Asiaten haben einen Sinn für ausgefallene Delikatessen. Jacob Ehlers gibt der fremden Esskultur eine Chance

Zu zweit tragen die Köche eine 1,30 Meter lange Giftschlange lebendig an den Tisch. Aus allen Teilen des Raumes kommen neugierige Blicke. Mehrere Restaurants in Hanoi haben das Gericht zwar auf der Karte, Schlange wird aber wegen des hohen Preises nur selten bestellt. Und schon gar nicht von Ausländern. Mit einem scharfen Messer trennt Koch Pham dem Tier seinen Kopf ab und lässt das auslaufende Blut in eine kleine silberne Karaffe fließen. Noch einen Schuss Reisschnaps dazu, und voilà, fertig ist der Aperitif.

„Schmeckt nach Eisen und hat eine dickflüssige Konsistenz“, beschreibt ­Jacob Ehlers das Getränk und nimmt noch einen Schluck. Der Student sei zum ersten Mal in Asien und habe ­beschlossen, der fremden Esskultur eine Chance zu geben – und auch Außergewöhnliches zu probieren. „Schlange ist ein traditionelles Fest­essen in Vietnam“, erklärt Koch Tue Pham. Während der Gast seinen Blutschnaps trinkt, zaubert der Küchenchef ein Fünf-Gänge-Menü aus dem Kriechtier. Unter anderem gibt es Schlangenfleischsuppe und gebratene Schlange an frischem Gemüse. „Ist etwas zäh, aber schmeckt ganz gut“, sagt Ehlers. Es sei nicht das erste Mal, dass der 28-Jährige ein giftiges Tier esse.

Chinesen finden medizinische Gründe für skurrile Speisen

In Japan habe er bereits Fugu probiert – eine japanische Spezialität, die aus dem Muskelfleisch von Kugel­fischen besteht und bei falscher Zubereitung tödlich sein kann. Körperteile wie Darm, Rogen und Leber sind hochgiftig und müssen vorsichtig entfernt werden. Daher muss in Japan jeder Koch, der das außergewöhnliche Gericht anbieten will, eine spezielle Lizenz für die Zubereitung besitzen. Die gibt es erst nach zweijähriger Lehre und Abschlussprüfung.

Nicht giftig, aber auch gefährlich ist die koreanische Spezialität San-nakji. Für das Gericht werden frischen Kraken ihre gut zehn Zentimeter langen, mit Saugnäpfen besetzten Arme abgetrennt und mit einem Sesam-Chili-Dip roh serviert. Weil die Krake erst kurz vor der Zubereitung getötet wird, bewegen sich die Tentakeln auf dem Teller noch weiter und werden auch so gegessen. Wie das funktioniert, erklärt Stefanie Merker vom Max-Planck-In­stitut für Neu­robiologie: „Auch wenn ein Körperteil abgetrennt wird, können Zellen und ­Gewebe noch eine Weile überleben. Nervenzellen können dann prinzipiell weitere Muskelkontraktionen aus­lösen.“ Die Tentakelstücke auf diese Art zu essen, ist gefährlich. Die Arme können sich im Rachenraum festsaugen und führen im schlimmsten Fall sogar zum Erstickungstod.

Nicht gefährlich, aber für Europäer mindestens genauso ungewöhnlich sind einige Snacks, die auf den Märkten Thailands und Kambodschas angeboten werden. Insekten bieten den Bewohnern der asiatischen Länder eine günstige, leicht verfügbare und proteinreiche Nahrungsquelle. „Ich habe bereits ­geröstete Maden, gegrillte Grashüpfer und gebratene Ameisen probiert“, sagt Ehlers. Das sei alles gar nicht so schlimm wie in der Vorstellung. Die ­gesalzenen Maden seien knusprig und lecker. Nur gegrillte Taranteln und Ratten, die es in Kambodscha gab, seien ihm dann doch zu viel gewesen. Balut habe er auch nicht probieren wollen. Für die Delikatesse werden Enteneier 19 Tage angebrütet, bis ein kleiner Embryo entstanden ist. Anschließend werden sie gekocht, ­geschält, mit Sojasauce gewürzt und im Ganzen gegessen.

In China gibt es ebenfalls außer­gewöhnliche Eier. Im Reich der Mitte werden rohe Enteneier für etwa drei Monate in einer Mischung aus Asche, Salz, Zitrone und Tee eingelegt. In dieser Zeit wird aus dem Eiklar eine gelatineartige, bernsteinfarbene Masse, während das Eigelb eine quarkige Konsistenz bekommt und sich grün verfärbt. Fertig ist ein 1000-jähriges Ei. Und da Chinesen ihre Liebe für aus­gefallenes Essen gern hinter medizinischen Vorwänden verstecken, wird der Delikatesse gesundheitlicher Nutzen nachgesagt.

Ehlers zuckt mit den Schultern. „Was den einen unappetitlich ­erscheint, ist für andere ein Hochgenuss“, sagt der kulinarische Abenteurer und spült das letzte Stück seiner Schlange mit einem großen Schluck Blutschnaps hinunter.