Ungewöhnlich, dass in den Buchten östlich von Colònia de Sant Jordi nichts los ist. Es gibt azurblaues Wasser, kein Hotel in der Nähe.

Vier kleine Jungs turnen diesen Vormittag mit Kuchenformen und gelben Plastikschaufeln über den Strand der Platja d’es Carbó und versuchen sich im Burgenbauen. Ihre Väter helfen mit derselben Begeisterung dabei – und wirklich gestresst ist nur einer: weil der aufblasbare Plastikdelfin für die kleine Tochter nicht so will wie er und ihm einiges an Lungenleistung abverlangt, um sich zu entfalten. Und weil die Kleine bereits mit dem Fuß aufgestampft und energisch „Papa!“ gerufen hat. Das sollte wohl ungefähr so viel wie „Jetzt aber mal zack, zack!“ bedeuten.

Drum herum ist wenig los – wie immer: kaum jemand da an diesem herrlichen Sommervormittag –, nur zwei Paare ein bisschen weiter oben am Rand der Dünen, ein paar Nudisten fast am Horizont, ab und zu ein paar Spaziergänger auf Durchmarsch, dazu gerade ein Golden Retriever, der vergnügt durch die seichten Wellen springt.

Eine Bucht reiht sich an die nächste

Dabei sind die Strände hier kilometerlang. Eine Bucht reiht sich an die nächste, selten felsig, meist von breitem, hellem Sandstrand gesäumt. Dazu schimmert das Wasser im schönsten Duschgel-Grünblau. Weiter draußen ankern gerade zwei Yachten, am Horizont scheppert ein Jetski durchs Bild. Nur die angespülten Algen ganz vorn, am Saum des Wassers, hat keiner weggeräumt, sie trocknen in der Sonne.

An den Stränden östlich von Colònia de Sant Jordi auf Mallorca ist nie viel los – und sie sind nicht bewirtschaftet. Alles in allem erstreckt sich die Buchtenkette über fast zehn Kilometer. Und auf der ganzen Strecke ist die Küste unbebaut – von ein paar zerfallenden Bootsschuppen aus Beton abgesehen. Die wenigsten Urlauber wissen davon – und wer es weiß, steuert trotzdem meistens einen anderen Strand an. Warum das so ist? Warum sich so viele all das hier entgehen lassen? Und warum hier nicht längst groß investiert wurde?

Wer an diesen Strand möchte, muss zu Fuß kommen

Die Antwort ist so simpel wie überraschend: Weil das über all die vielen Kilometer angrenzende riesige Privatgrundstück der mallorquinischen Bankiers­familie March gehört, die dort, weit weg vom Meer, eine Zweit- oder Drittvilla und am Strand ein kleines Badehaus besitzt. Durchzogen ist das Grundstück von Sandpisten, von denen diejenigen Richtung Meer durch Dünen und Pinienwald nur mit Geländewagen zu befahren sind. Von denen der Familie March. Denn Fremde haben keinen Zutritt zum angeblich zweitgrößten Grundstück der Insel. Wer an die angrenzenden Strände will, muss seinen Leihwagen deshalb irgendwo in Colònia de Sant Jordi parken und zu Fuß kommen – und an der Meerseite diesseits des Zaunes am Grundstück entlang­laufen. Denn Strände sind auf Mallorca grundsätzlich öffentlich – aber einen Zwang, Zufahrten zu bauen und Parkplätze anzulegen, gibt es nicht. Zum Glück.

Einer hat eine Ausnahmegenehmigung, für ihn öffnen sich die Schranken zur Grundstückszufahrt der March-Finca: Francisco Pizá Bordoy darf passieren, weil er anders keine Vorräte, keine Sandwiches, keine Weinflaschen, keine Bierkisten zu seiner kleinen Strandbar transportieren könnte. Und weil die Wachleute ihn kennen. Er hat die Konzession für die einzige Beach Bar an diesem Strandabschnitt unmittelbar außerhalb des Geländes – ganz vorn, nur ein paar Hundert Meter vom Hafen von Colònia de Sant Jordi gleich an der Platja d’es Dolç entfernt: eine Holzhütte mit Tresen, ein paar Tischen, drei Dutzend Liegestühlen, Sonnenschirmen, Bademeisterhäuschen und Toilette.

Es gibt Strandbars auf Mallorca, bei denen mehr los ist. Dabei sind die Bocadillos mit Serrano-Schinken bei ihm richtig gut: „Hier hast du Spaß, machst auch deinen Umsatz“, sagt Francisco, der die Bar nur im Nebenberuf betreibt, und das nur während der Saison. „Aber das große Rad drehst du mit einem Strandkiosk drüben in Es Trenc, an der anderen Seite von Colònia. Da wollen sie alle hin. Da gibt es Straßen, Parkplätze. Das hier entdecken die meisten erst später – oder gar nicht.“ Dabei ist er so stolz auf seine weiße Sangria: „Die beste weit und breit!“ Serviert wird sie in Ein-Liter-Karaffen – mit Weintrauben, Orange, Zitrone. Und mit Eis.

Das Mallorca aus den Reisekatalogen ist hier eine Ewigkeit entfernt

Zwei-, dreimal die Woche bringt er mit seinem Geländeauto Nachschub, hat sogar den Schlüssel für die Tür im Zaun, um vom Privatland, wo er den Land Rover zum Entladen abstellt, wieder auf öffentlichen Grund und Boden zu gelangen, wo seine Bar ist.

Ob Mick Jagger auch schon mal hier war, der ganz unverhofft mit dem Beiboot seiner Yacht drüben in Es Trenc anlandete und durch den Sand zu einem der dortigen Strandkioske stapfte? Francisco zuckt mit den Schultern: „Falls ja, habe ich ihn nicht gesehen. Aber eigentlich sind hier für solche Leute zu wenig Zuschauer.“ Dafür kommen andere mit dem Boot: „Ganz normale, die dafür Geld zusammengelegt und für einen halben Tag eines gemietet haben. Oder Mittelreiche, denen eines gehört. Aber die ganz Reichen und die Stars, die eher nicht.“

Das Mallorca aus den Reisekatalogen, das aus den Klischees, das mit den vollen Stränden und den vielen Menschen ist hier eine Ewigkeit entfernt. Und einen Moment lang zweifelt man sogar, ob all das hier sein kann: ob es diese stillen Strände wirklich gibt. Wo unterdessen die Leute wohnen, die hierherkommen? Wo ihre Hotels und ihre Ferienhäuser sind? Nicht gleich um die Ecke und hinter den Dünen. Sie kommen von weiter her, wohnen oft ganz woanders auf der Insel, haben ihr Mietauto irgendwo in den Straßen von Colònia abgestellt.

Nach der Saison ist es noch ruhiger

An der Carbó-Bucht ist derweil das Sandburgen-Bauprojekt in vollem Gang. Mittlerweile engagieren sich die Väter mehr als die Söhne, die nur noch im Stehen zusehen und ab und zu mit Kinderstimmen Anweisungen geben. Die kleine Tochter ist längst glücklich mit ihrem Aufblasdelfin, der dazugehörige Vater nach so viel Lungenleistung wieder zu Kräften gekommen. Während sie auf ihrem PVC-Flipper hockt, zieht er sie durchs seichte türkisblaue Wasser. Ungestört und mit ganz viel Platz. Wo unterdessen einer wie Francisco Pizá Bordoy im Urlaub hinfährt? Er grinst. „Hierher natürlich. Wenn die Bar längst wieder abgebaut und alles bis zur nächsten Saison eingelagert ist. Dann ist es noch ruhiger hier. Ganz wunderbar einsam sogar.“ Und manchmal ist dann sogar die Tür des Badehauses der Familie March geöffnet, und durchs Tor im Zaun kommen sie, starten zum Strandspaziergang – dort, wo sie ganz allein sind.