Tofino. Das einst verschlafene Fischerdorf an der Westküste von Vancouver Island ist heute Ziel für Abenteurer, Aktivurlauber und Romantiker.

Ein Bier am Pazifik. Jetzt, in der Abendsonne. Das wär’s. Kieran kann das gut verstehen. Aber – kein Alkohol in der Öffentlichkeit. Auch nicht am Strand. Die kanadischen Regeln sind da ganz eindeutig. Doch die Augen des Gesetzes sind nicht immer geöffnet, verrät der geborene Kanadier mit irischer Abstammung augenzwinkernd und führt uns zum nächsten Liquor Store. Auch er liebt das Local Beer und hat für jeden von uns einen guten Tipp im Gepäck. Was soll es sein? Etwas Leichtes wie ein Lager? Ein Hochprozentiges wie Pale Ale? Ein Dunkles wie Stout? Mehr als 50 Brauereien gibt es in der kanadischen Provinz British Columbia, wovon die meisten in Vancouver und Victoria zu finden sind. Was auch immer man probiert – es schmeckt! Und so stehen wir barfuß im weichen Sand am Chesterman Beach in Tofino, nippen an unseren Halbliterflaschen und sehen den Surfern zu, die in aller Muße auf ihren Brettern durch die Wellen in den Sonnenuntergang reiten.

Dass der Ort auf Vancouver Island ein Höhepunkt der Reise sein wird, zeichnet sich bereits am ersten Morgen ab, beim Betreten des großzügigen Frühstücksraums der Long Beach Lodge – ein Start in den Tag mit Wow-Effekt. Deckenhohe Glasfronten geben den Blick frei auf den nur wenige Meter entfernten Pazifik, über dem neblige Schleier und erste Sonnenstrahlen liegen. Im Hintergrund läuft Musik der Beatles, die jungen Bedienungen, die hier oftmals nur den Sommer über arbeiten, bevor sie dann weiterreisen nach Europa oder Asien, bringen frischen Obst­salat oder Scrambled Eggs. Das Richtige für alle Aktiven, denn Sport – vor allem Surfen – spielt hier eine große Rolle. Die Strände rund um Tofino sind ein beliebtes Ziel für Wellen­reiter, die hier nicht nur brandungsstarke Wellen, sondern auch ein passendes Umfeld und eine besondere Mentalität finden: lässig entspannt, naturverbunden, irgendwie retro und gleichzeitig voll im Trend.

Erst seit 1959 ist der Ort durch eine Straße verbunden

Genau diese Mischung ist es, welche die Atmosphäre in Tofino ausmacht. Obwohl – die Ruhe hier und der spürbare Abstand zur Hektik des Alltags haben sicherlich auch mit der geografischen Lage des Ortes zu tun. Denn nach Tofino zu kommen ist nicht ganz so leicht. Das einst verschlafene Fischerdorf, Ziel vieler Aussteiger und Vietnam-Veteranen, umgeben von Regenwald und Reservaten, ein paar Inseln und dem Pazifik, war viele Jahre nur per Boot oder Wasserflugzeug erreichbar.

Erst seit 1959 ist der Ort über eine Straßenverbindung, den Highway 4 über Parksville nach Nanaimo, an die Ostküste der Insel angebunden und damit auch an Victoria, seit gut 130 Jahren die Hauptstadt British Columbias. Die Route führt in einer endlos wirkenden ­Kurvenhatz quer durch die Bergwelt der rund 32.000 Quadratkilometer großen Insel, die zu den schönsten Naturlandschaften Kanadas zählt.

Allein von Nord nach Süd durchquert man unterschiedlichste Formen von Besiedlungen und Natur. Dichte immergrüne Wälder im Norden, liebliche Farmlandschaften im Süden, tiefe Buchten im Westen und bis zu 2000 Meter hohe Bergketten im Inselinnern.

Postkartenmotive wie tiefgrüne Seen, dicht bewaldete Berghänge und Mammutbäume

Der Weg nach Tofino ist eine Traumstrecke für Motorradfahrer – wir aber sitzen in einem eher wenig komfortablen, weil kaum gefederten Bus. „Macht es euch gemütlich“, sagt Warm, der blond bezopfte gebürtige Niederländer, bevor er das Fahrzeug startet. „Ich hoffe, es stört keinen von euch, wenn ich meine Playlist spiele?“, fragt der 27-Jährige noch, aber rein rhetorisch. Denn bevor wir überhaupt Zeit zum Nachdenken darüber haben, was denn ein junger Mann, der offensichtlich den sonnigen Californian Way of Life liebt, so mag, hören wir in den kommenden fünf Stunden staunend und erleichtert fast vergessene Oldies von Janis Joplin bis Otis Redding. Langsam schaukeln wir durch die unglaubliche Landschaft dieser Insel, an Postkartenmotiven vorbei wie tiefgrünen Seen, dicht bewaldeten Berghängen und riesigen Mammutbäumen und lassen uns von Musik der 60er-Jahre, Folk und Indie-Pop, in eine Gegend bringen, die ihre ganz eigene Magie und Zeit hat.

Tofino, an der Spitze der Esowista-Halbinsel gelegen, hat nur wenige Straßen. Handgeschnitzte und selbst bemalte Schilder locken mit „Seaside Adventures“, „Wildlife Tours“ oder „Spa & Wellness“, Schmuckläden und Galerien bieten Kunsthandwerk an. In den Cafés rund um die kleinen Marinas mit den bunten Holzhäusern sitzen Surfer, Skateboarder und Kanuten neben Familien und Paaren, man hört Spanisch, Deutsch, Holländisch, Amerikanisch. Die Outfits sind praktisch, pragmatisch, sportlich. Anzüge? Pumps? Sieht man nicht. Tofino ist ein Treff für ­Surf- und Aktivurlauber. Bürogebäude? Fehlanzeige. Ein betriebsamer Alltag, wie wir ihn kennen, existiert hier nicht.

Große Entfernungen sind für Kanadier kein Problem

„Es geht nicht darum, viel Geld zu verdienen“, sagt Warm. Er hat einen sehr guten Schulabschluss. Hätte „mehr“ aus sich machen können. Aber er fährt gern Bus, hat dadurch immer wieder Zeit für sich und sein Hobby, das Surfen. „Es geht ums Glücklichsein“, sagt auch Kieran, der mittlerweile schon seinen siebten Job hat. Immer wieder eine andere Branche. Immer wieder was Neues. Film. Inneneinrichtung. Tourismus. What­ever. Wir staunen. „Wohlstandsideale sind mir nicht wichtig!“, sagt Warm. Das Individuelle zählt. Und das findet hier intensiv in der Verbindung mit der Natur statt.

Neid kommt auf. Es muss toll sein, ein ­Leben in solch einem Hideaway, in dem es ausreichend Zeit gibt für jene Dinge, die viel zu oft zu kurz kommen. Aber schnell kommen auch erste Zweifel. Fühlt man sich hier nicht manchmal auch abgeschnitten von der Welt? „Aber nein!“ Charles McDiarmid lacht. Große Entfernungen seien für Kanadier kein Problem, sagt der Besitzer des Wickaninnish Inn, eines der ersten Hotels am Chesterman Beach. „Drei Stunden zum nächsten Ort? So what?“ Der ­59-jährige durchtrainierte Manager entspricht in fast allem dem Bild, das wir von den Kanadiern hier bekommen haben. Er liebt seinen Job, den er mit Leidenschaft macht, er ist natur-, familien- und heimat­verbunden – und er surft. „Ich bin hier in den 60er-Jahren aufgewachsen“, erzählt er und ­erklärt, dass Tofino eine große Rolle spielte in der Hochzeit der Hippie-Ära: „Im Ort und an den Stränden standen mehr VW-Busse als in Wolfsburg!“

Auf Meares Island riecht es nach Erde, Laub und Holz

Fürs Studium ist er in die USA gegangen und hat in vielen internationalen Hotels gearbeitet. Aber wie so viele andere auch zog es ihn zurück in die Heimat. „Tofino hat mich nie losgelassen. Orte am Ende der Straße wie dieser haben Charakter – und tolle Charaktere!“ An beiden arbeitet er emsig mit. Seine Luxus-Lodge liegt direkt auf den Klippen am Pazifik. Ein Highlight nicht nur im Sommer, der hier kühl ist, sondern auch im Winter, wenn die Wellen bis zu den hohen Glasfronten schlagen. Verkauft wird Natur auf ihre schönste Weise. Ungezähmt. Wild. Stürmisch. „Storm Watching“ nennt man das Urlaubsmotto dann auch passenderweise. Und die Gäste kommen. Vor allem natürlich im Sommer. Dann wächst die Einwohnerzahl von 2000 auf das Zehn­fache an. Wer Sonne und Strandleben sucht, ist hier falsch. Hierher kommen Abenteurer, Romantiker, Naturliebhaber. Tofino ist einer der besten Ausgangspunkte für Whale Watching. Die Saison für die Walbeobachtung reicht von Mitte Februar bis Ende November und ist somit eine der längsten von ganz Vancouver Island. Jedes Frühjahr ­ziehen schätzungs­weise 20.000 Grauwale die Westküste entlang. Auf ihrem Weg nach Norden nutzen die Tiere die flachen Gewässer vor To­fino und dem Nachbarort Ucluelet gern als Raststätte: für Besucher und Einheimische eine optimale Gele­genheit, um die Wale von der Küste, vom Flugzeug oder vom Boot aus zu beobachten.

„Vorsicht beim Einsteigen!“, sagt Tyrell. Der 19-Jährige steht auf dem Bootssteg von T’ashiis Paddle School. Wir wollen durch den Clayoquot Sound, die Meerenge vor Tofino, paddeln. Im Wasser liegt ein Kanu, in dem zwölf Personen entspannt Platz finden. „Es ist handgearbeitet!“, erklärt uns der 19-jährige Indianer mit Stolz in der Stimme, auch wenn nicht er selbst der Künstler war. Unser Ziel ist Meares Island, ein Hauptteil des Reservats, in dem die Tla-o-qui-aht leben, ein Stamm der Nuu-chah-nulth. Das Wasser ist ruhig. Wir müssen erst unseren Rhythmus finden, der Steuermann gibt den Takt vor. Und schon bald gleitet das Kanu leichtgängig durch das Wasser.

Die Natur ist nicht nur Kulisse, sondern diktiert das Leben der Einheimischen

Nach einer knappen Stunde haben wir die Insel erreicht. Tyrell führt uns auf einem verschlungenen Pfad in den Regenwald, auf den Big Cedar Trail, einen knapp drei Kilometer langen Rundweg, der durch Holzstege und Treppen einen komfortablen Spazierganz durch den Dschungel ermöglicht. Es ist still, riecht intensiv nach Erde, Laub und Holz. Mächtige uralte Douglasien, bis zu 60 Meter ­hohe Riesenlebensbäume (Cedars), Sitka- und Hemlocktannen gedeihen in diesem sogenannten kalten Regenwald, im Unterholz wuchern zwischen totem Gehölz meterhohe Farne. Voller Stolz berichtet Tyrell über die Geschichte und die Traditionen des Stammes, erzählt uns vom Glauben und der Lebensauffassung der kanadischen Ureinwohner, von der Bedeutung der Bäume.

Hinter jeder Kurve, die der Weg macht, zeigt er uns begeistert ein noch mächtigeres Exemplar, einen noch dickeren Stamm, erklärt uns, wie die Moose entstehen, die wie Hexenhaar in den Zweigen hängen. Und wir verstehen allmählich, warum die ­Natur für die Menschen hier nicht nur eine grüne Kulisse ist, sondern wirklich das Leben eines jeden Einzelnen diktiert. Und dass es letztlich nicht viel braucht für ein glückliches Dasein. Natur. Familie. Freunde. Und vielleicht ab und an ein gutes Bier.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. mit Air Canada
von Frankfurt nach Vancouver.

Übernachtung z. B. Long Beach Lodge, DZ ab 190 Euro

Pauschal z. B. 7-tägige Mietwagenreise ab/bis Vancouver, inkl. 6 Übernachtungen, ab 779 Euro pro Person, Infos über www.dertour.de

Aktivitäten Kanu Touren, www.tofinopaddle.com; Walsafaris: www.jamies.com


(Die Reise wurde unterstützt durch Destination BC, Dertour und Air Canada.)