Buhoma. Die seltenen Berggorillas im Bwindi Nationalpark locken Touristen aus aller Welt in das arme Land. Dabei hat Uganda noch viel mehr zu bieten.

Eingewickelt in eine rote Flauschdecke steht Pulisika Nyinamagori vor einer Lehmhütte. Sie hat keine Schuhe an, ihre Knochen wirken zerbrechlich. 114 Jahre sei sie alt. Sagt sie. So genau weiß das hier keiner. Vor vielen Jahren habe sie noch im Wald gewohnt. Nur Hunderte Meter hinter dem Hang, auf dem sie heute in Uganda mit den anderen Angehörigen des Batwa-Stammes lebt. „Damals,“ sagt sie, „haben wir noch gemeinsam mit den Gorillas getanzt. Wir haben wie Brüder und Schwestern zusammengelebt und uns beschützt. Doch dann wurden wir aus dem Wald vertrieben.“

Pulisika Nyinamagori ist nach eigenen Angaben 114 Jahre alt.
Pulisika Nyinamagori ist nach eigenen Angaben 114 Jahre alt. © Henrik Jacobs

Heute tanzen ihre Brüder, Schwestern, Kinder und Enkel für Touristen, die in den Süden von Uganda reisen. Die Lehmhütten der Batwa liegen am Rande des Nationalparks Bwindi in dem kleinen Ort Nkuringo. Hier steht eine Safari-Lodge nach der nächsten. Doch die Touristen kommen nicht hierher, um über das Leben des Batwa-Stammes zu lernen. Sie wollen die letzten Berggorillas sehen, die noch auf der Welt leben.

Die Hälfte der letzten Berggorillas lebt in Uganda

Und die sich bis 1991 noch gemeinsam mit den Batwa den Wald teilten. Ehe die Regierung die Kontrolle über den Nationalpark übernahm und ein Programm zur Erhaltung der seltenen Tiere startete. Heute sind die Berggorillas der größte Touristenmagnet Ugandas. Die Hälfte der weltweit rund 1000 noch lebenden Primaten findet man hier im Bwindi-Dschungel, der Rest verteilt sich auf die benachbarten Wälder von Ruanda und dem Kongo.

Die Berggorillas bewegen sich am liebsten am Boden im Knöchelgang.
Die Berggorillas bewegen sich am liebsten am Boden im Knöchelgang. © Henrik Jacobs

Die Geschichte, wer wann wen vertrieben hat, wird hier von allen Beteiligten anders erzählt. Doch in einem sind sich alle einig: Die seltenen Berggorillas sind der Hoffnungsträger eines ganzen Landes auf eine bessere Zukunft. Denn Uganda ist eines der ärmsten Länder Afrikas. Die Menschen brauchen das Geld, das die Touristen bringen. Und die Touristen kommen täglich in großen Gruppen – auch in Zeiten der Corona-Pandemie. Für ein zweistündiges Gorilla-Trekking bezahlen die Besucher bis zu 600 Euro – pro Person. Doch wer diese einmalige Tour hinter sich gebracht hat, wird die Investition nicht bereuen.

Der Ausflug zu den Gorillas beginnt mit einem Gruppentanz. Nicht von den Batwa, sondern von den Bachiga. Das ist ein anderer Stamm, der im gleichen Ort in vergleichsweise besseren Verhältnissen lebt als die Batwa. Anstelle von orangen Trachten hüpfen und springen sie in grünen Gewändern, ansonsten braucht man schon ein geschultes Auge, um den exotischen Tanz der beiden Gruppen zu unterscheiden.

Eine Batwa-Gruppe zeigt den Touristen einen traditionellen Tanz.
Eine Batwa-Gruppe zeigt den Touristen einen traditionellen Tanz. © Henrik Jacobs

Anders als die Batwa haben sich die Bachiga auf den Gorilla-Tourismus konzentriert. 20 Prozent des Geldes, das die Besucher bringen, geht per Gesetz an die local communities, also die einheimischen Gruppen. Sie arbeiten hier als Ranger, Fahrer oder Tourbegleiter. Die Batwa behaupten, das Geld würde bei ihnen nicht ankommen. Die Ranger, die sich um die Touristen kümmern, sagen das Gegenteil.

Die Berggorillas ernähren sich fast ausschließlich von Blättern.
Die Berggorillas ernähren sich fast ausschließlich von Blättern. © Henrik Jacobs

Die meisten Gäste bekommen von diesem Konflikt aber gar nichts mit. Sie geben ihr Geld hier gerne aus. Wer will, kann sich auf der Wanderung durch den Urwald von einem Porter helfen lassen. Das kostet zwar 20 Euro extra, ist aber eine gute Idee, denn der Weg durch den dichten und matschigen Dschungel ist phasenweise richtig herausfordernd. Eine helfende Hand kann schon einmal einen Sturz über eine Baumwurzel verhindern. Mit einer Machete schlägt der Ranger den Weg frei.

Die Berggorillas suchen jede Nacht einen neuen Schlafplatz

Früh morgens waren seine Kollegen schon unterwegs und haben geguckt, wo die Gorillafamilie übernachtet hat. Schließlich sucht diese sich jede Nacht einen neuen Schlafplatz, um dann durch den Dschungel zu ziehen und frische Blätter zu essen. Vom Schlafplatz aus folgen die Ranger den Spuren der Gorillas. Und tatsächlich: Schon nach weiteren 50 Metern ist der erste Berggorilla aus der Ferne zu sehen. Er sitzt in einem Baum und stopft sich ganz entspannt ein Blatt nach dem anderen in den Mund. Das machen die Menschenaffen eigentlich den ganzen Tag. Je dichter sich die Gruppe den Tieren nähert, umso deutlicher raschelt es in den Büschen.

Die Kinder der Berggorillas sind sehr neugierig.
Die Kinder der Berggorillas sind sehr neugierig. © Henrik Jacobs

Während die Silberrücken, so nennt man die männlichen Gorillas ab zwölf Jahren, gemütlich auf einem Fleck sitzen, werden die jungen Mitglieder der Familie neugierig. Sie kennen die täglichen Touristenbesuche bereits – und scheinen die Aufmerksamkeit zu genießen. Ein kleiner Gorilla kreuzt plötzlich den Weg der Trekking-Gruppe. Die echten Menschen stehen starr und zücken ihre Kameras.

Touristen müssen mindestens zwei Meter Abstand halten

Näher als zwei Metern soll man den Tieren hier in ihrem natürlichen Lebensraum nicht kommen, doch die Gorillakinder halten wenig von dieser Regel. Es ist ein faszinierender Moment, von einem Berggorilla am Hosenbein gestreift zu werden. Aber auch der reine Anblick der Silberrücken beim Blätterkauen kann verzücken. Ein Wow-Moment, der für immer bleibt.

Diese Batwa-Familie lebt am Rande des Bwindi-Nationalparks.
Diese Batwa-Familie lebt am Rande des Bwindi-Nationalparks. © Henrik Jacobs

Eine Stunde dürfen die Touristen bei einer Gorillagruppe bleiben. Rund 30 Familien ziehen derzeit durch den 331 Quadratkilometer großen Bwindi-Nationalpark. „Manchmal sehen wir die Gorillas noch aus der Ferne“, sagt die Batwa-Großmutter Pulisika Nyinamagori mit gebrechlicher und trauriger Stimme. Ihre Lehmhütte steht ungefähr da, wo die Touristen nach ihrer Tour aus dem Urwald zurückkehren. Ihr vertriebener Stamm versucht das Beste aus der Situation zu machen. Sie tanzen nicht nur für die Besucher, sie verkaufen auch Souvenirs. Die Kinder können mittlerweile gemeinsam mit den Bachiga zur Schule gehen.

Die Batwa können ihrer ursprünglichen Lebensweise nicht mehr nachkommen

„Die Bildung ist die einzige Chance auf ein besseres Leben“, sagt Batwa-Guide Julius Tumwikirize, der für die alte Frau ins Englische übersetzt. Er selbst gehört zum Stamm der Batwa, hat heute aber einen Job im Ort. Er leitet die Führungen zu der Volksgruppe, die noch immer ein schwieriges Leben führt und kämpft für eine bessere Zukunft seiner Mitmenschen. Ihrer ursprünglichen Lebensweise können die Batwa nicht mehr nachkommen. „Wir würden am liebsten wieder im Wald bei den Gorillas leben“, sagt die alte Frau und lehnt sich an die Lehmhütte.

In Uganda arbeiten viele Kinder als Erntehelfer.
In Uganda arbeiten viele Kinder als Erntehelfer. © Henrik Jacobs

Weil dieser Wunsch nicht mehr möglich ist, sind auch die Batwa auf das Geld der Touristen angewiesen. So wie das ganze Land, das sich in einer bedrohlichen Situation befindet. „Uganda ist eine tickende Zeitbombe“, sagt Doris Meixner. Die Münchnerin lebt seit mehr als 20 Jahren in Uganda und hat unweit des Bwindi-Nationalparks eine eigene Lodge eröffnet. Sie hat sich in das wunderschöne Land verliebt. Aber sie weiß eben auch, welche Probleme Uganda hat. Ebola bereitet Sorgen. Die Bevölkerung wächst immer weiter. In den Jahren 1960 bis 2020 stieg die Einwohnerzahl in Uganda von 6,79 auf 45,74 Millionen Euro.

Polygamie ist in Uganda keine Seltenheit, sondern die Regel

Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht. Polygamie ist in Uganda kein Tabu, sondern eher die Regel. Bis zu zehn Kinder zu haben, zählt für die Frauen auf dem Land als Status. Und sie brauchen die Kinder, um auf den Feldern die Arbeit zu machen und die Familie zu ernähren. Auf der Reise durch das Land winken nur die kleinen Kinder den Touristen in ihren Safari-Autos begeistert zu. Die älteren Kinder gucken eher desillusioniert, während sie auf den Straßen Wasser transportieren, auf den Feldern ernten oder die Ziegen zusammentreiben.

Uganda gehört zu den ärmsten Ländern Afrikas.
Uganda gehört zu den ärmsten Ländern Afrikas. © Henrik Jacobs

Es ist diese Diskrepanz aus der Schönheit des Landes und der schwer zu ertragenden Armut, die in Uganda ein ständiger Reisebegleiter ist. Die Chancen auf ein besseres Leben sind eigentlich da. In dem tropischen Land wächst Reis, Mais, Kaffee, Tee und Früchte verschiedenster Art. Uganda hat alles, was der Mensch braucht, aber die Menschen haben nicht die Mittel, die andere Menschen haben, um damit reich zu werden.

Die meisten Schimpansen leben im Kibale Nationalpark

Das gilt auch für die Tierwelt. Die Berggorillas sind zwar die Stars in Uganda. Die Schimpansen, die zu großer Zahl vor allem noch im Kibale Nationalpark leben, müssen sich nicht verstecken. Und das tun sie auch nicht. Anders als die gemütlichen Gorillas bieten sie den Besuchern eine echte Show. Wer sich bei der rund 200 Euro teuren Tour in den Wald begibt, hat für einen Moment das Gefühl, bei der Affenbande im Dschungelbuch gelandet zu sein.

Ein Schimpanse im Kibale Nationalpark genießt die Aufmerksamkeit.
Ein Schimpanse im Kibale Nationalpark genießt die Aufmerksamkeit. © Henrik Jacobs

Die Schimpansen springen durch die Bäume und kreischen, als würden sie einen Scary-Movie-Film gucken. „Wahrscheinlich ein Streit um ein Weibchen“, sagt die Rangerin. Die Affen genießen die Aufmerksamkeit und posieren noch auffälliger als die Gorillakinder. Es ist ein nicht weniger eindrucksvolles Urwald-Erlebnis, wenn sich ein Schimpanse an einem Eukalyptus-Baum seinen Rücken reibt.

Die wilden Tiere von Uganda

Eine Giraffe im Queen Elizabeth Nationalpark.
Eine Giraffe im Queen Elizabeth Nationalpark. © Henrik Jacobs
Ein Löwe hält im Queen Elizabeth Nationalpark einen Mittagsschlaf.
Ein Löwe hält im Queen Elizabeth Nationalpark einen Mittagsschlaf. © Henrik Jacobs
Am Kazinga-Kanal in Uganda leben auch viele Elefanten.
Am Kazinga-Kanal in Uganda leben auch viele Elefanten. © Henrik Jacobs
Ein Schimpanse im Kibale Nationalpark genießt die Aufmerksamkeit.
Ein Schimpanse im Kibale Nationalpark genießt die Aufmerksamkeit. © Henrik Jacobs
Die Berggorillas ernähren sich fast ausschließlich von Blättern.
Die Berggorillas ernähren sich fast ausschließlich von Blättern. © Henrik Jacobs
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Doch damit nicht genug der Exoten. Schließlich wären da ja noch der Queen Elizabeth Nationalpark, der Kazinga-Kanal und der Lake-Mburo-Nationalpark. Man muss keinen weiteren Flug nach Südakfrika oder Kenia buchen, um Löwen, Elefanten, Giraffen, Zebras, Krokodile, Nilpferde und Büffel zu sehen. Sie alle wohnen hier im Süden von Uganda. Innerhalb von zwei Tagen kann man sie alle besuchen. Dann wird klar, warum Winston Churchill Uganda einst als Perle von Afrika bezeichnete.

Die Berggorillas sind die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Uganda

Der Tourismus ist hier noch etwas „ursprünglicher, wilder und auch chaotischer“, wie es Lodge-Betreiberin Doris Meixner beschreibt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die meisten Touristen für eine Safari in andere Länder Afrikas reisen.

Und so bleibt es den Berggorillas vorbehalten, für den Höhepunkt der Uganda-Tour zu sorgen. Während sie in aller Seelenruhe ihre Blätter naschen, ahnen sie nicht, wie wichtig sie für dieses arme Land sind. Für die Bachiga. Für die Batwa. Und für die Hoffnung der Menschen, dass sie hier einmal alle zufrieden zusammen leben und all die Schönheit genießen können, die Uganda zu bieten hat.