Die Amerikaner haben für diese nichtolympische Disziplin einen Namen geprägt: So gehört das „pier running“ (Kailaufen) zu den seltenen, aber beliebtesten Höhepunkten einer Schiffsreise.

Wenn Sie auch am Kailaufen teilnehmen möchten, müssen Sie zuallererst einen Landausflug unternehmen – und zwar auf eigene Faust. Dann müssen Sie nur noch darauf spekulieren, dass während Ihres Landgangs etwas Unvorhergesehenes passiert. Bewährt haben sich – weil gesundheitlich unbedenklich, aber dennoch extrem ärgerlich – Reifen- oder Motorpannen des altersschwachen Taxis, Verirren, intensives Shoppen oder auch bloß eine defekte Armbanduhr.

Jetzt ist es so weit: Sie dürfn die größte nervliche Zerreißprobe Ihres Lebens überstehen. Denn gerade die unerfahrenen Landratten, die ihre Kenntnisse über die ehernen Regeln des Kreuzfahrt-Schipperns aus TV-Serien wie dem „Traumschiff“ oder „Unter weißen Segeln“ gewonnen haben, sollten sich von der Nachsicht eines Kapitäns wie Sascha Hehn oder dem Verständnis einer Cruise-Direktorin wie Christine Neubauer nicht blenden lassen.

Echte Kapitäne pochen gnadenlos auf die „Back on board“-Zeit, rufen die Namen der Vermissten öffentlich aus und lassen maximal eine halbe Stunde vorm Kommando „Leinen los“ alle Luken schließen.

Da nützt kein Betteln und kein Flehen – da helfen nur Tempo und Ausdauer, sonst legt das Schiff ab. Und zwar ohne Sie. Gut, wenn Sie jetzt Ihre Kreditkarte und den Reisepass dabeihaben, um Ihrem schwimmenden Hotel irgendwie in den nächsten Hafen nachzu­reisen.

Aber wenn Sie unter den Augen Hunderter johlender Mitreisender den Sprung vom Kai auf die Planken noch gerade eben schaffen sollten, dann gewinnen Sie nicht nur jede Menge Hohn und Spott: Sie werden für den Rest Ihrer Reise auch von fremden Leuten immer wieder auf Ihre grandiose Leistung angesprochen werden. Garantiert.