Die Zeit der spartanisch ausgestatteten Schiffe ist vorbei. Oft wirkt eine Überfahrt heute wie ein Urlaub auf See

Ein großes und schönes Schiff mit freundlichen Kabinen, Showbühne, einem Kasino, mehreren Restaurants, einem Spa, diversen Bars und jeder Menge Läden. Klingt nach Traumschiff, ist aber eine Fähre. Denn die Zeiten, als spartanisch ausgestattete Schiffe vor ­allem Lastwagen von A nach B brachten, sind schon lange vorbei. Fährkreuzfahrten, Minikreuzfahrten, Städtetouren – wie auch immer es genannt wird: Fähren sorgen nicht nur für den klassischen Transport zwischen zwei Häfen. Auch die Fahrt als solche wird von vielen Reisenden als Erholungserlebnis geschätzt.

„Da sind sensationelle Schiffe unterwegs“, sagt Kathrin Schiemann vom Verband der Fährschifffahrt und Fährtouristik (VFF) in Hamburg über das Angebot auf der Ostsee. „Das steht einer Kreuzfahrt in nichts nach.“ Und der stellvertretende VFF-Vorsitzende Jens-Peter Berg sieht auch im Mittelmeer eine Entwicklung hin zu einem „Kreuzfahrtgefühl“, wenngleich noch nicht ganz so ausgeprägt. Jedenfalls ­seien auch in Griechenland und Italien kaum noch die einst gefürchteten Seelenverkäufer unterwegs, sondern oft hochmoderne Schiffe mit Unterhaltungsangebot und mehreren Restaurants. „Und ein Swimmingpool gehört auch dazu.“

Wie viel Traumschiff der Tourist bei einer Überfahrt erwarten darf, hängt vor allem von dem eingesetzten Schiff und damit auch von der Route ab. Wer zweieinhalb Stunden von Calais nach Dover über den Ärmelkanal reist, sollte nicht allzu viel Unterhaltung und kulinarische Vielfalt erwarten. Wer sich hingegen auf längere Fahrt begibt – beispielsweise eine ganze Nacht –, hat gute Chancen, rundum verwöhnt zu werden. Grundsätzlich ist es ratsam, sich vor einer Fährbuchung im Internet das Schiff anzuschauen, mit dem man unterwegs sein will.

Von Kiel aus kann man beispielsweise mit der schwedischen Stena Line über Nacht bis nach Göteborg fahren, dann die Stadt anschauen und abends mit der gleichen Fähre wieder nach Kiel zurückfahren. Etwa 20 Prozent der Passagiere nutzen solche Angebote, wie Stena-Sprecher Martin Wahl sagt.

Für viele Passagiere ist Duty-free ein Grund für die Fahrt

Ähnlich hält es die norwegische Color Line mit der Strecke Kiel–Oslo. Da in Norwegens Hauptstadt aber nur etwa vier Stunden Landgang möglich wären, offeriert man auch Pakete mit eingeschlossener Hotelübernachtung. Einen Tagesausflug ins nordenglische Newcastle bietet auch die dänische Großreederei DFDS ab Amsterdam an – mit großem Unterhaltungsprogramm und kulinarischem Angebot. Von Rotterdam und Zeebrügge fährt die Reederei P&O jede Nacht nach Hull – mit Live-Musik, Casino und einem Kino an Bord.

Der Fährmarkt ist ständig in Bewegung: Die Abschaffung des Duty-free-Verkaufs innerhalb der EU 1999 hat die Branche ebenso getroffen wie die ­Finanzkrise von 2007 und 2008. Manche traditionellen Routen sind verschwunden – zwischen Hamburg und dem englischen Harwich beispielsweise. Andere sind hinzugekommen, vor allem in der östlichen Ägäis. Und wie sich der Fährmarkt nach dem Brexit in Ärmel­kanal und Nordsee entwickelt – wo das Duty-free von einst ebenso wie lange Lastwagen-Schlangen vor der Zollabfertigung wieder zurückkehren könnten –, weiß derzeit noch niemand wirklich.

„Was sich ganz stark entwickelt hat, ist der Verkehr ins Baltikum, sowohl von Deutschland als auch von Schweden aus“, sagt Berg. Vor allem Fracht werde da befördert: „Aber das sind alles sehr gute Schiffe.“ Eine Ausnahme ist die Strecke zwischen Stockholm und ­Riga, wo schon eher Party angesagt ist.

Kaum nüchtern zu betrachten sind die Routen zwischen Stockholm und dem finnischen Turku oder Tallin in Estland, die von Viking und Tallink betrieben werden und über die finnischen Åland-Inseln führen. Denn die Inseln haben dank eines Völkerbund-Mandats von 1921 einen Spezialstatus als entmilitarisierte Zone – und deswegen auch heute noch das Recht zu steuerfreiem Verkauf von Alkohol, Zigaretten und anderem. Der Anteil der Passagiere, die nur der Fahrt wegen auf dem Schiff reisen, sei verhältnismäßig hoch, so der schwedische Passagierreederverband. „Die Skandinavier setzen sich auf ein Schiff, feiern und geben richtig Geld aus“, sagt Berg.

2015 wurden nach Angaben des EU-Statistikamtes Eurostat rund 200 Millionen Schiffspassagiere in der EU gezählt. Davon waren nur etwa 10,5 Millionen Kreuzfahrtpassagiere. Die anderen waren also auf Fähren oder kleineren Schiffen unterwegs – die meisten im Mittelmeer. Neben den klassischen Märkten Italien und Griechenland sind in der östlichen Adria zwischen Slowenien und Albanien neue Märkte entstanden, der Verkehr mit den nordafrikanischen Häfen ist wichtiger geworden. Wer sich für Städtetrips oder Minikreuzfahrten mit Fähren interessiert, sollte sich auf den Mailinglisten der Reedereien eintragen und auf Sonderangebote warten: Gelegentlich sind die sehr günstig. Wer in der Haupt­saison unbedingt eine bestimmte Fähre benutzen will, sollte rechtzeitig buchen: In Spitzenzeiten sind sie oft ausgebucht.