Die Region Apulien bietet nicht nur kulinarisch einiges, sondern auch Küstenorte wie aus dem Bilderbuch – eine Reise von Bari bis Leuca

Da sitzen sie, wie an jedem sonnigen Vormittag, an der Kaimauer von Gallipoli, kräftige Männer auf kleinen Holzhockern, und entwirren in aller Ruhe ihre rotblauen Netzknäuel – Luigi, Luca, Fabio und Nico. Aus einem Kofferradio schmettert, wirklich und wahrhaftig, Adriano Celentano sein unverwüstliches „Azzurro“ in die Gegenwart. Zwei Vespa-Roller, gut 30 Jahre alt, ­stehen aufgebockt neben den Fischern, und dann rumpelt auch noch ein ­dreirädriger, in Ehren verbeulter Kleintransporter in die Kulisse. Bella Italia, ein Bühnenbild. Nur die Touristen, die an dieser Szene vorbei zum Markt schlendern, um dort Seeigel, Garnelen, Calamari oder ­Muscheln zu fotografieren, nur sie, die Besucher aus dem ­Norden, nennen die Vespa und das Dreirad Kultfahrzeuge. Für Luigi und seine Kollegen sind es Arbeitstiere, ­fleißige Bienen.

Gallipoli, die überraschend „schöne Stadt“, „kali polis“, wie die griechischen Gründer sie vor über 2500 Jahren genannt haben: ein verwinkelt-liebenswertes Viertel auf einer zentralen Festungsinsel, davor ein kunstvoll ziselierter Brunnen aus der Antike, ein netter Stadtstrand, auf dem sich vor allem die Einheimischen mit ihren Bambini ­sonnen, bevor sie spätabends zum ­Corso aufbrechen, zum Bummel durch die Gassen, zum Eisgenießen, zu einer Portion Tiella – Miesmuscheln mit Kartoffeln, Reis und gehackten Zwiebeln – oder auch nur zu einer Bruschetta mit bestem Olivenöl, an der Kaimauer, aus der Hand gegessen, mit Blick auf das ­Ionische Meer.

Vielleicht hätte ich mit Lecce beginnen sollen, der viel bekannteren Hauptstadt der Weinregion Salento, einer Perle des Barocks. An der Basilica di Santa Croce, am Dom, an Palazzi und selbst an kleinen Kirchen in den Nebenstraßen sieht man Fresken vom Feinsten. Als ob das nicht reichen würde: ein Amphitheater aus der Zeit des Kaisers Augustus, erst 1905 entdeckt, eine wuchtige Festung, die Karl V. vor 500 Jahren errichten ließ. Und dazu die Versuchungen für Feinschmecker und Liebhaber der einfachen, natürlich-guten Küche des Mezzogiorno, des italienischen ­Südens.

Die Aromen des Südens auf der Zunge und in der Nase

Und was ist mit Bari, der Hauptstadt Apuliens, früher in Teilen als nicht ganz sicher und etwas schmuddelig ­verrufen? Es ist heute eine ansehnliche Großstadt mit liebevoll sanierter Altstadt, sehenswert schon wegen der Basilica San Nicola, in deren Krypta die Gebeine des historischen Nikolaus ­liegen, Vorbild für den guten Mann, der bei uns am 6. Dezember die Süßigkeiten verteilt. Hier wird er jeweils am 9. Mai mit einem großen Fest gefeiert.

Oder Trani, nur ein paar Kilometer nördlich, eine Hafenidylle, gesäumt von einem Halbrund an schönen alten Häusern, aus dem die Kathedrale ragt. Und Brindisi, wo eine Säule in der Altstadt das Ende der antiken Via Appia markiert. Vergil, der Poet, ist hier vor 2000 Jahren gestorben, und die Leute vor Ort verehren ihn bis heute. Und Otranto, wo die Griechen den Römern die Klinke in die Hand gegeben haben, ein Ort, der eine eigene Geschichte verdient hätte, schon um der Mosaiken in der Kathe­drale willen. Und noch ein Höhepunkt, im doppelten Sinne: Ostuni, die „weiße Stadt“ hoch über der Adriaküste. Das alles sind wunderschöne Städte, die große Lust auf noch mehr, auf ganz viele Reisen in den Süden Italiens machen.

Aber sind nicht die Zipfelmützenhäuser, die berühmten Trulli von ­Alberobello, und das Castel del Monte, die wuchtige, rätselhafte Burg des Stauferkaisers Friedrich II., die eigentlichen Attraktionen, die Symbole Apuliens? Auf jeden Fall sind beide Sehenswürdigkeiten an manchen Tagen deutlich überfüllt, im Gegensatz zu den Städten, in denen sich Besucher und Einheimische nicht wirklich auf die Füße treten. Dann schieben sich die Gruppen hier durch die Trulli-Gassen und dort über den sonnendurchglühten Weg hinauf zur mächtigen Burg des Falken von Palermo, wie eine Romanautorin den größten aller Stauferherrscher genannt hat.

Zwölf Tage nur waren wir unterwegs zwischen Bari und Leuca, der ­dramatisch schönen Südspitze. Nicht viel für diesen Mikrokosmos. Und doch haben wir, dem Motto dieser geführten Tour entsprechend, „Apulien in Muße“ erlebt: Landschaften zum Niederknien, sanfte grüne Hügel, der Toskana nicht unähnlich, Olivenhaine, Weinberge, spektakuläre Steilküsten. Kirchen und Kathedralen, in denen nahezu pausenlos geheiratet wurde, und wir wurden nicht selten aufs Gruppenfoto gebeten.

Ach, und die gemeinsamen ­Schlemmerabende in den Ristoranti auf den Piazze und an den Hafenrändern, auf alten Weingütern und Olivenplantagen, immer die Aromen der Region auf der Zunge, den Duft der Kräuter in der Nase. Die langen und guten Gespräche, der Gesang der Zikaden im Hintergrund. Der Geschmack und der Charme des Südens. Szenen, ­Stimmungen, wie sie, zugegeben, ­ähnlich auch anderswo am Mittelmeer möglich sind. Also waren es wohl letztlich die Begegnungen vor Ort, die uns Apulien, dieses uralte Bauern- und Kulturland am Absatz des italienischen Stiefels, nähergebracht haben, geplante, aber auch spontane Kontakte: Paola, die Juniorchefin auf der Masseria Asciano, die uns mit Tränen in den Augen von dem Bakterium Xylella fastidiosa erzählte, das mehr als die Hälfte ihrer 17.000 Olivenbäume befallen hat. Ivano, der mit einigen tapferen Freunden seit zehn ­Jahren gegen die Mafia kämpft und in seinem Laden in Mesagne und online Produkte verkauft, die auf Ländereien wachsen, die früher den Kriminellen ­gehört haben. Sechs Attentate hat er überlebt.

Oder Loretta Marcello, Chefrestauratorin in der Abtei Santa Maria di ­Cerrate, einer Ruine, die sie mit ihren Helfern, wie sie es nennt, wach küssen will, eine Arbeit, die der des Sisyphus nahekommt. Auch Maria, der Wirtin des kleinen Lokals oberhalb von Albero­bello, haben wir gern zugehört. Keine großen Gruppen, keine Chinesen, keine Japaner hatten sich bislang zu ihr verirrt. Mamma Maria mit der Kittel­schürze hatte ­also Muße, uns zu erklären, warum ihr Sohn, 32, Akademiker, noch immer zu Hause wohnt: kein Job, der seiner Ausbildung entspricht, die Mieten in der Stadt zu hoch, Bamboccioni, Nest­hocker, werden sie genannt. Fast die Hälfte aller Italiener unter 35 wohnt bei den Eltern, Wäscheservice inklusive.

Und dann war da noch der Polizist in der kleinen Bar in Lecce, in die wir vor einem Schauer geflüchtet waren. Eigentlich wollten wir nur einen Espresso trinken. Als dann aber der Sergente hereinkam und zu singen anfing, apulische Volkslieder, bei denen die Kellner mitsangen, mussten wir natürlich mit Wein anstoßen, diesmal mit einem ­roten Nero di Troia aus der Gegend um die Stauferburg.