Der deutsche Kreuzfahrtmarkt ist der zweitgrößte der Welt. Das lockt Reedereien nach Hamburg, Rostock und Kiel

Was ist das denn für ein neues Haus? Und wieso bewegt es sich? Wer in der Hafencity nur flüchtig durch die Straßenschluchten blickt, läuft immer häufiger Gefahr, einer optischen Täuschung zu erliegen. Die Kreuzfahrtschiffe im Hamburger Hafen wachsen. Haushoch schieben sie sich über die ­Elbe. Das größte Schiff mit Heimat­hafen Hamburg ist derzeit die „MSC Splendida“ mit Raum für 3247 Passagiere. 2017 wird sie vom jüngsten Flottenmitglied abgelöst: Die „MSC Preziosa“ ist ausgelegt auf 3502 Passagiere. Parallel dazu setzt die mediterrane Reederei die „MSC Magnifica“ ab Warnemünde und die „MSC Fantasia“ ab Kiel ein.

Diese Strategie ist kaum verwunderlich: Der deutsche Kreuzfahrtmarkt ist der stärkste in Europa und liegt weltweit auf Platz zwei, direkt hinter den USA. Insgesamt 1,77 Millionen Deutsche verbrachten 2014 ihren Urlaub auf einem Hochseeschiff. Damit konnte Deutschland erstmals Großbritannien überrunden. Und ebenso wie die Briten legen die deutschen Passagiere Wert auf einen deutschen Abfahrtshafen. Laut einer Studie des Fachmagazins „touristik aktuell“ in Zusammenarbeit mit der Hochschule Worms ist dies ein wichtiges Entscheidungskriterium für etwa 30 Prozent aller Kunden.

Gleichzeitig ist die Kreuzfahrt ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Hafenstädte: Hamburg beziffert die Wertschöpfung aus der Kreuzfahrt für das Jahr 2013 mit rund 270 Millionen Euro. Basis hierfür waren 178 Anläufe mit 552.459 Passagieren. Damit lag die Hansestadt im Ranking der wichtigsten Kreuzfahrthäfen weltweit auf Platz 20.

In den USA sind Kreuzfahrten schon viel länger als Urlaub für jedermann etabliert. Während in Deutschland eine Schiffsreise noch vor zehn Jahren als teures Luxusgut galt, schipperten bereits in den 70er-Jahren preiswerte Fun-Schiffe mit US-amerikanischen Gästen in der Karibik herum. Und als 2009 in den USA bereits 13,4 Millionen Menschen ihren Urlaub auf einem Schiff verbrachten, belief sich die Zahl der deutschen Kreuzfahrer nur auf gut eine Million. Drei Viertel von ihnen starteten in deutschen Häfen.

130.000 Passagiere zählte Hamburg damals. In den darauffolgenden Jahren legte die Hansestadt jedoch ein rasantes Wachstum hin. Durch den Hype um den Neubau „Queen Mary 2“ geriet die Urlaubsform Kreuzfahrt in den Fokus der breiten deutschen Bevölkerung. Plötzlich pilgerten Hunderttausende nachts an die Elbe, um den einzigen Transatlantikliner der Gegenwart zu sehen. Cunards Flaggschiff war damals das größte Kreuzfahrtschiff, das in Hamburg anlegen konnte. Aus der Faszination, dass es noch eine andere Form der Seereise neben dem TV-Traumschiff geben könnte, wurden Buchungen: 2010 zählte die Hansestadt bereits knapp 246.000 Kreuzfahrt­reisende. Nur drei Jahre später hatte sich die Zahl mehr als verdoppelt. Die Inbetriebnahme eines zweiten Terminals in Altona ermöglichte mehr Anläufe in der Hansestadt.

Inzwischen ist Hamburg der beliebteste Hafen der deutschen Kreuzfahrtpassagiere. 2016 rechnet die Stadt mit 160 Anläufen und 661.000 Passagieren. Rostock-Warnemünde meldet (für 2015) 485.000 Passagiere, Kiel muss sich inzwischen mit dem dritten Platz zufriedengeben. Sacha Rougier, Geschäftsführerin der Hamburger Kreuzfahrtterminals, hat ehrgeizige Pläne: Für 2018 strebt sie eine Million Passagiere an. Auf dem Weg zu diesem Ziel wurde im Juni 2015 das dritte Kreuzfahrtterminal auf Steinwerder eingeweiht. Es bietet genügend Raum, um rund 8000 Passagiere gleichzeitig abzufertigen. Der wird angesichts der jüngsten Schiffsgenerationen auch gebraucht.

Ab April 2016 soll der Neubau „AidaPrima“ auf Steinwerder im Wochentakt Passagiere austauschen. Er bietet Platz für 3300 Gäste und steuert auch im Winter nordeuropäische Metropolen an: Southampton für London, Le Havre für Paris, Zeebrügge für Brüssel und Rotterdam. Damit dehnt sich das Kreuzfahrtgeschäft in Hamburg erstmals auf das ganze Jahr aus, nachdem die Saison in den vergangenen Jahren bereits zunehmend in die Weihnachtszeit ausgeweitet wurde. Für Hamburg bedeutet dies eine weitere Steigerung der Wertschöpfung.

95 Prozent aller Kreuzfahrtpassagiere, die die Hansestadt besuchen, steigen hier ein oder aus. Diese sogenannten Turnaround-Gäste lassen deutlich mehr Geld in der Stadt als ­Tagesbesucher. Laut einer Studie des englischen Consulting-Unternehmens G. P. Wild gibt ein Turnaround-Gast im Durchschnitt 75,12 Euro aus. Ein Transitgast lässt nur 27,46 Euro in Hamburg.

Inzwischen entscheiden sich auch US-amerikanische Reedereien für deutsche Abfahrtshäfen: Princess Cruises fährt bereits seit 2012 ab Warnemünde, im Sommer 2016 schickt die Reederei ihr jüngstes Schiff in den Rostocker Hafen – die „Regal Princess“ für 3600 Gäste. Die Norwegian Cruise Line debütiert 2016 mit Reisen ab Warnemünde.

Im kommenden Jahr soll das Angebot mit einem der jüngsten Schiffe ­wiederholt werden: Die „Norwegian Getaway“ ist auf knapp 4000 Passagiere ausgelegt. Darüber hinaus wird ein kleineres Schiff – die „Norwegian Jade“ – regelmäßige Abfahrten ab Hamburg anbieten. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, hat die Reederei im Dezember 2015 ein Alles-inklusive-Konzept speziell für den deutschsprachigen Markt eingeführt.

Branchenexperten gehen jedoch davon aus, dass etwa die Hälfte der Passagiere auf der „Norwegian Jade“ aus den USA kommen wird. Auf diesem Weg kommt Hamburg seinem Ziel immer näher, den internationalen Anteil am Tourismus zu steigern. Und die deutschen Häfen gewinnen dadurch weiter an Bedeutung.