Sophie Shelswell-White ist eine moderne junge Frau aus Irland. Doch auf ihren Schultern lasten fast 300 Jahre blaublütige Tradition

    Bantry House gilt als das prunkvollste Herrschaftshaus im Südwesten Irlands und die größte Sehenswürdigkeit der Stadt. Stolz thront das schlossähnliche Gebäude auf einer Klippe über der romantischen Fischerbucht Bantry Bay. 49 prächtige Räume und 17 Bäder erstrecken sich auf fast 3000 Quadratmeter Wohnfläche. Umgeben ist das georgianische Anwesen von einer 26 Hektar ­großen, formalen Gartenanlage und 24 Hektar Wald- und Feldbesitz. Seit 1739 residiert hier das Adelsgeschlecht der Whites of Bantry.

    Als die Hausherrin, eine junge Frau mit blassem Teint, schwarzen Jeans und einer bunten Holzkette, in der Empfangshalle mit der düsteren Tapete und den schweren Goldornamenten erscheint, prallt Gegenwart auf Geschichte. Sophie Shelswell-White ist Nachfahrin des letzten Earls von Bantry und Erbin des herrschaftlichen Anwesens. Besuchern stellt sie sich jedoch bodenständig als General Manager vor. „Auch wenn ich hier groß geworden bin, habe ich mich nie wie eine Prinzessin gefühlt“, sagt sie unprätentiös und streicht sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich bin verantwortlich für das Haus, die Angestellten, die Besucher, den Teeraum und die Gästezimmer. Das heißt, dass ich jeden Tag von morgens bis abends arbeite.“

    Die Gärten wurden nach historischen Plänen restauriert

    Schon muss sie sich entschuldigen, um eine Busgruppe aus New York zu begrüßen, die zu einer Hausführung angereist ist. Trotz der opulenten Möbel, Skulpturen und Gemälde ist die blaublütige Irin für die amerikanischen Touristen das interessanteste Exponat. Geduldig beantwortet sie Fragen über sich und ihre Familie. „Für mich ist das völlig normal. Ich bin damit aufgewachsen, dass 300 fremde Leute durch mein Haus spazieren“, sagt die 36-Jährige gelassen. Früher strömten bis zu 80.000 Besucher pro Jahr durch die prunkvollen Gemächer. Heute ist es gerade mal ein Viertel so viel. Umso mehr ist sie auf die Eintrittsgelder angewiesen. Fünf Euro kostet ein Spaziergang durch die Gärten, elf Euro die Besichtigung von Haus und Außengelände.

    Man muss nicht genau hinschauen, um festzustellen, dass an vielen Stellen die Farbe abblättert und der Putz bröckelt. Doch die Hausherrin zuckt nur mit den Schultern. „Das trägt zum Charme des Hauses bei.“ Als sie vor acht Jahren das Familienerbe antrat, wusste sie, worauf sie sich einließ. „Man muss immer da sein. Wenn es irgendwo brennt oder das Dach undicht ist, muss ich zur Stelle sein. Ich kann das Haus nie unbeaufsichtigt lassen – auch wenn es bedeutet, dass ich oft nicht mitkann, wenn meine Freunde ausgehen.“ Die meisten ihrer Freunde finden ihr Leben zwischen Prunk und Patina toll – auch wenn ihr der Titel „Lady“ versagt bleibt. „Mein Urgroßonkel, der vierte Earl of Bantry, starb 1991 kinderlos und mit ihm auch der Adelstitel.“ Die nächsten Nachkommen erbten nur das Haus und die Verantwortung.

    So versucht die eifrige Geschäftsfrau, das alte Gemäuer mit neuen Ideen in Schuss zu halten. Im Ostflügel vermietet sie sechs Gästezimmer mit modernen Annehmlichkeiten wie Wlan, Fußbodenheizung und integrierten Bädern zu zivilen Preisen. Wenn das Haus abends für Tagesbesucher schließt, dürfen die Übernachtungsgäste in der feudalen Bibliothek mit einem Drink am Feuer sitzen oder sich im Billardzimmer vergnügen, wie einst die feine Gesellschaft. Auch für Hochzeiten, Festivals, Fotoshootings und Filmaufnahmen ist Bantry House zu haben. Für „Jenseits des Ozeans“ nach einem Buch von Rosamunde Pilchers Sohn Robin stand Hardy Krüger junior hier vor der Kamera.

    In den letzten Jahren hat sich die Teezeremonie zu einer guten Einnahmequelle entwickelt. Unter Steinsäulen können Besucher in Rattan-Sesseln auf der moosbewachsenen Terrasse sitzen und schwarzen Tee mit Milch, Scones, Irish Cream und Himbeermarmelade genießen, während sie über makellose Rasenflächen und 14 Rundbeete aufs Meer schauen. „Die Gärten wurden nach historischen Plänen aus dem 18. Jahrhundert restauriert“, erklärt Sophie Shelswell-White stolz. „Unser Blauregen ist 180 Jahre alt.“ Unkräuter, Moos und Grünspan, die zum Shabby-Chic beitragen, werden wohlwollend toleriert.

    Bei Regen können Teegäste in den Wintergarten ausweichen. An kalten Tagen empfiehlt die Gastgeberin den Tearoom im Westflügel, wo einst die Küche war. Fans historischer Fernsehserien wie „Downton Abbey“ fühlen sich sofort heimisch neben dem schwarzen, gusseisernen Ofen, wo früher die Mägde das Teewasser aufsetzten. „Der Herd, die Anrichte, die Töpfe und der Teekessel sind Originalstücke“, bestätigt Sophie Shelswell-White. Wer im Voraus reserviert, kann sich Sandwiches, Petits Fours und Schokolade auch in der Bibliothek auf dem Familienporzellan anrichten lassen. Für die Teepräsentation gibt es einen antiken Holzständer, genannt Tea Poy, der ausschließlich für Gäste bereitsteht. „Ich selbst nutze die Möbel, die nicht mehr als Ausstellungsstücke taugen“, verrät die Nachfahrin des Earls genügsam.

    Mit ihrem Mann Josh, der sich um die Buchhaltung kümmert, und ihrem Sohn Jacob bewohnt die 36-Jährige ein paar Räume im oberen Stockwerk. Der moderne Alltag der jungen Familie hat mit dem aristokratischen Lebensstil von damals nicht viel gemeinsam. „Auf Wi-Fi und Sky TV möchte ich nicht verzichten“, betont die Hausherrin. Dennoch ist sie sich bewusst, dass ein Herrenhaus, das fast 300 Jahre von derselben Familie bewohnt und betrieben wird, eine Rarität ist. Ihren Vorfahren auf den Ölpor­träts, die überall an den Wänden hängen, fühlt sie sich verpflichtet. „Ich führe das Haus jetzt in der zehnten Generation, und ich möchte nicht diejenige sein, mit der die Tradition endet“, sagt sie. Unerwartete Unterstützung erhält sie von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Um praktische Erfahrung zu sammeln, reisen Studenten in den Semesterferien nach Irland und restaurieren kostenlos alte Gemälde und Skulpturen – und davon gibt es in Bantry House jede Menge.