Wissen Sie noch, was Sie am 19. Dezember 2001 gemacht haben? Warum ich das Datum nie vergesse, genau kann ich es nicht einmal sagen. War es doch „nur“ ein Film, der an dem Tag Kinopremiere hatte. Aber es ist der Film, der mich packte wie kein anderer: Der erste Teil der Peter-Jackson-Trilogie „Der Herr der Ringe“. Ein Dreieinhalb-Stunden-Epos über Zauberer, tapfere kleine Menschen, die „Hobbits“ heißen, Elben, untote Ringreiter, Orks und den dunklen Herrscher Sauron in Fantasieorten namens Mittelerde, Auenland und Mordor. Ein Film, gedreht an wunderschönen und düster-schaurigen Orten in Neuseeland, womit wir bei d e r Reise meines Lebens wären.

Knapp sechs Wochen waren meine Frau und ich Anfang des Jahres in Neuseeland unterwegs. Den Jahresurlaub aufgebraucht im März. Doch jeder ­einzelne Tag hat sich gelohnt. Mit den ­Erinnerungen an den schönsten neuseeländischen Sommer seit der Wetter­auf­zeichnung könnte ich begeistert diesen Reiseteil füllen. Geht nur leider nicht. Mir fehlt der Platz zu schreiben über ein Land, das die Schönheit gleich mehrerer Kontinente vereint.

Ich könnte schwärmen über die nächtliche Bootstour auf dem Milford Sound, einer Fjordlandschaft mindestens so reizvoll wie die in Norwegen mit Hunderte Meter hohen Bergen, die sich aus dem Meer erheben, und Wasserfällen von kristallklarem Glanz. Ich könnte schreiben über eis- und schneebedeckte Gletscher oder tropische Regenwälder; mich erinnern an Walbeobachtungen an der Seite von Maori; mich begeistern an den wunderschönen Stränden, erzählen von nach Schwefel stinkenden, von Magma erhitzten Modderquellen, für deren Besuch wir sogar Eintritt zahlten. Oder ich könnte liebenswürdige Menschen beschreiben, etwas neugierig, aber nie nervig, ausgesprochen hilfsbereit, aber nie aufdringlich. Für all das fehlt mir der Platz, also gibt’s hier „nur“ mehr von der Tour zum Drehort von „Hobbiton“, wie die Heimat der Hobbits, Auenland, im Original heißt.

„Für Hobbiton entdeckten wir einen wunderbaren Ort mit Hügeln, die so wirkten, als hätten die Hobbits bereits angefangen, ihre Höhlen zu bauen. Es gab dort einen See mit einem langen Arm, der sich für unsere Zwecke als Fluss eignete, der perfekte Platz für eine Brücke, eine Mühle und das Gasthaus Zum Grünen Drachen“, beschreibt Allan Lee, Peter Jacksons Setdekorateur, seine erfolgreiche Suche nach dem perfekten Drehort an entlegener Stelle. Das Auenland fanden Lee und sein Locationscout auf der Nordinsel in Matamata, zwei Stunden südlich von Auckland, auf der Farm eines Schafzüchters. Die Landschaft mit leicht hügeligen Wiesen und Weiden in sattem Grün mit grasenden Schafen und ausladenden Laubbäumen erinnert stark an die englische Heimat des „Ringe“-Autors J. R. R. Tolkien.

Kein Aufenthalt in Mittelerde ohne Onlinebuchung. Umgerechnet 100 Euro zahlen wir für uns beide und die zweistündige geführte Tour – ein privater Besuch ist nicht erwünscht. Der Einzug ins Auenland beginnt mit einer zehnminütigen Busfahrt. Unser Führer Paul erzählt, während wir Felder passieren und eine kleine Bergkuppe
anfahren, von der sich der Blick auf Hobbiton öffnet, von der Schafzüchter­familie Alexander und den Schwierigkeiten der Crew um Peter Jackson, das Stückchen Land abgetreten zu bekommen. Zu groß war zunächst die Skepsis gegenüber den Filmleuten.

Die Dreharbeiten um die Jahrtausendwende dauerten hier rund drei Monate, danach wurden alle Kulissen wieder abgebaut: Die in die Hügel gefrästen fassähnlichen Hobbithöhlen mit runden Türen in Rot, Grün, Gelb und Blau ebenso wie die vielen liebevollen Details: Schreinerwerkzeug vor der einen Tür, Obst vor der anderen, zwergenhafte Wäsche auf der Leine.

Alles kam weg, was jetzt wieder da ist. Wieder aufgebaut für Jacksons zweite Trilogie „Der Hobbit“ und als späteres Freilichtmuseum. Während des Rundgangs erzählt unser Führer Paul vom Perfektionismus des Regisseurs, der hier künstliche Bäume „pflanzte“, weil deren Blätter gleichmäßiger waren. Der Schafe von der Südinsel einfliegen ließ, weil sie ihm besser gefielen als die des Schafzüchters Alexander. Der Frösche in einem Tümpel einsammeln und umsetzen ließ, nur weil sie etwas quakten.

Der Spaziergang führt uns zum Tümpel – jetzt ohne Frösche –, durch liebevoll angelegte Gärten, an den Erdhöhlen mit qualmenden Schornsteinen vorbei einen Hügel hinauf zu Bilbo Beutlins Zuhause. Jedes Detail ruft Erinnerungen wach. Es ist, als müsste Gandalf, der Zauberer, gleich auf seinem Pferdekarren um die Ecke biegen, Frodo Beutlin aus seiner Hütte treten oder Bilbo rauchend vorbeispazieren.

„Neuseeland ist wunderschön (. . .) Hier sind alle Komponenten von Mittelerde schon vorhanden. Es ist perfekt“, schwärmt Hauptdarsteller Elijah Wood in Ian Brodies „Reiseführer zu den Schauplätzen“. Wohl wahr.