Amrum-Odde. Seit etwa zehn Jahren gibt es im Wattenmeer zwischen Amrum, Sylt und Föhr ein neues Eiland. Wer möchte, kann mit Führer dorthin wandern.

Nichts ist im Wattenmeer so beständig wie die Veränderung. Riesige Sandbänke mit Neuland wandern 30 Meter pro Jahr; was jahrzehnte-, jahrhundertelang bestand, verschwindet – und Neues taucht aus der Nordsee auf. Im Dreieck der Inseln Amrum, Sylt und Föhr trotzt seit wenigen Jahren eine Sandbank den Fluten und Stürmen, die bei normalem Hochwasser nicht mehr überflutet wird. Irgendwann war sie einfach da; seit rund zehn Jahren spricht man von der Kormoran-Insel. Man sollte mal hin – solange es sie gibt. Denn das ist im Wattenmeer nie sicher.

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    Nationalpark-Wattführer Dark Blome verteilt die Wathosen. Wattwanderungen im Winter haben ihren ganz besonderen, eigenen Reiz – einsam und weltverloren. Wir stehen allein in der Einsamkeit der Amrum-Odde, dem nördlichsten Zipfel dieser Insel, ziehen die Wathose bis zur Schulter hoch und obendrüber eine Warnweste. „Damit die Leute von der Seenotrettung wissen, dass wir es sind – ich melde mich jetzt bei der Besatzung des Seenotrettungskreuzers und beschreibe unsere Route“, erklärt Dark.

    Ein paar Hundert Meter im Watt vor der Amrum-Odde verläuft ein dicker Priel. Wir müssen heute früher als üblich los und stehen bald bis zur Hüfte im Wasser. Es strömt mit einem unheimlichen Sog der abziehenden Nordsee hinterher und drückt auf die Wathose, zerrt an den Beinen. Nach knapp 50 Metern steigt der Untergrund wieder an, wir haben den Priel geschafft und stehen nun auf einer Wattfläche, die bei Niedrigwasser Richtung Nordost bis zum fernen Föhr reicht.

    Tempo und Wasserstand definieren das Zeitfenster, das uns auf der Kormoran-Insel bleibt. Um den Rückweg nach Föhr zu schaffen. Von dort nach Amrum zurückzumarschieren, ist unmöglich – das Wasser wird dann schon wieder viel zu hoch stehen, und die Priele werden reißende Ströme sein. Wer ohne kompetente Führung geht, zu spät hinausläuft oder sich im Irrgarten der Sandbänke und Wasserläufe verirrt, ist ganz schnell in Lebensgefahr. Gut also, mit einem versierten Wattführer wie Dark Blome unterwegs zu sein, und gut zu wissen, dass die Leute von der Seenotrettung wissen, dass wir unterwegs sind.

    Die Kräfte des Meeres formen einige Inseln ständig neu

    Die Kormoran-Insel bekam ihren Namen vermutlich von ebendiesen schwarzen Vögeln, die da draußen oft auf einigen Sandbänken sitzen. Die Gegend, in der sich der Sand aus dem Meer erhoben hat, ist auf Seekarten eigentlich als Liin-Plate verzeichnet, man nennt die Bank deshalb auch Liin-Sand. Ob sich dieser Sand einst zu einer Dünen-Insel entwickelt, ist unabsehbar; denn zu veränderlich und zu vergänglich sind diese Gebilde. Eine „Insel“ ist sie nicht. „Die Kormoran-Insel hat sich im vergangenen Jahr vielleicht etwas verkleinert“, schätzt Dark. „Die nördliche Spitze ist kürzer geworden. Aber eventuell verlagert sich der Sand auch nur – daran erkennst du die unglaubliche Dynamik hier im Wattenmeer; nichts ist morgen, wie es gestern noch war!“ Sagt Dark und schlägt die Marschrichtung Nord ein.

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      Deutlich sind die Sandbänke modelliert, dazwischen immer wieder kleine Ströme, die dem großen Priel zufließen. „An dieser auffällig und deutlich geformten Landschaft erkennst du, dass hier besonders starke Kräfte der Gezeiten arbeiten – wenn zum Beispiel auflaufendes Wasser Sand gegen die Wellen transportiert, entstehen diese steilen Sandbänke, die beinahe wie Dünen unter Wasser aussehen.“ Inzwischen sind wir weit draußen; Amrum ist zwar noch zu erkennen, verschwindet langsam aber. In der Ferne wird Föhr sichtbar. Wir sind allein und vollkommen isoliert unterwegs und haben bald den „Point of no Return“ erreicht; umkehren und nach Amrum zurück – das können wir nicht mehr.

      Der morgendliche Hochnebel ist einer bleigrauen Wolkendecke gewichen, in der eine fahle Wintersonne steht, die wie ein Vollmond wirkt. Die Fläche ist öde, wüst und leer. Wir sind unterwegs, völlig losgelöst von Raum und Zeit, die Schritte schlagen in den Boden, Schritt um Schritt, Stunde um Stunde. Es weht ein kühler, strammer Wind. Wir sind so dick angezogen, dass wir wie sonderbare Astronauten wirken; und tatsächlich sind wir auch in einem unbekannten Kosmos unterwegs.

      Seehunde liegen im Sand und beobachten die Besucher

      Im Gegenlicht dieser gespenstisch lahmen Sonne glitzern die Wasserflächen und das nasse Watt trotzdem wie Silber. Dark, auf dem Weg von irgendwo nach nirgendwo, wirkt darin wie ein flüchtiger schwarzer Schatten. Nun senkt sich die Fläche ab, und die Schritte durch knöcheltiefes Wasser werden schwer. Die nachfolgende Sandbank ist dann schon wieder deutlich strukturierter, wir gehen bald über feine Sandrippel. Das ist ein Indiz für stärkere Dynamik, für Strömungen, wie sie oft in Insel- oder Sandbanknähe auftreten. Und siehe da: Das, was lange am Horizont kaum zu erkennen war, erscheint plötzlich sehr viel näher – die gelbe uhrglasförmige Sandbank. Außerdem entdeckt Dark mehr und mehr Torflinsen, ein Indiz dafür, dass hier einst festes Land war. Keine Frage, wir sind im Anmarsch auf die Kormoran-Insel.

      Wir erkennen die sichelförmige Sandbank nun deutlich. Sie erhebt sich einen guten Meter über dem mittleren Hochwasser des Watts. Seehunde liegen im Sand. Längst haben sie uns entdeckt, sind aber nicht beunruhigt und bleiben liegen. Sie beobachten uns, wir halten Abstand. „Den direkten Weg auf die Kormoran-Insel nehmen wir hier also nicht“, sagt Dark, „die Tiere dürfen nicht gestört werden.“ Außerdem ist der direkte Weg an dieser Stelle durch einen tiefen Kolk, eine Lagune, versperrt. Die große, lang geschwungene Bucht der Kormoran-Insel auf ihrer strömungsabgewandten Seite zur Linken marschieren wir noch ein paar Hundert Meter weiter nach Nordost.

      Als wir den letzten Priel queren und der Untergrund sich ändert, eben statt rippelig, haben wir den Sockel der Liin-Plate und damit die Kormoran-Insel erreicht. Der erste Spülsaum mit seinen Muscheln und Seegras zeigt den letzten Wasserstand an, dann folgt eine freie Sandfläche und ein weiterer Spülsaum, diese Abfolge setzt sich fort bis nach der letzten Hochwassermarke, wo nur noch weicher, vom Regen gezeichneter und unverspülter Sand folgt. Das ist die Fläche, die kaum noch überflutet wird.

      Nun klirren die Schritte zuerst in Muschelschalen, dann in den weichen Sand. Endlich können wir die schweren Rucksäcke ablegen. Der unablässige Wind heult und jagt prasselnd Sandkörner vorüber. Ich lege meinen Rucksack in den Wind und mich selbst dahinter. „Eine Dreiviertelstunde haben wir hier“, sagt Dark, „nicht mehr. Wir müssen sehr pünktlich nach Föhr zurück, das Hochwasser läuft heute höher auf.“ Die Aufenthaltsdauer ist abhängig von der Wandergeschwindigkeit und dem gemeldeten Wasserstand; es kann manchmal auch nur eine Viertelstunde sein. Dark telefoniert, gibt die Position durch, dass wir gut angekommen sind und wohin wir wann zurücklaufen. Man fühlt sich sicher. Und es ist ein schaurig-schönes Gefühl, hier draußen zu sein; an einem Ort, an dem nur wenige Menschen waren. Und nun im Winter, zu einer Zeit, in der alles noch stärkerer Veränderung und dem Regime von Wasser, Wind und Wellen bedingungslos unterworfen ist. Es ist exklusiv, mittendrin in der Natur zu sein – und so weit weg. Dort, wo allein die Elemente bestimmen; es ist pure Wildnis.

      Die Weite der Insel wirkt wie eine surreale Wüste

      Nach der Rast erkunden wir „unsere Insel“. Wir gehen nach Westen, zur offenen See. Hier und am Ufer des Hörnum-Tiefs arbeiten die Kräfte der Nordsee, die das Entstehen so einer Sandbank überhaupt möglich machen, sie aber jederzeit wieder abräumen können. In die Melodie des ewigen Windes mischt sich nun das Brausen der See, die Elemente wirken kräftiger, gewaltiger, beinahe bedrohlich. Der Mensch fühlt sich hier draußen einsamer und verletzlicher, ja verloren fast.

      Die Weite der völlig kahlen Kormoran-Insel wirkt wie eine surreale Wüste im Wasser, wie etwas, das es dem Verstand nach hier eigentlich nicht mehr geben kann. Wir suchen nach Indizien von erster Besiedlung; von etwas, das den weiteren Weg dieser Sandbank zu etwas mehr, etwas Höherem, ausmacht – und finden doch nicht einmal ein Büschel Pioniergras. Diese Sandbank ist noch viel zu jung, als dass sich schon irgendetwas dauerhaft angesiedelt hätte; obwohl schon Paare von Seeschwalben und Austernfischern beobachtet wurden, aber für Dark Blome sind Ausflüge hierher zur Brutzeit tabu.

      Dark allerdings entdeckt an der „Westküste“ etwas, das er während seines letzten Besuchs noch nicht gesehen hat: Placken von Torf und Lehm sind von den Wellen freigespült – deutliche Erosion also, die Nordsee nagt wieder am Liin-Sand. Einst war das hier festes Land, sonst gäbe es keinen Torf. Dann holte sich die Nordsee das Land, um es Jahrhunderte später, im ewigen Spiel von Werden und Vergehen, wiederauferstehen zu lassen.

      Die See draußen dröhnt und brüllt. Höchste Zeit für uns, diese fremde Welt wieder zu verlassen. Immerhin, eine Stippvisite in dieser Zwischenwelt sei gestattet. Doch der Rückweg ist noch lang. Und über die Sandbank weht der Wind eine leere Plastikflasche; auf dem Weg von irgendwo nach nirgendwo, ohne Anfang, ohne Ende. Heute hier und morgen fort; wie ein Sinnbild für diese ferne Welt hier draußen.

      Tipps & Informationen

      Wanderungen Die Wanderung zur Kormoran-Insel/Liin-Sand gibt es auch im Winter als Alternative zur üblichen Wattwanderung von Amrum nach Föhr. Die Planung ist abhängig vom Wetter und den Gezeiten sowie dem Wasserstand und davon, ob die Zeitfenster mit dem Fährfahrplan zusammenpassen. Für den Weg ist eine sportliche Kondition erforderlich, die Strecke ist rund 13 Kilometer lang. Die reine Laufzeit beträgt vier Stunden. Die Tour kostet mindestens 150 Euro, ab sechs Teilnehmern sind es 25 Euro pro Person. Es werden maximal 20 Leute mitgenommen. Weitere Informationen auf der Webseite von Dark Blome: www.der-inselläufer.de.

      Unterkunft auf Amrum Schöne Ferienwohnungen in dem Ort Nebel im Haus Waashüs, ab 60 Euro pro Nacht. www.amrum-waashues.de. Besonders empfehlenswert ist das Hotel Friedrichs. Ein Doppelzimmer mit Frühstück kostet mindestens 90 Euro pro Nacht (www.hotel-friedrichs.com).