Liechtenstein galt lange nur als Steueroase. Jetzt erfindet es sich neu – mit Kunst und Kulinarik, schönen Loipen und Wanderwegen.

„Wanderer, kommst du nach Liechtenstein, tritt nicht daneben, tritt mitten rein.“ So reimte einst der Berliner Blödel-Barde Ingo Insterburg über das sechstkleinste Land der Welt.

„24 Kilometer lang und zwölf Kilometer breit“, sagt Leander Schädler gleich vorneweg wie zur Bestätigung. Der muntere Fremdenführer aus der Hauptstadt Vaduz bringt sein zwischen der Schweiz und Österreich eingeklemmtes Fürstentum, das vor 200 Jahren zum eigenständigen Staat erwuchs, sofort zur Begrüßung auf den Punkt. „Wir haben 37.000 Einwohner“, fährt Schädler fort. 2000 weniger als Lohbrügge also. „Es gibt bei uns praktisch keine Arbeitslosen“, sagt er. „Und keine Staatsverschuldung.“ Dann schwärmt er: „Klein, aber oho.“2000 weniger als Lohbrügge also, denkt man. „Und es gibt bei uns praktisch keine Arbeitslosen“, sagt er. „Und keine Staatsverschuldung.“ Um dann zu schwärmen: „Klein, aber oho.“

Klein, aber Oase. Das war einmal. Vor sechs Jahren hat sich das Fürstentum in den Alpen auf Druck der USA und der Europäischen Union von seinem Bankgeheimnisgesetz verabschiedet. Viele Kunden wanderten mit ihren immensen Geldschätzen in andere Länder ab. An ihre Stelle sind jetzt, um im Bild zu bleiben, Kunstschätze von Weltruhm getreten, die Besucher in das kleine Land locken sollen. Richtig ist aber auch:Ein Steuerparadies ist Liechtenstein immer noch. Für Unternehmen gilt der einheitliche Ertragssteuersatz von 12,5 Prozent. Privatpersonen werden mit einem Satz zwischen drei und 24 Prozent besteuert.

Hier lässt es sich (h)aushalten. Die Gemälde alter Meister der Schatzkammer sind weltberühmt

Die Wochenarbeitszeit mit 45 Stunden in der Industrie und 48 Wochenstunden in allen anderen Branchen ist im europäischen Vergleich eher hoch. Genau wie das Lohnniveau. Was zur Folge hat, dass ausländische Gäste erstmal zusammenzucken, wenn für einen Salat mit Putenfleisch knapp 20 Schweizer Franken berappt werden müssen. Was 20 Euro entspricht.

Ein Besuch im Museum kostet 15 Schweizer Franken. Genau genommen sind es zwei Museen, seit im Mai die Hilti Art Foundation mitten in Vaduz ihr eigenes Ausstellungsgebäude als Erweiterung des Kunstmuseums eröffnet hat. Ein gewaltiger Neubau erhebt sich als großer weißer Würfel neben dem schwarz glänzenden Kunstmuseum, das ebenfalls eine kubische Form hat.

Kurator Uwe Wieczorek mit Max Beckmanns Selbstbildnis von 1936
Kurator Uwe Wieczorek mit Max Beckmanns Selbstbildnis von 1936 © Jan Haarmeyer | Jan Haarmeyer

Das stellt schon rein äußerlich eine eindrucksvolle Verbindung von Wirtschaft und Kultur da. Oder besser: Von privatem Engagement und staatlichem Auftrag. „Die neuen Räume mit einem spektakulären Treppenhaus werden sehr viele neue Besucher zu uns locken“, freut sich Friedemann Malsch, Direktor des Kunstmuseums, bei einem Rundgang durch die aktuelle Ferdinand Nigg-Ausstellung.Malsch will vor allem bei jüngeren Menschen das Verständnis für die moderne und zeitgenössische Kunst wecken.

Treibende Kraft hinter dem kulturellen Aufbruch in Liechtenstein ist Michael Hilti. Seine Familie hat seit den 70er-Jahren zahlreiche Kunstwerke von internationalem Rang erworben. Sein Unternehmen mit Hauptsitz in Schaan steht beispielhaft für den stabilen Wirtschaftsstandort mit rund 4000 Firmen auf kleinster Fläche. Zum Vergleich: Während in Deutschland 28 Prozent der Arbeitsplätze auf den Industriesektor entfallen, sind es in Liechtenstein knapp 40 Prozent.„Die Kunst ist immer ein Zeugnis der Kultur, in der wir leben“, sagt Michael Hilti, dem ebenfalls besonders viel daran liegt, bei den Jugendlichen das Interesse für bildende Kunst zu wecken.. Er spricht von „Erfahrungen, die den Blick weiten und uns ein Sehen lehren, das in der digitalen Welt leider immer mehr verloren geht“. Im Mittelpunkt der Kunstsammlung, die noch ein Jahr lang zu sehen ist, steht der Mensch. Aus der rund 200 Kunstwerke umfassenden Privatsammlung mit Werken von Gaugin und Picasso, Klee und Beckmann, Magritte und Giacometti hat der Kurator Uwe Wieczorek 50 Gemälde und Skulpturen von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart ausgewählt

Weltberühmte Gemälde und historische Waffensammlung

In Liechtenstein sind die Wege kurz. Vom Untergeschoss zu den Meistern des Expressionismus, Kubismus und Surrealismus in die oberen Stockwerke ist es nicht weiter, als wenn man das Museum verlässt, um über die Fußgängerzone zur „neuen Schatzkammer“ zu gehen. Sie wurde, als Teil des beeindruckenden Landesmuseums, ebenfalls im Mai dieses Jahres eröffnet. Dort wartet Professor Rainer Vollkommer. Der Direktor des Landesmuseums führt den Besucher einzeln in eine stockdunkle Kammer. Nach einigen Sekunden öffnet sich der schwarze Raum, und dann glitzert und funkelt es hinter den in einer langen Reihe aufgebauten Glasvitrinen. „Dank der Großzügigkeit der fürstlichen Familie ist in der Schatzkammer eine kleine repräsentative Auswahl ihrer Kostbarkeiten zu bewundern“, sagt Vollkommer. Schon seit mehr als 400 Jahren trage die Familie Außergewöhnliches zusammen. „Die Gemälde alter Meister und die historische Waffensammlung sind weltberühmt.“

Einer der größten Liechtensteiner Sammler war Adulf Peter Goop. Im Sommer 2010, acht Monate vor seinem Tod, schenkte der 90-jährige Kulturmäzen dem Land die international umfangreichste Ostereiersammlung. „Herausragend ist die Fülle an russischen Ostereiern aus der Zarenzeit, wohl die beste Zusammenstellung außerhalb Russlands“, sagt Vollkommer. Neben kostbaren Fabergé-Eiern befindet sich auch Mondgestein von Apollo 11 und Apollo 17 in der Schatzkammer.

Marcel Teller brennt in seiner Traditions-Distillery hochgelobten Whiskey
Marcel Teller brennt in seiner Traditions-Distillery hochgelobten Whiskey © Jan Haarmeyer | Jan Haarmeyer

Auch außerhalb der Museen gibt es in dem bergigen Miniatur-Wunderland noch viele Schätze zu entdecken: 400 Kilometer Wanderwege, wunderschöne Loipen im Winter und familienfreundliche Skipisten in Malbun auf 2000 Meter Höhe. Oder man stattet Marcel Telser einen Besuch ab. Sein Schatz ruht noch in der Flasche. Ein exzellenter Whiskey, den er selbst in der Telser Traditions-Distillery, die seit 1880 auch hochwertige Obstbrände, Gin oder Wodka brennt, herstellt. In Handarbeit und mit holzbefeuerten Brennöfen – und hochgelobt von vielen Experten seit seiner ersten Abfüllung 2009.

Wer Wein bevorzugt, ist bei Simon Klocker in der Fürstlichen Hofkellerei richtig. Der Herawingert, ein vier Hektar großer Weinberg unterhalb des Schlosses der Fürstenfamilie, zählt zu den besten Reblagen im Rheintal. „Pinot Noir und Chardonnay finden hier dank der Südwestlage und dem milden Föhnklima idealste Bedingungen für das Reifen der Trauben“, sagt Klocker.

Oder man genießt einfach die atemberaubende Aussicht über das Rheintal von der Terrasse des Berggasthauses Masescha, den Fred Fehr mit seiner Frau Maria in dritter Generation führt. Hoch begehrt ist das Rezept von Marias Apfelkuchen, das aber nicht verraten wird. „Gaumenschmaus und Augenfreude“ ist das Motto des 1877 erbauten Gasthauses. Das passt. Und spätestens beim Blick über Berg und Tal weiß man, dass es sich lohnt, einmal in dieses friedliche Alpenland, in dem vor 150 Jahren das Militär abgeschafft worden ist, mitten hineinzutreten.

Gerade wieder wurde die Hilti-Gruppe, die die Bauindustrie auf dem Globus mit Produkten, Systemen und Serviceleistungen beliefert, unter die weltweit 25 besten Arbeitgeber gewählt. Zum dritten Mal in fünf Jahren. Bewertungskriterien waren das Vertrauen der Mitarbeiter in die Führungskräfte, die erlebte Wertschätzung, Unterstützung und Förderung im beruflichen Alltag, die Identifikation mit der Tätigkeit und dem Unternehmen sowie der Teamgeist. Befragt wurden mehrere Hundert der 22.000 Mitarbeiter in 120 Ländern.

„Im Untergeschoss wird der Mensch als Wunder und Rätsel zugleich dargestellt, unterworfen den glücklichen oder quälenden Wechselfällen des Lebens“, sagt Wieczorek.

Besonders stolz sind sie auf die jüngste Neuerwebung: Max Beckmanns Selbstbildnis von 1936. „Beckmann präsentiert sich mit der Weltkugel als jemand, der sich in die Pflicht nimmt, wahr zu sehen und wahr zu sprechen in einer Zeit kollektiver Verblendung sowie schlimmster privater Bedrängnis“, sagt Wieczorek. „Das Selbstbildnis ist ein Zeugnis menschlicher Größe. Es macht deutlich, dass unter höchster Gefahr nicht allein das Prinzip der Sicherheit gilt.“