Wir waren jung, frei und voller Lebenslust: Als meine Freundin Ulli und ich unser Abitur in der Tasche hatten (hart erkämpft an einer superschweren Klosterschule), kratzten wir unser ganzes selbst verdientes Geld zusammen und fuhren nach Italien. Italienisch hatten wir an der Volkshochschule gelernt, ein dicker Kunstführer lag im Rucksack, und aufs Geratewohl fuhren wir mit dem ratternden Zug in die Toskana. Pisa, Lucca, San Gimignano, Siena – all die schönen Städte mit den heißen Steinen, die nur am Morgen erwachen oder wenn die Sonne tiefer sinkt.

Nie wussten wir vorher, wo wir übernachten würden. An den Bahnhöfen besorgten wir uns ein Hotelverzeichnis, dann stapften wir los und klapperten als Erstes die billigsten „Pensioni“ ab. Wir verstanden uns prächtig, die „Ragazzi“ riefen ständig „Ciao, bella!“ hinter uns her, und noch nie hatten wir uns so schön gefühlt, denn die deutschen Jungs machten keine Komplimente. Wir genossen einfach alles, und ich fühlte mich tief drinnen zu Hause. Ob das an meiner italienischen Großmutter lag?

Die Schönheit und Wohldimensioniertheit der italienischen Plätze, die Kirchen voller Bildergeschichten in Form vergoldeter Mosaiken und Fresken, die Palazzi der alten Adelsgeschlechter – wir konnten uns nicht daran sattsehen, wir hatten nie genug! Und manchmal fühlten wir uns wie Don Fabrizio in Viscontis Verfilmung des Romans „Der Leopard“, und in seinen Palast träumten wir uns hinein. Abends lasen wir uns gegenseitig noch mal vor, was wir gesehen hatten, und vormittags drückten wir uns an den Schaufenstern der Schuhgeschäfte die Nase platt. Ich las Giovanni Boccaccio, Elsa Morante, Alberto Moravia.

Die tollste Unterkunft von allen lag an einer Haarnadelkurve hoch oben auf einem Berg in einer kleinen Etruskerstadt. Zuerst hatten wir keine Ahnung, dass wir in einem ehemaligen Bordell gelandet waren. Die extrem schmalen Betten jedenfalls waren total durchgelegen, man hüpfte darauf wie auf einem Trampolin. Das alles und das süffisante Grinsen der Dorfbewohner juckte uns überhaupt nicht, elf Mark die Nacht und die bombige Lage sprachen für sich. Abends saßen wir auf unserem handtuchschmalen Balkon mit Blick ins Postkarten-Toskana-Tal und auf unseren Tellern mischten wir Tomaten, Melone und Thunfisch. Dazu tranken wir, auf den sonnenwarmen Fliesen sitzend, Rotwein und wir wussten, wir waren gerade am schönsten Ort der Erde.

Tagsüber lernten wir, wie gut es sein kann, wenn nicht alles auf die Minute klappt, dass man sich dann mit den Leuten an der Bushaltestelle unterhalten, mit aufgekratzten Knien Zitronen klauen oder doch lieber, von Schafen begleitet, zu Fuß gehen kann.