Es ist vor allem ein Geruch, den ich mit der Reise verbinde: eine Mischung aus dem typischen – sagen wir mal – Duft von Zügen, Salamibrötchen und lauer Sommerluft, welche die Abteile füllte, in denen wir vorzugsweise nachts kreuz und quer durch Europa fuhren. Wenn ich mir heute vorstelle, so zu reisen, melden sich schon beim Gedanken Rücken und Bequemlichkeit. Doch mit 16 Jahren konnte ich mir nichts Schöneres denken, als mit einem Interrailticket die Welt zu erkunden.

Wir fanden uns ziemlich verwegen, meine beste Freundin und ich, als wir Mitte der 80er-Jahre mit identischen roten Rucksäcken am Hamburger Hauptbahnhof auf den Zug nach Amsterdam warteten – im Gepäck ein Zelt, Schlafsäcke, Isomatten, Kochgeschirr und ein kleiner Kocher, dazu ein paar T-Shirts, Shorts und Badesachen. Unsere Ausstattung für vier Wochen Freiheit. Die Zugabteile wurden unser Zuhause auf Zeit, oft gefüllt mit sechs bis acht Menschen.

Mit ihnen teilten wir den mitgebrachten Proviant genauso wie unsere Erlebnisse, Träume und Tipps für die besten Strände und die günstigsten Jugendherbergen. Wenn es Nacht wurde, zogen wir die Sitze aus zu einer einzigen großen Liegefläche. Am begehrtesten aber waren die Gepäckablagen, auf denen es sich gut schlafen ließ. So absolvierten wir 40-Stunden-Fahrten von Paris bis Portugal – und fanden es ganz herrlich.

Niemand war so cool wie wir, glaubten wir damals – und sonnten uns in unserer neu gewonnenen Kompetenz: Wir kannten die wichtigsten Zugverbindungen, jonglierten mit Orten wie Hendaye und Portbou, wogen die Vorzüge der Algarve gegen die Nord-Portugals gegeneinander ab, studierten stolz die Stempel, die wir in unserem Interrailbüchlein sammelten, wussten, wo man noch wild zelten durfte, und schafften es, durch Nachtfahrten das Geld für die Jugendherberge oder das Hotel zu sparen.

Für die 410 Mark, die das Ticket gekostet hatte, machten wir Europa – oder zumindest einen Teil davon – zu unserem Spielfeld. Wir waren beim Stierlauf in Pamplona und sahen Rod Stewart in einer Arena in Valencia (sein „Baby Jane“ war der Soundtrack dieses Sommers). Einmal, als es an der französischen Atlantikküste nicht aufhörte zu regnen, fuhren wir zum Wäschetrocknen an die Côte d’Azur – und fanden uns unheimlich weltläufig. Auf dem Weg nach Florenz änderten wir spontan unsere Pläne und fuhren stattdessen nach Rom, weil wir im Zug nette Leute kennengelernt hatten, die dorthin wollten. Wir besuchten den Petersdom und in Paris Notre-Dame.

Aber darum ging es eigentlich nicht. Im Mittelpunkt unserer Reise standen die Leute, die wir kennenlernten und mit denen wir auf dem Zeltplatz gemeinsam Nudeln kochten, „Traveler“ wie wir aus aller Herren Länder. Egal, wo sie herkamen: Alle hörten die gleiche Musik. Und für uns alle war diese Reise eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Die Jüngeren unter den Lesern werden sich kaum vorstellen können, dass wir ohne Handy oder EC-Karte unterwegs waren. Bankautomaten und SMS gab es noch nicht. Stattdessen trugen wir Travellerschecks sorgfältig verwahrt in Brustbeuteln am Körper und legten tagelang Münzen zur Seite, um von entlegenen Telefonzellen aus zu Hause anzurufen. „Wooo bist du?“, „In Sagres, das ist in Portugal, muss Schluss machen, das Geld ist gleich alle!“

Wenn ich heute, selbst Mutter, daran denke, wieviel Vertrauen meine Eltern mir entgegenbrachten, bin ich ihnen sehr dankbar. Denn auf den Reisen sammelten wir unvergessliche Erinnerungen. Und die Selbstsicherheit, das Gefühl: Wenn wir hiermit klarkommen, sind wir allem gewachsen.