Unterwegs auf dem Cumbria Way zwischen Ulverston und Carlisle

Persönliche Krisen sind manchmal eine ganz unerwartete Voraussetzung dafür, dass aus einer Reise der „Urlaub des Lebens“ werden kann. Ich trauerte um meinen Vater und war auch sonst ziemlich fertig, als die Ferienzeit 2011 kam. Vermutlich kennt jeder das Gefühl, dass man eigentlich dringend Erholung und Tapetenwechsel braucht, aber eigentlich gar nicht wegfahren möchte. Keine Lust auf weite Flüge, vollgestopfte Hotels und Strände oder brennend heiße Sonne. Stattdessen war da immer dieser Wunsch, „einfach mal loszulaufen“ und dabei möglichst niemandem zu begegnen. Also Wandern – aber wo?

Irgendwann stießen wir bei der Planung auf den 112 Kilometer langen Cumbria Way, der im Norden Englands den Lake District erschließt. Wer sich Fotos von Keswick, Catbells oder Coniston Water anguckt, der kann sich augenblicklich vom besonderen Reiz dieser Landschaft einfangen lassen. Einige Veranstalter bieten dazu einen Service an, den man sich unbedingt gönnen sollte: Das Gepäck wird entsprechend der Planung von Quartier zu Quartier weitergeschickt, ohne dass sich der Reisende selbst darum kümmern muss.

Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich an diese Wanderungen denke. Morgens ging man einfach hinein in die ungewöhnlich seidige Luft des sommerlichen Englands – um erst abends todmüde und erfüllt in der nächsten Unterkunft anzukommen.

Das Besondere: Der Cumbria Way ist gar kein fester Wanderweg im klas­sischen Sinn. Statt auf festen Wegen läuft man über weite Strecken wirklich einfach nur querfeldein, über Wiesen und Äcker, manchmal mitten durch Bauernhöfe hindurch. Einzige Markierung sind grün-gelbe Blechschilder an irgendwelchen Gattern, Bänken oder Mauern.

Noch nie habe ich einen Urlaub erlebt, bei dem die Augen so wenig von Zivilisationsschrott abgelenkt waren, der Kopf so frei wurde. Stundenlang konnte man bergab und bergauf durch archaische Landschaften laufen. Statt Reisebussen, Wandertruppen und Mountainbikes sahen wir unterwegs Wiesenblumen bis zum Horizont, Fledermäuse, riesige Farne und ziemlich angriffslustige Greifvögel. Und natürlich die vielen glasklaren Seen, die der Gegend ihren Namen gegeben haben und an deren Ufern oft über Kilometer kein einziges Haus steht.

Gut tat uns auch die Art der Menschen in Nordengland, die sich trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten ihren Humor, eine gewisse Gelassenheit und die viel zitierte „stiff upper lip“ bewahrt haben. Da wir ausschließlich Bed-&- Breakfast-Unterkünfte in Privathäusern gewählt hatten, lernten wir viele Einheimische kennen, mit denen wir zum Teil heute noch Kontakt halten. Gemecker und Geläster: Fehlanzeige. Stattdessen gab’s gute Gespräche – nicht selten in einem der vielen Pubs, wo mittlerweile übrigens sehr gut gekocht wird.

Zur körperlichen Fitness gesellte sich auf diese Weise schnell eine neue Ausgeglichenheit. Und das Ganze auch noch bei zehn Tagen Sonne, was in England ja immer Glückssache ist. Es war ein Urlaub, bei dem man seelischen Ballast abwerfen konnte. Erholsam und befreiend für Körper und Geist – und absolut unvergleichlich.