Lieber Herr Oldigs,

wozu eine Nacht in Niebüll verbringen? Den Ort, den Syltreisende vor allem vom Zugfenster aus kennen, wenn sie über den Hindenburgdamm auf die Nordseeinsel fahren. „Niebüll ist nicht so teuer, und von hier aus kann man tolle Tagesausflüge auf die Inseln machen, nach Flensburg, nach Dänemark“, sagten Sie. Seit 45 Jahren betreibt Ihre Familie den Hotelbetrieb.

Nun haben Sie ein ganz besonderes Schätzchen für Ihre Gäste in der Vermietung: Das vielleicht kleinste Hotel im Norden. Es hat nämlich nur ein Zimmer. Aber was für eines! Hier oben im ehemaligen Wasserturm direkt am Bahnhof Niebüll schläft der Gast in rund zehn Meter Höhe. Rapunzelgefühl, nur ohne die langen Haare, und statt eines Prinzen sind vom Schlafzimmer aus Bahnsteige und wartende Reisende zu sehen.

Mein Reich sind 50 Quadratmeter Wohnfläche, verteilt auf vier Ebenen. Im Erdgeschoss sind Bad mit Dusche und die Toilette. Über eine Stahltreppe mit 79 Stufen geht es über zwei Zwischenebenen mit Fernsehecke, Minikühlschrank und Mikrowelle hinauf ins Turmzimmer mit einer Pantry-Küche. Weil das Gefühl in dem runden Zimmer mit den acht riesigen Fenstern so einmalig ist und die Besitzer, die Sylter Henning Lehmann und Öger Akgün, den Turm modern und gemütlich eingerichtet haben, will ich gar nicht mehr raus. Nur einmal kurz die Paar Schritte zur Sauna des angeschlossenen Hotels Insel Pension.

Dass der historische Turm von 1926 noch steht, ist ja der Kreishandwerkerschaft Nordfriesland-Nord zu verdanken. Denn die Sanierung und Restaurierung wurden zu einem Ausbildungsprojekt für Lehrlinge im Baugewerbe. Architekt Lehmann und Unternehmer Akgün haben den Turm dann gekauft. Zum Glück, sonst wäre er vielleicht verfallen. Beim Abendbrot dann ein Blick ins Gästebuch. Weil der Wasserturm erst seit August vermietet wird, waren es noch nicht viele. Aber alle bisherigen Gäste sind begeistert: „Als Bahnfans finden wir es ausgesprochen toll, dass bestehende Bauwerke so eine neue Nutzung erfahren“, schreibt Familie Rose aus Erfurt. Und Gäste aus Zürich schreiben: „Natur und Technik prägen hier die Landschaft. Und wir mittendrin.“

Allerdings – mittendrin! Die Fenster sind zwar schallisoliert, der Wind, der ums Gebäude heult, ist dennoch zu hören. Am nächsten Morgen um 5.56 Uhr, wenn unten die Durchsage zu hören ist: „Der RE 6 nach Hamburg Altona, Abfahrt 6.03 Uhr“, stört das nicht. Dann drehe ich mich einfach noch einmal um in dem Doppelbett und schlafe weiter.

Herzliche Grüße Geneviève Wood