Eine Kreuzfahrt in die ungebändigte weißblaue Welt voller Wunder ist eines der letzten großen Abenteuer unserer Zeit. Logbuch einer Traumreise

Zuerst waren es Sturmvögel und Albatrosse, die uns begeisterten, noch auf hoher See im Südatlantik, unterwegs zu den Falklandinseln. Über Stunden und Hunderte von Seemeilen hatten sich die riesigen Vögel vom Wind, der immerhin mit Stärke sechs von Westen wehte, zu immer neuen Flugmanövern hinreißen lassen. Einen Tag später, bei der ersten nassen Anlandung mit den Zodiacs, den typischen motorisierten Schlauchbooten einer jeden Expeditionsreise, standen Austernfischer und Tanggänse zur Begrüßung bereit. Und noch bevor am Nachmittag Carcass, das zweite Falk­landinselchen dieses Tages, erreicht war, hatten uns Delfine und Wale das Geleit gegeben, elegant und übermütig springend die einen, mit der mächtigen Schwanzflosse viele Tonnen schäumenden Wassers aufwirbelnd und zehn Meter hohe Fontänen blasend die anderen.

Und dann endlich, vor einer Wanderung über dieses graugrüne Eiland, noch weit weg vom ewigen Eis auf der antarktischen Halbinsel, standen sie plötzlich Spalier, als hätte die Expeditionsleitung sie dort aufgebaut: Pinguine, Pinguine und noch mehr Pinguine. Tollpatschig dem Meer entgegen wa­tschelnd oder sich würdevoll wie ein Empfangschef verbeugend: schwarzer Frack, weißer Bauch. Von Stund an, von diesem Falklandinselchen bis zu unseren Landgängen auf dem fernsten und unbekanntesten aller Kontinente, blieben sie die Lieblinge der meisten Passagiere. Pinguine, so betonten sie, seien für sie ein wesentliches Motiv für diese Reise gewesen.

Entdeckerfreude treibt viele an das Ende der Welt

Auszüge aus meinem Tagebuch, angereichert mit Daten aus dem offiziellen Logbuch der polarbewährten „MS Hanseatic“: Südgeorgien, King Haakon Bay, Position 54° 09,8` S/037° 29,8` W. Nebel lässt am frühen Morgen nicht sofort das Bühnenbild erkennen, das diese Bucht einrahmt, die norwegische Walfänger einst nach ihrem König benannt haben. Doch keine halbe Stunde später, noch während des Frühstücks an Deck, setzt atemloses Staunen ein: gewaltige Gletscher, schnee- und eisbedeckte ­Zackenberge im Halbkreis um uns herum, überwältigend. Dann das übliche Ritual: schnell in die Gummistiefel und die wasserdichten Hosen schlüpfen, den roten Parka anziehen, darüber die Schwimmweste, Mütze auf, Handschuhe, Kamera und Fernglas im Tagesrucksack verstaut. Dann gleiten wir an Land, zeitversetzt in Gruppen aufgeteilt, jeweils acht Personen im Zodiac. Die letzten Meter knietief durchs Wasser watend. Diesmal begrüßen uns Eselspinguine – roter Schnabel, braunes Mauserkleid –, auch eine Gruppe neugieriger Königspinguine – schwarzer Kopf mit orangen Flecken – ist zur Stelle. Auf sonnenwarmen Felsen, nur wenige Meter entfernt, glänzen die mächtigen Leiber von Seebären und Seeelefanten. Aufmerksam schauen die Experten des Expeditionsteams darauf, dass der gebotene Abstand zu den Tieren gewahrt bleibt. Es ist eine weißblaue, hoch­sensible Welt voller Wunder, und sie ist durch entsprechend strenge Regeln und Vorschriften geschützt.

Ernest Shackleton, der angloirische Forscher und Abenteurer, der erst durch sein Unglück so richtig berühmt und sogar geadelt wurde, war vor gut 100 Jahren genau hier unterwegs. Sein Ziel: als erster Mensch den antarktischen Kontinent durchqueren. Was für ein Abenteuer. Und was für ein Drama. Sein Schiff, der Dreimaster „Endu­rance“, wurde vom Packeis zerquetscht. Monatelang trieben Mannschaft und Schlittenhunde auf einer Eisscholle. Die Geschichte der unglaublichen Rettung, in Vorträgen und Filmen an Bord oft thematisiert, macht demütig.

Rückblick, Auftakt in Argentinien: Liegt es wirklich erst eine Woche zurück? Buenos Aires an einem Sonnabendmorgen im Januar: 28 Grad, wolkenlos blauer Himmel, Hochsommer auf der Südhalbkugel. Vier Stunden ­später, Landung auf dem Flughafen von Ushuaia, Hauptstadt von Feuerland, der Südspitze Südamerikas. Sechs Grad. Ein eisiger Wind treibt uns die Tränen in die Augen. Vor uns, auf dem Beagle-Kanal, der legendären Wasserstraße zwischen Pazifik und Atlantik, tanzen Schaumkronen, und auf der anderen Seite, zwischen den Schneegipfeln von Patagonien, hängen dunkle Wolken.

Was suchen wir, 160 Passagiere aus Deutschland und der Schweiz, auch ein paar Engländer sind dabei, am Rande dieses Kontinents, der so faszinierend wie abweisend ist? Die Motive der Reisenden von heute ähneln letztlich denen der Forscher von damals: Neugier, Abenteuerlust, Entdeckerfreude, Ehrgeiz: Einmal im Leben, das sagen fast alle, die zum ersten Mal vor Ort sind, wollten sie ihren lang gehegten Traum auskosten und weit hinter den Horizont schauen, ans Ende vom Ende der Welt.

Südgeorgien, vor Grytviken, Position 54° 17,6` S/036° 25,0` W. Noch einmal Shackleton. Wir sind seinen Spuren von den Falklandinseln über Südgeorgien bis vor diese ehemalige Walfänger-Siedlung gefolgt. Hier wollen wir heute sein Grab besuchen, nichts spricht am frühen Morgen gegen die Landung. Die See zeigt sich ruhig, wir frühstücken an Deck im Sonnenschein. Aber plötzlich baut sich eine Dünung auf, ein tückischer Schwell. Grytviken sehen wir nur über die Reling. Der Wind wird zum Sturm und schaukelt sich am nächsten Tag, auf dem Wege zu den Südorkney-Inseln, zum Orkan hoch. Hinter vielen Ohren kleben jetzt Pflaster, die gegen Seekrankheit helfen sollen. Das Dinner wollen sich heute Abend nur wenige Gäste gönnen.

Auf See, Kurs Südorkney-Inseln, Position 56° 57,8` S/041° 13,2` W. Bordalltag. Um zehn Uhr stellt Biologin Maria Clauss, Mitglied des sechsköpfigen Lektorenteams, die Flora der subantarktischen Inseln vor. Danach kon­trolliert Expeditionschef Arne Kertelhein die Ausrüstung. Alles muss beim nächsten Landgang keimfrei sein, Jacken, Hosen, Rucksäcke, Kamerastative. Kapitän Axel Engeldrum, Norddeutscher, Seemann in vierter Generation, seit zwölf Jahren im Eis unterwegs, begrüßt einige Gäste auf der Brücke. Am Nachmittag trifft sich Fitnesstrainer Marcel Schinske mit einem Dutzend Passa­gieren zu Pilates-Übungen in der ­Mucki-Bude. Besser besucht ist anschließend die Cocktailstunde in der Explorer Lounge, Pianist Adriano überbrückt dort mit sanften Klängen die Zeit bis zum Abendessen.

Die sonst als wild bekannte Drake-Passage ist sehr ruhig

Antarctic Sound, Position 63° 30,4` S/056° 52,2` W. Tage später, längst hat sich das Meer beruhigt. Sechs Uhr morgens, Vorhang auf und ganz großes ­Kino: Eisberge glitzern in der Sonne, erst einer, dann drei, vier, immer mehr, immer gewaltiger: Pyramiden, Klötze, Kegel und sogar ein Koloss, der in seinen Umrissen an die Elbphilharmonie erinnert. Also schnell an Deck, einen ersten Kaffee trinken, schauen, fotografieren, staunen. Von Backbord nach Steuerbord laufen und zurück, sich gegenseitig versichern, man habe ja schon viel gesehen auf der Welt, aber das hier sei der pure Wahnsinn.

Auf See, Kurs Ushuaia, Position 60° 57,5` S/056° 52,2` W. Augen zu, Blick auf den Horizont und ab durch die ­Drake-Straße. Seit eh und je ist diese breite Passage zwischen Kap Hoorn und der antarktischen Halbinsel, benannt nach dem britischen Freibeuter Sir Francis Drake, bei Seeleuten und Kreuzfahrern gefürchtet. Nirgendwo sollen die Wellen höher schlagen. Wenn Seekrankheit droht, dann hier, im wohl sturmreichsten Seerevier der Welt. Und was passiert? Der Wind, frühmorgens noch Stärke vier, Wellenhöhe drei Meter, flaut rasch ab. Aus dem Liegestuhl, kaum zu glauben, aber wahr, schauen wir auf die Drake-Passage, um deren Tücken wir uns so viele Gedanken gemacht haben; spiegelglatt ist sie heute, den ganzen Tag über.

Und am Nachmittag legt Kapitän Axel Engeldrum doch tatsächlich noch einen Schlenker in Richtung Kap Hoorn drauf: das legendäre, das berüchtigte Kap der Stürme, wir erleben es im glitzernden Sonnenlicht, die See geradezu unheimlich ruhig. Ein letztes Mal, bevor sie sich zum noblen Abschiedsdinner umziehen, kneifen sich die Pauschal-Abenteurer gegenseitig in den Arm: Was für ein Abschluss, was für eine Reise!