Der Naumburger Dom gehört jetzt zum Unesco-Welterbe. Außerhalb der Stadt lockt eine Qualitätsweinregion

    Steile 202 Stufen sind es bis hinauf zur Türmerwohnung, und weitere 40 bis auf die Aussichtsplattform. Die Puste ist weg, aber es hat sich gelohnt: Der Ausblick aus knapp 54 Metern Höhe vom Wenzelsturm auf die Stadt Naumburg und die sanften Hügel, die sie umgeben, ist grandios. Wir schauen auf den Marktplatz mit seinen restaurierten Bürgerhäusern, sehen das Haus, in dem der Philosoph Friedrich Nietzsche einst lebte. Ein Bauwerk aber dominiert die gesamte Szenerie: der Naumburger Dom St. Peter und Paul, ein architektonisches Meisterwerk aus dem Mittel­alter, rund 800 Jahre alt. Erst am vergangenen Sonntag war verkündet worden, dass der Dom in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Endlich, jubelten die Einheimischen. Es war nach 2015 und 2017 der dritte Versuch.

    Gründe für die Anerkennung gibt es viele. Allen voran die zwölf gotischen Stifterfiguren im Inneren des Doms. Uta, die prominenteste von ihnen, ist nicht nur berühmt, weil nach ihr so gerne in Kreuzworträtseln gefragt wird, sondern auch, weil sie bis heute als eine der schönsten Frauenstatuen Deutschlands gilt. Ihr kühner Gesichtsausdruck, den manche als stolz bezeichnen, andere als missgünstig oder arrogant, hat schon zu vielen Interpretationen ­geführt: Die Nationalsozialisten etwa missbrauchten sie als deutsches Frauenideal, Walt Disney diente sie als Vorbild für Schneewittchens böse Stiefmutter. Mindestens genauso interessant ist eine andere der zwölf Figuren im Westchor des Doms: Reglindis, die an der Seite ihres Mannes Hermann von Meißen steht. Das Außergewöhnliche: ihr ausgesprochen fröhlicher, fast schon frecher Gesichtsausdruck.

    Die liebliche Landschaft erinnert an die Toskana

    Der Naumburger Meister, wie der Bildhauer, dessen Name unbekannt ist, genannt wird, hat jede einzelne der Stifterfiguren mit individuellen, leibhaftig wirkenden Gesichtszügen versehen, die für das Mittelalter beispiellos sind und deren Anblick einen heute noch berührt.

    Noch länger als den Dom gibt es den Weinbau in der Region. Die erste urkundliche Erwähnung von Weinbergen stammt aus dem Jahr 998. Saftig grüne Hügel mit Rebreihen, die akkurate Linien bilden, und weiß getünchte Weinbergshäuschen, die in der Sonne leuchten: Bei einer Tour auf dem Unstrut-Radweg stellt sich durchaus ein gewisses Toskana-Gefühl ein, so lieblich ist die Landschaft hier. Saale-Unstrut, das vor allem in Sachsen-Anhalt und zu kleinen Teilen in Thüringen und Brandenburg liegt, ist die nördlichste Qualitätsweinregion Europas. Auf insgesamt 760 Hektar Fläche wachsen hier Reben. Als Spezialitäten der Region gelten Müller-Thurgau, Silvaner, Weiß- und Grauburgunder und rote Weine wie Spätburgunder, Dornfelder und Portugieser. Sie gedeihen auf Terrassenweinbergen mit jahrhundertealten Trockenmauern.

    „Breitengrad 51“ ist nicht nur die geografische Koordinate der Region, sondern auch der Name einer Vereinigung von acht ambitionierten Winzern, deren Erzeugnisse zum nationalen Spitzensortiment zählen. Einer von ihnen ist Matthias Hey. Auf seinem Hof machen wir mit unseren Rädern Rast. Der Mittdreißiger gilt als einer der Shootingstars der regionalen Weinszene. Er hat nach dem Abitur im Rheingau und in Italien Weinbau studiert, dann kehrte er zurück nach Hause und machte aus dem Hobbyweinberg seiner Eltern ein professionelles Weingut. „Während anderswo in Deutschland mehr und mehr Weinberge brachliegen, entstehen bei uns immer mehr kleine Weingüter“, sagt der Winzer stolz.

    Matthias Hey betreibt wie die meisten Winzer eine Straußwirtschaft: Zum Wein serviert er auf seinem Hof einfache Gerichte wie Schmalzbrot – oder Fettbemme, wie es hier genannt wird –, Suppe und belegte Brote. Wer wie wir auf dem Unstrut-Radweg unterwegs ist, sieht unzählige dieser Wirtschaften, die zum Einkehren einladen.

    Doch wir müssen heute noch 30 Kilometer weiter, immer an der Unstrut entlang, die sich sanftmütig durch die Weinberge schlängelt. Plötzlich taucht vor uns ein Glaskubus auf, der wie ein gerade gelandetes Ufo auf einem Acker steht. Es ist die Arche Nebra, ein Dokumentationszentrum, das sich mit der geheimnisvollen Himmelsscheibe befasst, die hier ausgegraben wurde. Allerdings nicht von Archäologen, sondern von Raubgräbern. Per Sonde hatten ­diese das metallene Objekt aufgespürt und versuchten es zunächst auf dem Schwarzmarkt und schließlich an ­Museen zu verkaufen. Die Polizei fasste sie schließlich mit einer fingierten ­Kaufanfrage.

    Zum Glück. Denn heute weiß man, dass die Himmelsscheibe, die einen Durchmesser von 32 Zentimetern hat und etwa 3600 Jahre alt ist, die älteste Himmelsdarstellung der Welt ist. Experten messen ihr eine Bedeutung bei, die sogar vergleichbar ist mit jener der Pyramiden in Ägypten. Sonne, Mond und Sterne – auch wenn die Scheibe aus der Bronzezeit auf den ersten Blick schlicht aussieht, ist sie doch Ausdruck komplexen astronomischen Wissens. In der Arche Nebra wird das dokumentiert.

    Die originale Scheibe ist hier allerdings nicht zu sehen, sie ist im Landesmuseum in Halle ausgestellt. Das schauen wir uns dann vielleicht bei unserem nächsten Besuch in Sachsen-Anhalt an.