Mit dem Motorrad über die schönsten Straßen Norwegens

So entspannt bin ich noch niemals Motorrad gefahren“, sagt Bernd. Es ist der letzte Abend unserer Tour. Nach sieben Tagen und 2600 Kilometern. Die Worte sind eine echte Auszeichnung, denn Bernd fährt normalerweise nicht durch die enge Großstadt. Er kurvt durch die Eifel oder an der beschaulichen Mosel entlang. Wir sind in den vergangenen Jahren schon gemeinsam durch deutsche Mittelgebirge, Kroatien, die Karpaten, die Toskana, das Elsass und vielfach über alle Pässe der Alpen gefahren. Also: Wir haben gemeinsam eine Menge toller Kurven gesehen. Und dann diese absoluten Worte. Wow!

Seit Jahren liege ich Bernd und den anderen Zweirad-Freunden in den Ohren: Lasst uns einmal in den Norden fahren! Zu kalt, zu nass, zu viele Mücken - lieber in den Süden, hieß es immer. Dabei gibt es in den Alpen auch bei jeder Tour mindestens einen Regentag.

Dann bin ich im vergangenen Jahr einmal für ein verlängertes Wochenende (nur vier Tage!) zum Schnuppern allein nach Norwegen vorausgefahren und kam mit vielen Fotos und einer nicht ­enden wollenden Begeisterung zurück. Doch der Reihe nach. Zum Nachfahren sozusagen. Je nach Geschmack – auf zwei, drei oder vier Rädern.

Unsere Tour beginnt in Hamburg. Um der Entspannung schnell näher zu kommen, fahren wir zunächst ein gutes Stück A7. Kurz hinter der dänischen Stadt Aalborg fahren wir ab und nehmen auf kleinen Straßen Kurs in Richtung Westen. Die Straße in Løkken führt direkt auf den Strand. Endlich am Meer! Wenige Kilometer weiter befindet sich der alte Leuchtturm Rubjerg Knude, der von einer riesigen Wanderdüne umschlungen wird. Ein toller Blick!

In Hirtshals hoch im Norden Jütlands beginnt das Urlaubsgefühl endgültig: Knapp 500 Kilometer nördlich von Hamburg fahren wir auf die MS „Bergensfjord“. Die moderne Fähre legt um 20 Uhr ab. Auf der schicken „Bergensfjord“ gibt es übrigens ein gutes Steakhouse! Herzhafter Abschluss eines langen Tages auf der Maschine. Früh am Morgen macht das Schiff einen Zwischenstopp in Stavanger und erreicht am Mittag Norwegens zweitgrößte Stadt Bergen. Wer Zeit hat: Die Stadt lohnt für ein paar Tage Pause. Auf uns aber wartet die Straße. Ein kurzer Abstecher an den Byfjorden ist drin. Von den Fischereianlegern hat man einen schönen Blick auf die alten bunten Hansehäuser. Von Bergen geht es zum größten Fjord Norwegens, dem Sognefjord. Wir fahren auf kleinen Straßen über Mongstad (57) und Masfjordnes (570). Sie führen in unzähligen Kurven immer wieder am Wasser entlang. Kurz vor Mongstad tauchen wir tief ins entschleunigte norwegische Leben ein: An einer Kurve weist ein Schild zu einem Kiosk. Wir fahren die steile Privatstraße hinunter und stehen in einer wunder­vollen ruhigen Bucht vor einem leeren Haus. An der Tür steht eine Telefonnummer, die man anrufen soll, wenn man etwas möchte. Tatsächlich kommt zehn Minuten später die nette Besitzerin angefahren und macht uns einen Kaffee.

Unser Ziel für diesen ersten Tag ist Bålestrand. Auf kürzestem Weg wären es von Bergen hierher 200 Kilometer gewesen. Wir haben rund 270 Kilometer auf dem Tacho. Bålestrand liegt an der breitesten Stelle des Sognefjordes. Wegen des besonderen Lichtes hier kamen bereits vor mehr als 100 Jahren viele Maler. Hier steht heute das größte Holzhaus Norwegens: Das Kviknes Hotel ist die erste Wahl in Bålestrand – für die Übernachtung (auf jeden Fall im Altbau!), für ein Abendessen, mindestens einen Drink mit Blick auf den Fjord oder die vielen historischen Bilder in der Lounge.

Zum Kaffee werden wiram Straßenrand eingeladen

Aber das ist erst der Auftakt zu den Aussichten am nächsten Morgen: Von Båle­strand geht es auf der Straße Nr. 13 noch eine Weile direkt am Fjord entlang. In einem Finger des Fjordes liegt eine große britische Yacht. Fast könnte man meinen, das britische Königshaus mache hier gerade Urlaub. Dann die Serpen­tinen auf das Gaularfjell hinauf. In 700 Meter Höhe liegt der futuristisch anmutende Rastpunkt „Die Aussicht“. Die Spitzen des Betonbauwerks ragen weit ins Tal hinein. Ein beeindruckender Stopp – auch wenn an diesem Morgen die Berge wolkenverhangen sind. Eine Gruppe Norweger feiert hier oben und lädt uns zum Schokoladenkuchen ein.

Die Szene steht für die nächsten Tage und die Gastfreundlichkeit der Norweger: In einem kleinen Ort wollen wir einen Kaffee trinken und halten an einem bunten Stand. Wir bekommen jeder Kaffee und Gebäck. Bezahlen dürfen wir nicht. Ebenso ein paar Dutzend Kilometer weiter auf einem Markt. Kaffee und frisch gebackene Waffel sind kostenlos. Bernd will etwas spenden – das wird nicht akzeptiert.

Die schönste Art, nach Geiranger zu kommen, ist, mit dem Schiff durch den Fjord zwischen den steil hinaufragenden Felsen zu fahren. Die Fähre von Hellesylt nach Geiranger braucht etwa eine Stunde. Das Schiff fährt nur ein paar Mal am Tag und sollte selbst mit dem Motorrad möglichst im Voraus reserviert werden. Es ist eine Stunde, in der wir aus dem Staunen nicht herauskommen.

Am Trollstigen gibt eseine Dusche vom Wasserfall

Apropos Staunen: Die Fahrt von Geiranger über unzählige Serpentinen auf den Aussichtspunkt Dalsnibba ist im wahrsten Sinne des Wortes ein echter Höhepunkt. Von null auf 1476 Meter in nur wenigen Kilometern und am Ende ein atemberaubender Blick auf den unten liegenden Fjord mit Kreuzfahrtschiffen im Miniatur-Wunderland-Format. Von Geiranger sind es nur ein paar Kilometer bis zum nächsten Höhepunkt: Trollstigen. Der Pass zählt zu den schönsten Norwegens. Atemberaubende Aussichtspunkte ins tiefe Tal, Sonne, Schnee, Sommerski – und an einer der Kehren eine Dusche vom tosenden Wasserfall.

Die Hafenstadt Molde ist unsere Station für zwei Tage: ein Ausflug über die Atlantikstraße, einer auf die Inseln Otrøya und Midøya. Abends sitzen wir am Hafen und beobachten, wie sich hier die nord- und südgehenden Schiffe der Hurtigruten begegnen. Atlantikstraße – das ist ein sehr großer Name für die paar Kilometer Küstenweg. Aber am Ende sind die nicht einmal zehn Kilometer jeden Meter wert. Die Nebenstrecke von Molde nach Kristiansund führt über ­diverse kleine Inseln und geschwungene Brücken direkt an der Außenküste Norwegens entlang. Hinter den Felsen kommt nur noch Island, dann Kanada.

Vor Kristiansund kommt dann einer dieser wahnsinnigen Tunnel Norwegens. Was den Tunnelbau betrifft, sind die Norweger einfach irre: Mehr als 900 Straßentunnel gibt es angeblich im Land. Es gibt welche mit Kreisverkehr und andere, die Fjorde unterqueren. Nicht ­erschrecken: Nach der Einfahrt in den Tunnel geht es teilweise vier Kilometer lang mit zehn Prozent Gefälle steil ­hinunter. Dann geht es 200 Meter waagerecht weiter. Manchmal hängt unten ein Hinweisschild à la „250 Meter unter dem Meer“. Das lässt einem kurz die Gänsehaut über den Rücken fahren. Dann geht es wieder vier Kilometer steil nach oben. Wahnsinn!

Von Molde geht es durch das Landesinnere wieder Richtung Süden. Die Straße schlängelt sich auf 100 Kilometern am Fluss Lågen durch das Romsdal. Beim Kaffee an der Tankstelle in Bjorli entdecke ich beim Blättern in einer Landkarte an der Kasse, dass es doch eine Route quer über die Berge ins südliche Paralleltal gibt. Sie ist auf unseren Karten nicht verzeichnet. Aber tatsächlich finden wir die kleine, mautpflichtige Straße. Die Gebühr wird per Kreditkarte an der Schranke bezahlt. Zunächst ist es eine ganz normale Straße. Dann sind die geraden Strecken unbefestigt, nur die engen Kurven den Berg hinauf geteert. Auf der Hochebene oben ist alles fest gefahrener Schotter. Es fährt sich wunderbar. Das hat etwas von Abenteuer. Wilde Straße, karge Mondlandschaft. Ein weiter Blick ohne Zivilisation. Perfekt!

Von Vinstra aus fahren wir den Peer-Gynt-Weg über Gåla. Das große Hotel in dem Wintersportort ist ausgebucht. Drei Busse mit Rundreise-Touristen stehen am Abend auf dem Parkplatz. Bernd macht an der Rezeption ein solch verzweifeltes Gesicht, dass die nette Mitarbeiterin zum Telefon greift und uns ein nahe gelegenes Apartment vermittelt. ­Essen können wir im ­Hotel. Kurz hinter Gåla wird die Straße abermals zur Schotterpiste über die einsame Hochebene.

Am nächsten Morgen fahren wir durch Lillehammer. Die Skisprungschanze ist ebenso weithin sichtbar wie die lange Brücke mitten über den See. Es wirkt alles vertraut. Kurz reizt es mich, einfach ins Zentrum zu fahren und den Flamingo-Club von Mafia-Aussteiger und Hauptfigur der Serie „Lilyhammer“, Frank Tagliano, zu suchen. Aber wir cruisen gerade so schön am See entlang.

Letzte Station des Kurztrips ist das Norefjell Ski + Spa Resort oberhalb von Noresund – mitten im Skigebiet. Die Auffahrt versperrt eine Schranke. Maut für Pkw. Wir zweifeln kurz, ob wir hier wirklich richtig sind. Zehn Kilometer geht es den Berg hinauf. Dann stehen wir vor dem großen Hotelkomplex. In der Hotellobby gibt es eine Kletterwand über vier Etagen, aus Pool, Sauna und Restaurant gibt es atemberaubende Blicke über die Berge. Das Hotel mit schickem Apartment für vier Personen ist der Ort für den perfekten letzten Abend.

Bis Oslo sind es nur noch 120 ­Kilometer. Ein Klacks bis zum Einchecken um zwölf Uhr. Zwei Stunden später legt die „Color Fantasy“ in Richtung Kiel ab. Ein sonniger Nachmittag im Oslofjord, ein Abschlussdrink auf der Ostsee.

2600 Kilometer und noch viel mehr Kurven. Regen und Sonne. Hoch und runter. Mit maximal Tempo 80. Oft lange ohne ein entgegenkommendes Auto oder die Chance, eines überholen zu können. Bleibt am Ende einer wunderbaren Tour eine Frage: Warum fand Bernd das jetzt so entspannt wie nie? Genau deswegen! Und genau deswegen fasst Bernd auf der Fähre einen Entschluss: „Ich komme wieder.“