Als sich ziemlich unerwartet die Möglichkeit zu einer individuellen Studienreise in die Südsee eröffnete, fiel mir die Entscheidung nicht schwer. Im Juli 2006, Deutschland feierte damals zur WM gerade sein Sommermärchen, flog ich voller Erwartungen über Paris und Singapur in ein Land, das schon seit der Kindheit meine Fantasie beflügelt hatte: Papua-Neuguinea. Dort lebten Menschen in einer archaischen Steinzeitkultur, tanzten mit ausdrucksstarken Masken zu stampfenden Rhythmen an idyllischen Stränden, hatte ich gehört. Und gab es da nicht auch Kanni­balen?

Meine Erwartungen wurden weit übertroffen, denn die Menschen, die mir in diesem 13.500 Kilometer von Deutschland entfernten Land begegneten, waren zwar längst keine Kannibalen mehr und kannten natürlich Autos und Flugzeuge, Bankautomaten und Mobiltelefone, sie lebten aber trotzdem so ganz anders, als ich mir das bis dahin hatte vorstellen können. Ich sah einen rauchenden Vulkan und paradiesische Südseeinseln, durfte geheimnisvolle Rituale von Maskentänzern und archaischen Geheimbünden miterleben, lernte aber vor allem eines: Unsere Art zu leben ist nicht das Maß aller Dinge.

Da begegnete ich zum Beispiel Lalu, der eigentlich William Sakle heißt und bei den Sulka auf der Insel Neubritannien ein wichtiger Stammesführer ist. „Du bist mein Freund“, sagte er mir ein paar Tage nach unserer ersten Begegnung, als er aus seinem im tiefen Busch gelegenen Dorf in mein Hotel gekommen war, um mir einen Brief zu übergeben. Ich brachte Lalu später an die „Bushaltestelle“ und fragte, wann denn das nächste PMV (Public Motor Vehicle) kommen würde. „Vielleicht in fünf Minuten, vielleicht auch in fünf Stunden, vielleicht erst morgen“, sagte Lalu. Als wir uns verabschiedeten, setzte er sich in den Schatten, und es kam mir so vor, als würde er sich „runterdimmen“ und den Stand-by-Modus anschalten.

Auf dieser Reise habe ich viel über die Kultur dieses fernen Landes erfahren, das von 1884 bis 1914 als Kolonie zu Deutschland gehört hat. Besonders beeindruckt hat mich, wie unvoreingenommen die Menschen heute über die negativen, aber eben auch positiven Aspekte dieser Zeit urteilen.

Inzwischen bin ich schon mehrfach wieder nach Papua-Neuguinea gereist, als Journalist und auch als Guide für Studienreisen des Hamburger Völkerkundemuseums. Aber nie werde ich die erste Begegnung mit dieser ebenso fremden wie faszinierenden Kultur vergessen, die ich im Juli 2006 erlebt habe.

Obwohl die meisten Menschen dort vor allem für Rugby schwärmen, wurde ich immer wieder nach der WM gefragt und warum ich gerade jetzt nicht in Deutschland sei.

Dass ich mich nicht besonders für Fußball interessiere, konnte damals kein Einheimischer wirklich verstehen. Und als Deutschland im Halbfinale auch noch gegen Italien scheiterte, hat es mich wirklich bewegt, wie viele der
Papuas meinten, mich deshalb trösten zu müssen.