Im weltweit wohl einzigartigen Gelato-Museum in der Nähe der italienischen Stadt Bologna schlendern Besucher durch die Geschichte kalter Köstlichkeiten und rühren am Ende sogar selbst welche zusammen

Wenn – sagen wir mal – Giovanni in der Eisdiele Rialto kurz nach hinten geht und Sekunden später mit einem raureifüberzogenen, grauen Bottich zurückkommt, dann ist die neue Ladung Stracciatella da, und Giovannis Schwester hinterm Tresen kann die nächste Kugel für den Kunden ins Hörnchen drücken. Vor 3200 Jahren mussten mesopotamische Herrscher im heutigen Irak auf diesen Moment wochenlang warten, erklärt Maria Bruna Gaudiano.

Denn so lange dauerte es, bis losgeschickte Lakaien aus den Bergen Schnee über Hunderte Kilometer heranschafften, ihn in Kühlkellern mit Wein und Honig aromatisierten und ihren Herren als kalte Drinks servierten. Immerhin, dies war die Urform des heutigen Speiseeises, erfahren wir an der ersten Info-Insel des Gelato-Museums und wollen uns hier gerade genauer ausmalen, wie dieser Eisgenuss damals wohl gewesen sein mag, an reich gedeckter Tafel unterm sanft geschwenkten Palmwedel. Doch da beamt Maria Gaudiano uns schon rüber ins alte Ägypten zu ebenfalls vorchristlichen Eisversuchen der Pharaonen – nur fünf Meter neben Mesopotamien gelegen – im lichtdurchfluteten, passend zum Thema ganz in weiß gehaltenen Gelato-Museum.

Seit zwei Jahren führt Maria Gäste aus aller Welt durch diese 2012 eröffnete, weltweit wohl einzigartige Ausstellung, und wenn sie strahlend, temperamentvoll und temporeich über Gelato erzählt, dann scheint es, als sei sie seit 5000 Jahren in so ziemlich jeder Speise-Eiszeit dabei gewesen. Auch im Paris des 16. Jahrhunderts am Hof von Katharina de’ Medici, deren Astrologe Cosimo Ruggieri offenbar erstaunlich multitaskingfähig war und der französischen Königin nicht nur die Geburt von zehn Kindern und ihren Todesort voraussagte, sondern auch das Sorbet in die höfische Menüfolge eingeführt haben soll.

„Penny-Licks“ – Speiseeis wurde in Schnapsgläser gefüllt

Vom Bankettsaal in die Boulevards – im „Procope“, Frankreichs erster, 1686 eröffneter Eisdiele konnte die neue Delikatesse probiert werden, und Schriftsteller ließen sie prompt in ihren Werken auftauchen. Ab dem 19. Jahrhundert gab’s Eis aus Holzkarren in den Straßen zu kaufen – möglich geworden, weil Rezepte für Eiscremes auf Milchbasis und Kühlverfahren erfunden sind, erzählt Maria, strebt nun schnurstracks in die Gegenwart, und wir ahnen, warum sie das mit dermaßenem Affenzahn tut.

Das Gelato-Museum wird nämlich nicht von spleenigen Volkskundlern mit Hang zu historischer Unterkühlung betrieben, sondern von der Firma Carpigiani, einem 1946 gegründeten, heute weltweit führenden Hersteller von Eismaschinen. Die ersten Exemplare davon – metallene Bottiche mit Rührpaddel – rücken nun allmählich ins Bild, während wir von Maria ins 20. Jahrhundert geleitet werden. Doch zuvor stoppt sie noch an einem Apparat, der anmutet wie ein Foltergerät mit vielen metallenen Spitzen: Ein Eisen zur Herstellung der ersten Waffelhörnchen. 1903 kaum patentiert, löste es weltweit Sandwich-Kekse und Papier als Eisbehälter ebenso ab wie in Großbritannien und den USA die sogenannten „Penny Licks“: Schnapsgläser mit Eis gefüllt, die leer geleckt vom Kunden an den Eismann zurückgegeben und von diesem nicht selten ohne Abwasch mit neuem Eis an den nächsten Kunden gereicht wurden, was schon mal Krankheiten wie Tuberkulose übertrug, weshalb die Penny Licks ab 1899 in London nicht mehr erlaubt waren.

Im historischen Carpigiani-Eismaschinen-Parkplatz gibt es leider viel zu viel Konkurrenz, die den immer weiter perfektionierten und automatisierten Rührriesen mit integrierten Kühlschränken die Schau stiehlt. Da ist die dreirädrige rollende Eisdiele – ein Gelato-Fahrrad mit Kühlerfigur und Kerzenlampen. Oder die rührenden Schwarz-Weiß-Fotos von Eis essenden Kindern der 60er-Jahre und Eisverkäuferautos aus derselben Zeit – mit Wohnmobilmaßen und Schiffsglocke dran. Maria schmunzelt gütig, weil wir hier gar nicht wieder rauskommen wollen aus dieser Zeitreise in die eigene Jugend. Aber die 26-Jährige weiß genau, mit welcher Frage sie es dann doch sofort schafft: „Wollen wir noch ein bisschen Eis machen?“

Na klar wollen wir – und queren das Carpigiani-Werksgelände vom Museum zur eigens eingerichteten Eisdiele, wo Maria für ein paar Minuten zur Gelato-Dozentin wird und uns an einer Tafel den Unterschied erklärt zwischen dem in Eisdielen selbst hergestellten Speiseeis und dem, nun ja, „kalten Grausen“, ­industriell gefertigten Eis aus der Supermarktkühltruhe. Letzteres enthalte viel Luft, Fett, Farbstoffe und Zucker. Zudem sei es immer gleich und haltbar gemacht für lange Transport­wege, wohingegen der Gelatier sich täglich neue Eiskreationen ausdenken könne und immer frisch produziere.

Das machen wir nun auch – angeleitet von Maria und den Eisdielen-Giovannis. Mangos waschen, schnippeln, mit Zuckermasse mixen und pürieren. Anschließend fährt alles etwa sieben Minuten lang in der Eismaschine Karussell, bevor es mit einem Küchenspatel herausgelöffelt wird – in einen dieser grauen, raureifüberzogenen Bottiche, der bald darauf im Tresen steht.