Im Im Westen von Polen liegen viele alte Adelssitze. Die meisten Bauten sind noch gut erhalten, in einigen kann man sogar übernachten

    Über diese weiße Marmortreppe galoppierte das Pferd des Hausherrn hinauf in den zweiten Stock. Wer es nicht glaubt, dem wird sogleich die ramponierte Stufe mit dem markanten Hufeisenabdruck gezeigt. Schloss Wasowo in der Woiwodschaft Großpolen bewahrt bis heute Geheimnisse und Legenden. Wer in dem inzwischen zum Hotel umgebauten Schloss übernachtet, fühlt sich wie im Märchen.

    Die Bewohner der Region rund um Posen sind landesweit als die „polnischen Preußen“ bekannt. Sie gelten als ordentlich und sparsam. Doch beim Bau ihrer Schlösser und Paläste wurde nicht gespart. Die polnischen Adligen beherrschten vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Geschichte des Landes. Ihren Familien gehörten Ländereien, sie bestimmten die Politik, hatten Soldaten und wählten den König.

    Als Ende des 19. Jahrhunderts ­viele polnische Familien verarmten, mussten ihre Schlösser verkauft werden, andere wurden von reichen Industriellen neu gebaut. So errichtete der Berliner Kaufmann und Bankier Richard von Hardt von 1870 bis 1872 das Schloss Wasowo – mit Türmchen, Zinnen und Erkern.

    Heute feiern Paare in der Scheune Hochzeiten

    Seit 1995 ist das Anwesen, etwa 50 Kilometer westlich von Posen gelegen, wieder in Privatbesitz und wurde zum Vier-Sterne-Hotel umgebaut. In der noch mit originalen Möbeln eingerichteten Kaiser-Suite können nun Urlauber übernachten. Bei Spaziergängen und Kutschfahrten durch den englischen Park laden 200 bis 300 Jahre alte Eichen, Buchen und Linden zum Träumen von vergangenen Zeiten ein. Eine kurze Lindenallee führt vom Hotel zum Vorwerk, dem Gutshof. Nach der Wende wurden die historische Schmiede, der Pferdestall, die Brennerei und die Scheunen ebenfalls restauriert. Diese sind vor allem bei jungen Leuten beliebt für Hochzeiten. Dann wird aus dem schmucklosen Stall eine Event-Location mit Feiern bis zum Sonnenaufgang.

    Wiehernde Pferde empfangen die Besucher des Schlosses Racot. Der klassizistische Palast liegt 40 Kilometer südlich von Posen im gleichnamigen Dorf. Seit 1928 befindet sich dort ein weit über Polen hinaus bekanntes Pferdegestüt. Im Schloss schmücken kostbare Seidentapeten, Kristalllüster und zierliche Sesselchen die 20 Hotelzimmer. Und es gibt ein Spukzimmer! Einst soll ein untreuer Hausverwalter Frau und Tochter des Besitzers in dessen Abwesenheit aus dem Palast vertrieben haben, um mit dem veruntreuten Geld rauschende Feste zu feiern. Als der Hausherr unerwartet zurückkehrte, ließ er den Verwalter in einem Kellerverlies einsperren und einen qualvollen Hungertod sterben. Seither behaupten alle, dass es in Zimmer 15, das über dem Keller liegt, spukt.

    Eine spannende Geistergeschichte hütet auch Schloss Kórnik, ein Werk von Karl Friedrich Schinkel. Der neogotische Palast, der nie zerstört wurde, ebenfalls 30 Kilometer südlich von Posen, ist ein Traum für große und kleine Prinzessinnen und Raubritter. Um zum Schloss zu gelangen, muss man den Burggraben über eine Brücke überqueren. Im maurischen Saal stehen Dutzende Ritterrüstungen Spalier. In der ­Bibliothek sind seltene Handschriften vom 13. bis zum 16. Jahrhundert zu bewundern. Eine weitere Attraktion des Schlosses ist das Gemälde der „Weißen Dame“. Teofila, eine gebildete Dame, die viele Jahre im Schloss lebte, soll bis heute um Mitternacht aus ihrem Porträt heraussteigen, um im Schlossgarten zu lustwandeln. Legendär sind auch die Geschichten um den letzten Besitzer Kórniks, Wladyslaw Zamoyski. Er wird als ­äußerst sparsam beschrieben. Er schlief auf einem Tisch, reiste mit der Eisenbahn vierter Klasse und verzichtete auf teure Kleidung oder üppige Speisen. 1924 vermachte er das Schloss dem polnischen Volk.

    Nur wenige Kilometer westlich wartet das spätbarocke Schloss Rogalin auf seine Entdeckung. Das alles überragende Palais thront in einem weitläufigen Schlosspark am Ufer der Warthe. Die ehemalige Familienresidenz der Ra­czynskis, die zum alten Adel Großpolens gehörten, ist nach minutiöser Rekonstruktion ein mit Kunstschätzen vollgestopftes Traumschloss und als Teil des Nationalmuseums Posens ein viel besuchtes Ausflugsziel. Legenden ranken sich um die drei Rogalin-Eichen im Park, die jeweils 700 bis 800 Jahre alt sein sollen. Die Methusalems erinnern an die Brüder Lech, Cech und Rus, die Stammväter Polens, Böhmens und Russlands.

    Fährt man weiter in den Süden Richtung Breslau, vorbei an Feldern, Wiesen und verschlafenen Dörfern, landet man in dem 3000-Seelen-Ort Rydzyna. Das dortige Schloss Rydzyna ist eine der schönsten Adelsresidenzen Polens, mit vier Türmen für die vier Jahreszeiten und 365 Fenstern – für jeden Tag eines. Das Barockschloss entstand auf den Ruinen einer alten Wehrburg aus dem 15. Jahrhundert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es ein Jungengymnasium, später eine Napola-Eliteanstalt der Nazis. Und am Kriegsende 1945 wurde es von ­sowjetischen Soldaten in Brand gesetzt. Seit den 1970er-Jahren restauriert der Verein der polnischen Ingenieure mit viel Liebe das Schloss, in dem heute ein Museum und ein Hotel untergebracht sind.

    Sehr übersichtlich hingegen präsentiert sich das spätbarocke Jagdschloss Wloszakowice, nur unweit von Rydzyna entfernt. Das auf einer künstlichen Insel gelegene Schloss hat den Grundriss eines gleichschenkeligen Dreiecks. Die ungewöhnliche Form erklärt sich aus den Verbindungen des Erbauers, Fürst Aleksander Jósef Sulkowski, zur Freimaurerei. Die dreieckige Kelle ist eines ihrer Symbole – und Sulkowski war einer der ersten polnischen Freimaurer.