Kiel. Eine Kreuzfahrt ist bislang nicht mit Freiheiten wie beim Landurlaub möglich. Auf der „MSC Seaview“ nimmt man Corona noch sehr ernst.

Als Italiens Torwart Gian­luigi Donnarumma am Ende eines langen Fußballabends den Elfmeter von Englands Bukayo Saka pariert und sein Land so zum Europameister macht, ist auch auf Deck 16 der „MSC Seaview“ die Stimmung bestens.

Schließlich befinden sich unter den Passagieren, die das EM-Endspiel gemeinsam draußen auf einem riesigen Monitor verfolgen, so gut wie keine Engländer, dafür aber – wie immer bei MSC – eine ganze Reihe Italiener. Und die mehrheitlich Deutschen, die auf diesem zweiten Ostsee-Törn ab Kiel eingecheckt hatten? Sie können sich im Urlaub zumindest mit ihren Gastgebern freuen.

Zweiter Ostsee-Törn der „MSC Seaview“

Obwohl MSC unter maltesischer und panamaischer Flagge fährt, den Hauptsitz in Genf hat und sich selbst als paneuropäische Marke sieht, ist die Kreuzfahrtreederei stark italienisch geprägt.

Draußen geht es ohne Maske, innen nur mit. An Bord ist Myra Petri dafür zuständig, dass alle Corona-Protokolle eingehalten werden.
Draußen geht es ohne Maske, innen nur mit. An Bord ist Myra Petri dafür zuständig, dass alle Corona-Protokolle eingehalten werden. © gjs | Georg J. Schulz

Angefangen hatte nämlich alles im Jahr 1970, als Gianluigi Aponte aus Sorrent – damals ein junger Seemann und ehemaliger Bankangestellter – sein erstes Schiff kaufte: die „Pa­tricia“. Aus dem kleinen Unternehmen wurde ein Familienkonzern von Weltrang mit mehr als 560 Schiffen, darunter neben vielen Containerriesen bald 19 Cruiseliner in zum Teil gigantischen Ausmaßen.

Die riesige „World Europa“ sowie mindestens vier kleinere Luxusschiffe sind zudem noch im Bau oder in Planung. Auf dem deutschen Markt hält MSC hinter Aida und TuiCruises derzeit den dritten Platz mit etwa neun Prozent, in Südeuropa ist man deutlich stärker.

Deutschland-Chef von MSC entschied sich für Kiel als ersten Abfahrtshafen

Eines der aktuell größten Schiffe der Flotte, die „Seaview“, hat nun als erstes Schiff von MSC wieder Abfahrten ab Deutschland aufgenommen. Da die Behörden in Hamburg aufgrund der strengeren Corona-Restriktionen den Neustart von Cruise­linern verzögert hatten, entschied sich der Deutschland-Chef von MSC, Christian Hein, für Kiel als ersten Abfahrtshafen der noch verbleibenden Saison 2021.

Die Wiederaufnahme von Kreuzfahrten ab dem Ostufer sei „das Ergebnis von intensiven und erfolgreichen Verhandlungen zwischen der Reederei, den lokalen Behörden und dem Seehafen Kiel“ gewesen.

Dass bei einem solchen Neustart trotz der zuvor mit sechs Schiffen in anderen Destinationen gemachten Erfahrungen nicht alles sofort rundläuft, zeigte sich schon bei der Einschiffung am Premierentag.

Weil jeder neue Passagier zusätzlich zum schon für die Anreise vorgeschriebenen Impf- oder Testzertifikat noch vor Ort einen ­Corona-Test durchlaufen muss und obendrauf noch IT-Probleme auftraten, staute sich der Check-in erheblich.

Das Routing der „MSC Seaview“ ab Kiel ist auf drei Stopps zugeschnitten

Mancher Gast stand lange in praller Sonne – und war entsprechend bedient, als er endlich an Bord durfte. „Das werden wir und unser Dienstleister bei den nächsten Abfahrten besser machen“, versprach Hein. Und hielt Wort, wie Rückmeldungen vom zweiten Törn zeigen.

Immer dem Tourguide hinterher: Auch in Visby gilt das Prinzip der „Bubble“.
Immer dem Tourguide hinterher: Auch in Visby gilt das Prinzip der „Bubble“. © gjs | Georg J. Schulz

Das Routing der „MSC Seaview“ ab Kiel ist bei der von uns begleiteten Premierenfahrt auf drei Stopps zugeschnitten, der Rest sind Seetage. Los geht es mit dem beschaulichen Visby auf der schwedischen Insel Gotland, wo sich vor allem ein Spaziergang durch die unweit vom Kai gelegene historische Altstadt und den Botanischen Garten lohnt.

Diese Visite allerdings muss man wie jeden der weiteren Ausflüge kostenpflichtig und vor allem rechtzeitig buchen, denn individuell ist zumindest bei MSC derzeit noch kein Landgang möglich, auch nicht für Geimpfte.

Streng achtet das Team um Myra Petri, die in neu geschaffener Führungsposition die Einhaltung der Corona-Protokolle überwacht, zudem darauf, dass die lokalen Tourguides niemanden aus dem Blickfeld verlieren und sich beim Ausflug keiner heimlich von der Gruppe entfernt. Ansonsten könnte passieren, dass der Landgänger nicht mehr zurück an Bord darf – was bei den Mittelmeer-Törns bereits das eine oder andere Mal durchgezogen wurde.

Hafen liegt 60 Kilometer vom Ziel Stockholm entfernt

Drei Stunden auf Gotland, immer im Schlepptau des Stadtführers, reichen natürlich noch nicht, um auf dieser Reise echtes Schwedengefühl aufkommen zu lassen. Zwar beeindruckt die alte Hansestadt Visby mit ihrer mittelalterlichen Festungsmauer und ihren pittoresken Häusern durchaus, doch weitaus mehr bietet Stockholm, das am nächsten Tag angelaufen wird.

Frei nach dem abgewandelten Bankenretter-Motto „too big to fail“ heißt es beim potenziell schönsten Teil der Passage, dem Einlaufen durch die Schären bis hinein in die Stadt, für MSC leider „too big to sail“ (zu groß zum Segeln). Statt wie die kleine „Hanseatic Inspiration“ mitten im Zentrum zu liegen, steuert die 323 Meter lange, 41 Meter breite und 72 Meter hohe „Seaview“ den Hafen Nynäshamn an.

Der ist zwar auch ganz okay, aber doch rund 60 Kilometer von Stockholm entfernt, sodass jeder Ausflug dorthin zunächst mit einer Busfahrt beginnt. Wer diesen Bus wenigstens vor Ort verlassen und unter kundiger Führung durch die Stadt spazieren will, sollte sich das Kürzel ­„NYNAM“ merken: Unter diesem wird der Landgang „a walk in Stockholm, picnic lunch included“ angeboten.

Visite in Stockholm: Hier sollte man einen Ausflug wählen, der zu Fuß durch die Stadt führt und nicht nur mit dem Bus.
Visite in Stockholm: Hier sollte man einen Ausflug wählen, der zu Fuß durch die Stadt führt und nicht nur mit dem Bus. © gjs | Georg J. Schulz

Das kostet mit 73 Euro pro Person zwar etwas mehr als die klassische Stadtrundfahrt („NYNAF“), befreit einen zu Fuß aber zumindest vom sonst gebotenen Maskenzwang. Außerdem bleibt eine wirklich schöne Mittagspause nahe den Traditionsseglern gegenüber dem Vasa-Museum in Erinnerung. Und wenn das Wetter so ist wie Anfang Juli, dann reift bei dem einen oder anderen Passagier schnell die Ansicht, dass man die Stadt irgendwann noch einmal besuchen müsste, wenn Corona vorbei oder man selbst anders unterwegs ist als in einer kontrollierten „Blase“.

Als „Bubble“ erleben nicht nur die Passagiere die „MSC Seaview“, sondern auch die Crew. Jeder, der an Bord arbeitet, musste zuvor für 14 Tage in strenge Quarantäne und wurde mehrfach negativ getestet. Unterwegs ist den mehr als 1200 Crewmitgliedern dann bis auf wenige Ausnahmen das Verlassen des Schiffes und vor allem des Hafens untersagt. Zum Ausgleich darf sich das Team abends auf einem gesperrten Teil von Deck 19 erholen, um auch mal an die frische Luft zu kommen.

„MSC Seaview“ hat viele Außenflächen

Platz zum Luftholen gibt es zum Glück genug, denn der Schiffstyp hat gefühlt mehr Außenflächen als zwei gewöhnliche Nordland-Schiffe zusammen – und ist nicht einmal halbvoll. Der Umlauf auf Deck 8 sieht von außen zwar etwas gewöhnungsbedürftig aus, bietet aber den Gästen des Büfettrestaurants – hier gibt es natürlich immer auch Pizza und Pasta – sehr viele Sitzplätze im Freien. Im Normalfall wird allerdings in einem der inkludierten Bedienrestaurants auf Deck 5 oder 6 gespeist, vor allem abends. Oder in einem der aufpreispflichtigen Spezialitätenrestaurants auf Deck 16.

Die „MSC Seaview“ im Hafen von Nynäshamn, von dem es per Bus nach Stockholm geht. Für die Schären-Passage ist das Schiff zu groß.
Die „MSC Seaview“ im Hafen von Nynäshamn, von dem es per Bus nach Stockholm geht. Für die Schären-Passage ist das Schiff zu groß. © gjs | Georg J. Schulz

Anders als die Wasserrutschen, die Pools, Teile des Wellnessbereichs, die Bars und das Theater ist die Zipline, an der man über das Pooldeck fliegen könnte, noch nicht geöffnet. „Hier müssten wir wegen Corona immer gleich die Ausrüstung desinfizieren, das ist zu aufwendig“, erklärt Andrea Spezie, der wie viele Führungskräfte aus der Heimat des Unternehmensgründers kommt.

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Spezie leitet den Hotelbetrieb des Schiffes und muss bei manchem Gast Abbitte für anfängliche Pannen leisten. Luft nach oben hat bei der Premierenfahrt selbst der „Yacht Club“, schließlich soll er als exklusive Luxusetage mit Butlerservice und eigenem Edelrestaurant allerhöchste Ansprüche erfüllen. Immerhin: Nach wenigen Tagen ist im Bordleben spürbar Routine eingekehrt und ein Teil der Anspannung gewichen.

Der letzte Landgang – ein Spaziergang durch die estnische Hauptstadt Tallinn – bestätigt dann noch einmal eindrücklich, wie sehr die Menschen in Orten wie diesem auf eine Rückkehr der Touristenschiffe gewartet haben. „Ich habe anderthalb Jahre keine Arbeit mehr gehabt“, sagt Tourguide Annastassia – und hofft nun, dass ihre Ausflüge in den nächsten Wochen gut gebucht werden.