Der See in Nevada ist nicht nur im Sommer ein beliebtes Urlaubsziel – die Berge rundherum sind für Wintersport bestens geeignet.

Die Kulisse öffnet sich, als würde im Theater der Vorhang fallen. Wenn sich die dichten Wolken langsam hinter den Hügeln der Sierra Nevada verziehen, präsentiert sich der Lake Tahoe in seiner ganzen Schönheit. Wer mit dem Skilift vom Heavenly Valley Richtung Gipfel fährt, erlebt eine Choreografie, die sich ein romantisch veranlagter Hollywood-Regisseur nicht besser hätte ausdenken können.

„Himmlisch“, sagt Greg Lyons auf Deutsch, als der Skilehrer zwei Stunden später beim Mittagessen in der ­California Lodge sitzt. Lyons hat ein Chickensandwich und Salat bestellt und soll nun den Ort in wenige Worte fassen.

Lyons ist 54 Jahre alt und arbeitet seit 31 Jahren in South Lake Tahoe, direkt auf der Grenze der beiden US-Bundesstaaten Nevada und Kalifornien. Dass der größte Bergsee Nordamerikas schon mehrfach Filmkulisse von Hollywood-Produktionen war, wundert wenig, wenn man von hier oben das tiefe Blau des Süßwassersees betrachtet. Was den meisten Touristen aber gar nicht bewusst ist: Der einst zum schönsten See der USA gekürte Lake Tahoe ist nicht nur für sein Sommerpanorama berühmt. In der kalten Jahreszeit verwandelt sich der See in eine Märchenlandschaft.

Greg Lyons arbeitet von November bis April auf 2600 Metern Höhe. „Wenn ich Ski fahren kann, dann bin ich glücklich“, sagt der US-Amerikaner. Und am liebsten macht er das im himm­lischen Heavenly Mountain Resort. Hier fanden einst regelmäßig Weltcuprennen statt, 1997 sogar die Snowboard-Weltmeisterschaft. Heute ist es etwas ruhiger geworden. Sehr zur Freude der Skifahrer.

Wer Lyons auf dem Weg zum Gipfel auf 3060 Meter Höhe begleitet und anschließend auf Skiern oder dem Snowboard hinunterfährt, kann ein einzigartiges ­Panorama genießen. Hinter den grünen Kiefernwäldern blitzt immer wieder der majestätische Lake Tahoe auf. Man muss regelrecht aufpassen, dass man nicht den Blick für die Spur verliert, denn die ­Aussicht kann die Sportler ablenken. „Egal, wo du hinfährst – du hast überall einen traumhaften Blick auf den See“, sagt ­Lyons.

Viele Hollywood-Stars haben hier einen Zweitwohnsitz

Und damit meint der Skilehrer nicht nur den Winteranblick. Lyons lebt hier noch ein anderes Leben. Von Mai bis Oktober arbeitet er in einem Restaurant. Dann kümmert er sich als Gastronom um die Sommergäste. Und davon gibt es hier noch mehr als im Winter. „In der warmen Jahreszeit haben wir dreimal so ­viele Touristen wie in der kalten“, sagt Lyons. Es gibt wohl nur wenige Orte auf der Welt, die zwölf Monate im Jahr so viele verschiedene Möglichkeiten bieten wie Lake Tahoe. Skifahrer im Winter, Mountainbiker im Frühling, Wassersportler im Sommer, Wanderer im Herbst. Wäre der See ein Sportler, man würde ihn als polyvalenten Alleskönner bezeichnen.

Dabei kommen Touristen aus aller Welt im Sommer hierher, um einfach mal nichts zu tun, viele von ihnen aus Deutschland oder Frankreich. Denn am Lake Tahoe gibt es auch Strände. Badegäste brauchen allerdings eine gewisse Kälteresistenz: Selbst im Sommer wird der See nur selten wärmer als 17 Grad. Kein Wunder, schließlich beträgt die Durchschnittstiefe 301 Meter. An der tiefsten Stelle geht es sogar 501 Meter bis auf den Grund. Damit ist er der zweittiefste See der USA, mit einer Lage auf 1899 Metern über dem Meeresspiegel ­zudem gleichzeitig einer der höchst­gelegenen.

Dass der Lake Tahoe bei Hollywoodstars aus dem nur eine Flugstunde ­entfernten Los Angeles ein beliebter Zweitwohnsitz ist, lässt sich leicht erahnen, wenn man mit dem Auto um den See fährt und die versteckten Sommerquartiere entdeckt. Auch Greg Lyons hat hier schon einigen Schauspielern das Skifahren beigebracht. Namen will er nicht verraten. Doch spätestens seit die US-Serie „Bonanza“ in den 60er-Jahren hier gedreht wurde, ist der Ort unter den Stars kein Geheimtipp mehr. Trotzdem ist es den Einheimischen gelungen, die Natur vor dem Tourismus und dem ­Einfall der Reichen und Schönen zu schützen. Das war keine leichte Aufgabe, schließlich ist die Gegend auch auf ihre Besucher angewiesen. „Wir brauchen den Tourismus, wir leben vom Tourismus“, sagt Lyons. „Aber wir haben gar nicht die passende Infrastruktur für ­unbegrenzten Tourismus.“

Die stete Bebauung der Uferlinien in den vergangenen Jahren ist nicht ohne Folgen geblieben. Insbesondere im Sommer kann es auf den Straßen rund um den See voll werden. Eine Belastungsprobe für die Bewohner. Wo Touristen reisen, hinterlassen sie auch Spuren. Der Müll an den Stränden sei im Sommer ein Problem, meint Lyons. Doch der Großteil der Reisenden respektiere die Schönheit der Natur und gehe entsprechend mit ihr um. „Das Wasser im See ist hier sauberer als das Trinkwasser“, sagt ­Lyons.

Wer zum nördlichen Teil des Lake Tahoe fährt, könnte zunächst einen ­anderen Eindruck gewinnen. Viele Busse und Lkw begegnen sich auf der Strecke. Das als „größte Kleinstadt der Welt“ ­bezeichnete Reno liegt nur eine Stunde Autofahrt entfernt. Die kleine Schwester von Las Vegas ist bekannt für ihre vielen Casinos. Wer dieser Spielhallenhölle entkommen will, erreicht über den ­Motorway schnell den Norden von Lake Tahoe und findet nach einiger Zeit die nötige Ruhe. Auch hier gibt es Skigebiete, die einen ähnlichen Ausblick auf den See ermöglichen wie im Süden. Das Skiresort Diamond Peak etwa steht dem Heavenly in nichts nach. „Lake Tahoe ist einfach schön. Ob im Norden oder im Süden“, sagt Greg Lyons.

Ob im Winter oder im Sommer, könnte man ebenfalls sagen. Auch wenn Lyons dazu eine eigene Meinung hat. „Ich bevorzuge den Winter“, sagt er. Was aber vor allem daran liegt, dass er das Skifahren liebt. Lyons kommt ursprünglich von der amerikanischen Ostküste. Er hat in New York gelebt. In Maine. In Connecticut. In Massachusets. Und auch im Westen in San Francisco. Noch in diesem Monat wird er nach Japan reisen, um dort als Skilehrer zu arbeiten.

Doch er wird zum Lake ­Tahoe zurückkehren. „Es gibt keinen Grund, diesen Ort wieder zu verlassen. Ich kann hier gut und gerne den Rest meines Lebens verbringen“, sagt Lyons. Und als er sein Sandwich aufgegessen hat, wiederholt er den Satz, den er schon am Anfang gesagt hat: „Wenn ich Skifahren kann, dann bin ich glücklich.“ Und vor der Kulisse des Lake Tahoe umso glücklicher.