Zwei Männer, eine Idee: Auf Longboards und mit selbst gebauten Anhängern fahren die Freunde sechs Tage lang durch ihre Heimat

    Zwei Männer hocken unter einer Plane, Regen prasselt auf ihr improvisiertes Dach. Sie schmieren Nougatcremebrote zum Frühstück und reisen in Gedanken in die Vergangenheit. Sie kennen die Gegend, durch die sie seit ein paar ­Tagen rollen, sehr genau: das Bergische Land. Hier haben sie gemeinsam Kindheit und Jugend verbracht. Damals ­frisierten sie ihre Mopeds, schafften sie auf verschlungenen Wegen in ungenutzte Steinbrüche und heizten um die ­Wette.

    „Wann war das noch mal?“, fragt Oliver Spies, einer der Männer unter der Plane. Sein Freund Kristian Mierzwa denkt kurz nach. „Vor 30 Jahren.“ „Du meine Güte, sind wir alt geworden!“ Am Wegrand stehen wie früher zwei Zweiräder – allerdings im Querformat. Sie haben Ähnlichkeit mit Rikschas, wie sie traditionell in Asien gefahren werden. Oliver und Kristian dienen sie als metallene Lastesel, wenn sie mit ihren Longboards – wie Skateboards, nur länger – auf Radwegen, Landstraßen und asphaltierten, stillgelegten Bahntrassen durch das Bergische Land gleiten. Sechs Tage und 180 Kilometer im Gleitzeit-Modus.

    Aus einer Laune heraus planten sie diese Rikscha-Tour

    Die Longboard-Rikscha ist echte deutsche Ingenieurskunst, nämlich eine Erfindung von Oliver Spies. Die Idee kam dem Gründer des Surf- und Skaterlabels Langbrett während einer Surftour in Kalifornien. Um mit dem Surfbrett zu für Autos gesperrten Strand­abschnitten zu gelangen, benutzen die Kalifornier unmotorisierte Transportwagen. Oliver sah sie sich genau an, kopierte, tüftelte und verbesserte. Am Ende hatte er seine Longboard-Rikscha. Mit ihr ist er in den Jahren darauf die gesamte Westküste von Kalifornien ­hinunter, durch Frankreich und durch England gerollt. Seiner Rikscha hat er einfach alles aufgeladen, was er zum Campen braucht.

    Kristian und Oliver fahren jedes Jahr einmal zusammen in den Urlaub. Sie sind die Art beste Freunde, die man monatelang nicht hört und sieht und mit denen dann beim Wiedersehen trotzdem alles wieder so wie früher ist. Aus einer Laune heraus entschließen sie sich in diesem Jahr zu einer Rikscha-Tour. Und ein Zufall führt sie ausgerechnet in ihre alte Heimat. Die Gegend ist perfekt dafür geeignet. Die Freunde gleiten durch alte Hohlwege, Baumwipfel bilden ein schützendes Dach. Auf ebenem Untergrund rollt die Rikscha am besten, aber zur Not und mit ein wenig Kraft kann man sie auch über ein Stoppelfeld ziehen.

    Die Wege im Bergischen Land führen seicht bergauf und -ab. Bergabwärts stehen die Männer einfach nur auf ihren Longboards, manchmal eine Stunde lang, müssen nicht ein einziges Mal den Fuß absetzen, genießen die Fahrt. Auf steileren Streckenabschnitten wird das Gespann Mensch-Rikscha 50 Stundenkilometer schnell. Oliver Spies: „Du denkst: Hurra, ich fliege!“ Kristian Mierzwa: „Wenn wir diese Wege doch nur früher für unsere Mopeds entdeckt ­hätten.“

    Kristian Mierzwa steht zum ersten Mal auf einem Longboard. Macht gar nix, denn das Gefährt ist ideal für Einsteiger. Zehn Minuten Probefahrt, dann kann es bereits losgehen. Die Rikscha verleiht dem Longboardfahrer viel Stabilität und ersetzt den Rucksack – mit dem man wegen des hohen Schwerpunkts auf längeren Touren ohnehin bald schon die Lust verlieren würde. Vor allem aber: Eine Rikscha trägt sehr viel mehr, als man in einem Rucksack schultern kann.

    Allein 60 Kilogramm hat Oliver Spies eingepackt, unter anderem einen Schlafsack und ein Zweimannzelt für die Nächte. Er ist gern draußen unterwegs, aber auf keinen Fall mit Hightech-Jacke aus fünf wasserabweisenden Schichten, Solar-Akku fürs Handy und „Göffel“, wie er abschätzig jene leichtgewichtige Mischung aus Gabel und Löffel nennt, die in so manchem Campinggepäck zu finden ist. Oliver reist aus Prinzip mit Keramikteller, komplettem Besteck, richtiger Tasse und Schokocremeglas. Wer eine Rikscha hinter sich weiß, kann sich derartigen Luxus leisten.

    Jede Menge Vertrautes erwartet die beiden Freunde im Verlauf der Tour. Bestens bekannte Ortsnamen. Die ­Agger, in der sie sich früher von der Strömung kilometerweit treiben ließen. Der Duft von Kiefern und Buchen. Oliver Spies hat den Wald schon als Kind geliebt. „Mein Vater war Jäger. Es war das Größte, wenn er mich mit in den Wald nahm.“

    Doch einige Facetten ihrer Heimat lernen die beiden erst jetzt kennen. Wie ein Besessener liest Oliver Spies die Informationstafeln am Wegesrand, besichtigt verlassene Dorfkirchen. Das Oberbergische Land ist eines der wasserreichsten Gebiete Deutschlands. Flüsse, Seen und Steine bestimmten hier lange das Leben der Menschen, die ab dem späten 19. Jahrhundert Wasserkraft zur Stromerzeugung nutzten. In den Tälern der oberen Wupper stand ein Großteil der deutschen Pulvermühlen. Manchmal blicken sich Oliver Spies und Kristian Mierzwa verwundert an: Warum wussten wir das bislang nicht? Klar, damals waren sie jung und dachten vor allem an ihre Mopeds. Mit ein paar Jährchen auf dem Buckel und mit Langbrettern unter den Füßen aber errollt sich die Heimat viel eindrucksvoller.