Nur eine Fahrstunde von Helsinki entfernt liegt der Nuuksio Nationalpark – ein Gebiet mit einzigartiger Natur, seltenen Tieren und viel Magie

Pekka Väänänen ist bei der Polizei ein gefragter Mann. Der zuweilen wie ein Einsiedler lebende Finne kennt den Nuuksio Nationalpark vor den Toren Helsinkis wie kein Zweiter – und sollte sich mal einer der vielen Besucher in dem Biotop verirren und die Suchmannschaften wissen nicht weiter, „dann rufen sie mich“, wie der 56-Jährige stolz betont. An sieben Rettungsmissionen war er in den vergangenen 30 Jahren beteiligt. Dank seiner Erfahrung in der Wildnis wurden alle Vermissten gefunden, wenn auch nur sechs heute noch leben. Für Nummer sieben kam jede Hilfe zu spät.

Pekka, schlaksig und hager, mit wettergegerbtem Gesicht und tief in den Höhlen liegenden Augen, wundert sich manchmal über die Tatsache, dass sich Leute „in meinem Wald verlaufen“. Das sei aufgrund der Größe und der gut ausgebauten Wanderwege fast schon eine Kunst. Nur etwas mehr als 60 Quadratkilometer misst das mit Granitfelsen, Moorflächen, Bächen und Gewässern gesprenkelte Areal. Verglichen mit den meisten anderen geschützten Naturlandschaften Finnlands ein eher kleines Exemplar, das aber dennoch von Millionen Menschen im Jahr besucht wird. Die meisten kommen aus den angrenzenden Städten Espoo und Helsinki, wo sie nach wenig mehr als einer Stunde Fahrt mit dem Linienbus in Haukkalampi landen, dem kleinen Ort am östlichen Eingang des Parks. Und dann stehen die gestressten Großstadtseelen abseits der Zivilisation mitten in der Wildnis, einem Lebensraum, in dem sie sich nicht auskennen.

Die Besucher bräuchten Pfadfinderwissen

„Genau das ist auch das Problem“, urteilt Pekka. Er kenne nur noch wenige, die sich in einem Wald abseits bestehender Routen ohne technische Hilfsmittel orientieren können. Die sich von den richtigen Beeren und Pilzen ernähren und zudem wissen, wo diese zu finden sind. Und die unter den vielen Moosen, Flechten und Farnen des Parks einen sumpfigen Untergrund und tückische Wasserlöcher erkennen können. Dass seine Landsleute weltweit als Volk angesehen werden, das auf Tuchfühlung mit der Natur lebe, stimme schon lange nicht mehr. „Die Jugend lernt heute andere Sachen.“

Bei seinen eigenen vier Kindern wollte er es besser machen. Gleich nach der Geburt seines ersten Sohnes zog er von seiner Heimatstadt Hämeenlinna in das Gebiet des heutigen Nationalparks, um seinen Nachwuchs mit der Natur und dem Leben im Wald vertraut zu machen. „Viel besser als ein Kindergarten“, sagt er, „hier lernen sie wenigstens was fürs ­Leben.“ Er brachte ihnen bei, sich nach dem Stand der Sonne zu orientieren, zu fischen und zu jagen, wie sie mit den richtigen Materialien ein Feuer machen, und welche Kräuter einen hervorragenden Tee ergeben.

Pfadfinderwissen, das nach Pekkas Meinung auch die Besucher des Nationalparks gut gebrauchen können – weswegen er kurz nach der Gründung des Nationalparks beschloss, sein Wissen weiterzugeben. Von der Nationalparkverwaltung pachtete er einen rund 200 Jahre alten Gutshof in Kattila mitten im Wald und eröffnete das Hotel Green Window.

Wobei die Bezeichnung Hotel schon ein wenig in die Irre führt. Das Dutzend Zimmer im Haupthaus ist nur mit dem nötigsten eingerichtet, statt Pool und Restaurant gibt es Jugendherbergsbetten und Lampen, die Duschen befinden sich im Keller. Der größte Luxus sind eine elektrische und eine traditionelle Rauchsauna an einem nahen See. Auch Fernseher gibt es nicht. „Hat aber noch nie jemand vermisst“, betont Pekka, der manchmal zweifelt, ob seine Gäste das akzeptieren würden. Aber sie tun es!

Und das sei auch etwas, was Finnlands Touristiker seiner Meinung nach nicht verstehen – gerade in diesem Jahr, wo das Land im Dezember 100 Jahre Unabhängigkeit von Russland feiert. Um den erwarteten Besucheransturm zu bewältigen und sich von der modernsten Seite zu zeigen, entstehen allerorten Fünf-Sterne-Hotels aus Glas und Beton, auch in den Restaurants kommt vermehrt Haute Cuisine auf den Tisch. Aber das sei nicht Finnland, mäkelt er, „das ist nicht unser Stil.“ Der von ihm mit kleinen Holzstiften auf ein Birkenbrett genagelte und mit grobem Salz gepökelte Lachs, den er rund eine Stunde vor offenem Feuer garen lässt, sei schon das Höchste der Gefühle. Einfach, natürlich, traditionell. „Das ist alles, was zählt.“ Mit dem Öko-Tourismus, den er anbietet, will er diese Sichtweise seinen Besuchern ermöglichen. Rund 300 Tage im Jahr geht er in den Wald, führt seine Gäste über die Granitfelsen und auf alten Tiertrampelpfaden durch die Wildnis, geht mit ihnen Fischen, Beeren und Pilze sammeln oder unterrichtet Schulklassen.

Nuuksio und die mehr als 80 Seen, deren Wasseroberfläche nur selten ein Windhauch kräuselt, in denen sich wunderbare Sonnenuntergänge spiegeln, verzaubert irgendwann alle – sogar diejenigen, „die beruflich mit Magie zu tun haben“, wie er lächelnd sagt. Gemeint sind die britischen Schauspieler James und Oliver Phelps, die in den Harry Potter-Filmen die Weasley-Zwillinge mimen. Bei der Finnland-Premiere des letzten Streifens um die Abenteuer des Zauberlehrlings weilten die Darsteller in Helsinki, wollten aber in ihrer knappen Zeit die skandinavische Flora und Fauna kennenlernen. Also fuhren sie zu Pekka nach Kattila und machten dort einen Nachmittag all das, was er selber gerne tut. Gemeinsam schwitzten sie in seiner Rauchsauna mit einer Dose Gin, fuhren mit dem Kanu und genossen bei einer kleinen Wanderung den Wald.

Die Suche nach der Harmonie zwischen Mensch und Tier

Zwar habe ihre Agentin die Akteure die ganze Zeit an ihre Termine erinnert und auf die Rückkehr nach Helsinki gedrängt. Aber nach der Promotour kamen sie zurück und erholten sich beim Fliegenfischen mehrere Tage von den Reisestrapazen. Mit Erfolg? „Aber sicher“, meint Pekka und grinst. Die Lachse und Forellen seien eine Augenweide gewesen.

So gerne er Menschen den Charme des Nationalparks näherbringt und ihnen stille Ecken abseits ausgetretener Pfade zeigt: Richtig glücklich ist der „Mann aus dem Wald“, wie er sich selber nennt, wenn er mit seiner alten, verrußten Kaffeekanne und dem abgetragenen Wanderrucksack tagelang in die Wildnis verschwindet. An einem abgelegenen See im nördlichen Teil des Parks schläft er dann in einem kleinen Verschlag oder einem Zelt, sommers nächtigt er unter den Sternen und geht auf Tuchfühlung mit seinen Freunden, den vielen Tieren, für die Nuuksio so berühmt ist. Denn „allein bin ich hier nie“. Luchse und Bären, Eichhörnchen und Kaninchen, auch das geflügelte Streifenhörnchen, Wappentier und scheuer Star des Parks, kennt er gut.

Sehnlich wünscht er sich, zu ihnen zu gehören, „aber ich bin nicht wie sie, ich bin nicht rein“, wie er bedauert. Doch er gibt nicht auf. Pekka Väänänen ist überzeugt: Irgendwo innerhalb des Parks, hinter Granitfelsen, in der Nähe eines Biberbaus oder am Rand einer Lichtung, gibt es den Ort, den er seit seiner Kindheit sucht, „wo Menschen und Tiere in vollkommener Harmonie miteinander leben“. Der Wald sei dafür prädestiniert, zwischen den Fichten und Föhren zählen keine Titel oder Besitzstände, es sei wie in einer finnischen Sauna. „Dort sind auch alle gleich.“

Er wird weitersuchen. Wird sich seine schweren Wanderstiefel und die Outdoorhose überstreifen, seinen Rucksack schultern und durch den Nuuksio ziehen. Und wenn er irgendwann mal wieder von einer seiner Touren nicht zurückkehrt, solle bloß niemand auf die Idee kommen, ihn mit einer Rettungsmannschaft zu suchen. Denn: „Dann habe ich diesen Ort gefunden.“