Mal angenommen, Sie schlendern durch Taormina, die Perle an der Ostküste Siziliens. Oder Sie kaufen Eintrittskarten fürs Schloss Neuschwanstein. Oder Sie schauen sich den täglichen Wachwechsel vor dem Buckingham Palace in London an. Was sehen Sie auf jeden Fall? Richtig, immer mindestens drei japanische Reisegruppen. Und was sehen Sie noch? Zahllose Souvenirläden, die zwar vollgestopft sind mit irgendwelchem Krimskrams, aber gleichzeitig immer auch verwaist sind. Aber für Sie ist das nicht überraschend, denn Sie würden sich den überteuerten chinesischen Plastikramsch – über 90 Prozent aller Souvenirs weltweit werden im Reich der Mitte produziert – ja sowieso niemals kaufen. Und bestimmt haben Sie sich deswegen schon ein paarmal gefragt: Wieso gehen diese Souvenirläden eigentlich nicht pleite?

    Weil es glücklicherweise so viele japanische Touristen gibt. Und die fühlen sich traditionell dazu verpflichtet, ihren Familien, ihren Freunden, ihren Kollegen, ihren Bekannten, ihren direkten Nachbarn sowie den Freunden und Verwandten ihrer Familie und Freunde und Kollegen und direkten Nachbarn etwas von ihren Reisen mitzubringen. Und sei es auch der allergrößte Tinnef.

    „Giri“ heißt dieses Konzept von Geben und Nehmen, für das es in Japan mehr als 50 Anlässe gibt und das den Beschenkten dazu verpflichtet, jedes Geschenk zu erwidern. Diese Tradition des Schenkens und Beschenktwerdens, die dazu dient, die Harmonie zu stärken, hat jedoch viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung verloren. Junge Japaner kritisieren bereits zunehmend die Belanglosigkeit der hemmungslosen Schenkerei ohne Rücksicht auf den Geschmack und die Vorlieben des Beschenkten. Wenn Sie also demnächst auf einer Japanreise von ihren Gastgebern das Schloss Neuschwanstein in einer Schneekugel feierlich in die Hand gedrückt bekommen, wissen Sie warum. Auch in Japan herrscht nicht unendlich Platz in den Vitrinen.