gar nicht. Hier kannst du deine Lebensträume noch verwirklichen.“ Nach Alaska komme, wer es in den Lower 48 – so nennen sie die US-Staaten südlich von Kanada – nicht aushalte. „Wir sind hier wirklich weit weg von Washington.“ Je weiter man in den Norden komme, umso weniger besiedelt sei das Land. Die wenigen asphaltierten Straßen sind überwiegend im Südosten, mit einem Auto lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes erfahren, welch gewaltige Kräfte diese überwältigende Landschaft gefaltet, geschoben, gestaltet haben. Selbst stundenlanges Fahren über sich windende Straßen langweilen hier nicht. Das Beste: Wer mit einem Wohnmobil unterwegs ist, kann mit dem fahrbaren Zuhause an den schönsten Seen, am reißenden Fluss übernachten. Näher an der Natur geht nicht. Aber Vorsicht: Überall ist Bärenland.