Die Hurtigruten-Flotte transportiert nicht nur Touristen, sondern immer noch alltägliche Dinge wie Baustoffe, Lebensmittel und Autos.

Hild Hagen ist eine freundliche Frau. Auf dem achten Deck des Hurtigrutenschiffes „Midnatsol“ hat sie ihr Büro. Ein schmaler Schreibtisch steht etwas erhöht gegenüber einem Andenkenladen. Der Blick aus dem Bordfenster findet auf dem Nordmeer keinen Halt. Ein Computerbildschirm, eine Tastatur und ein altmodisch wirkendes Mikrofon komplettieren die Büroausstattung. Die 63-Jährige ist für das Programm auf dem Schiff zuständig. Sie organisiert Exkursionen, kümmert sich um die Gäste und sorgt dafür, dass diese per Lautsprecher wichtige Informationen erhalten. Eben hat Hild Hagen in norwegischer, englischer und deutscher Sprache verkündet, dass der Vortrag über die Geschichte der Samen, wie die Einheimischen in Nordskandinavien heißen, zwanzig Minuten später beginnt.

Vor ein paar Stunden hat die „Midnatsol“ den Hafen von Tromsø in Nordnorwegen verlassen. Backbord liegt die offene See, steuerbord kann man Norwegens Küste erkennen. Seit fünf Tagen ist die „Midnatsol“ von Bergen kommend unterwegs. 34 Häfen wird sie auf ihrer rund 2500 Kilometer langen Tour bis Kirkenes und zurück anlaufen. Seit 25 Jahren arbeitet Hild Hagen bei Hurtigruten. Wenn sie ihren 22-tägigen Dienst antritt, so weiß sie, dass sie zwei Mal an ihrem Heimatort Nuvsvag in der Finnmark vorbeifahren wird. 80 Einwohner zählt das Hafenstädtchen noch. „Die jungen Menschen ziehen ­alle weg, in den Süden.“

Viele Reisende nutzen das Schiff nur, um von einem Ort zum anderen zu gelangen

Die Hurtigrutenschiffe sind weit mehr als Touristendampfer. Neben der Post transportieren sie Baustoffe und Lebensmittel. Oder Autos. 34 passen in den Frachtraum der „Midnatsol“. Früher sei die Ankunft eines Hurtigrutenschiffes das wichtigsteEreignis des Tages gewesen. „Die Menschen kamen in den Hafen, um das Schiff zu begrüßen“, erzählt sie. Das ist heute längst nicht mehr so, aber nach wie vor gilt: „Es ist wichtig, dass wir kommen.“ Dann erzählt Hild Hagen eine Geschichte aus dem Urlaub. Mit ihrem Mann habe sie in einem Fischerdorf in einem Hotel übernachtet. Beim Abendessen habe sie Rotwein trinken wollen. „Dort sagte man uns, dass kein Hurtigrutenschiff gekommen sei, sodass es an diesem Abend keinen Rotwein mehr gab.“

Eine tiefschwarze Nacht und ein klarer Himmel sind gute Voraussetzungen, um das grünschimmernde Nord­ oder Polarlicht sehen zu könne
Eine tiefschwarze Nacht und ein klarer Himmel sind gute Voraussetzungen, um das grünschimmernde Nord­ oder Polarlicht sehen zu könne © HA | Hurtigruten

Die Schiffe sind an jedem der 365 Tage im Jahr unterwegs. In dem einen oder anderen Hafen bleiben sie einige Stunden. So in Honningsvåg, von wo aus die Touristen für vier Stunden zum Nordkap fahren können. „Dann besuchen oft Einheimische unsere Schiffscafeteria, um eine Tasse Kaffee zu trinken und ein Stück Kuchen zu essen“, sagt Hild Hagen und fügt hinzu: „So kommt jeden Tag ein neues Café.“

Es sei denn, das Wetter macht dem einen Strich durch die Rechnung. Im Herbst und Winter seien Stürme die größte Herausforderung, sagt Maryann Bendiksen, Chief Officer und nach dem Kapitän die zweitwichtigste Person an Bord. Oftmals seien die Häfen klein und es braucht viel Fingerspitzen­gefühl, die 136 Meter lange „Midnatsol“ zu bugsieren. „Manchmal erkennen wir vom Kommandostand nur einen kleinen Bootsteg, an dem wir anlegen.“

Die Gästeschaft der Hurtigrutenschiffe könnte unterschiedlicher nicht sein. Neben den Touristen sind Reisende unterwegs, die lediglich von einem Ort zum anderen wollen. „In vielen Dörfern sind die Häfen die Bahnhöfe und die Hurtigrutenschiffe der tägliche Zug“, erzählt Hild Hagen. Als die Norweger anfingen, ihren Straßen Nummern zu geben, erhielten Hurtigrutenschiffe die Zahl 1 auf ihr Heck gemalt. Diese stand für „Rikswegen 1“.

Bei den Touristen hat Hild Hagen eine Reihe an nationalen Unterschieden ausgemacht. „Die deutschen Gäste sind fast immer gut vorbereitet und wissen genau, was Hurtigruten ist.“ Ganz anders die Amerikaner. „Sie verreisen zusammen in größeren Gruppen. Bei ihnen steht das Zusammensein im Mittelpunkt.“ Engländer und Japaner wiederum kämen vornehmlich im Winter, des Nordlichts wegen. „Und Italiener machen oft ihre Hochzeitsreise mit uns. Die interessieren sich nur für sich selbst“, berichtet Hild Hagen.

Wer kein Nordlicht sieht, kann einen Teil der Reise kostenlos wiederholen

Die Nordlichter sind ein wichtiger Anreiz für viele Touristen. Die Schifffahrtsgesellschaft hat sogar versprochen, wer auf einer zwölftägigen Reise von Bergen nach Kirkenes und zurück keine Nordlichter zu sehen bekommt, der kann im Jahr darauf den ersten Teil der Reise kostenlos wiederholen.

Wir stehen auf dem Oberdeck. „Es sollte möglichst eine pechschwarze Nacht und ein klarer Himmel sein“, hatte uns Per Helge Nylund vom Tromsø University Museum erzählt. Wir haben Glück und die Wolkendecke reißt auf. Wie Vorhangfalten hängen grüne Streifen am Himmel. Mal wird ihr Leuchten stärker, dann schwächer. Wer großes Glück hat, kann sogar die Bewegungen des Nordlichtvorhangs sehen und seine Verfärbung ins Rot.

Doch Nordlichter sind nicht das Einzige, mit dem Hurtigruten wirbt. Bei der Entwicklung eines weiteren touristischen Angebots hat die Natur mitgeholfen. Nachdem gut 80 Jahre in dem Fjord von Tromsø keine Wale ­gesichtet wurden, tummeln sich seit drei, vier Jahren die Tiere wieder in der Nähe der Stadt. Vor allem in der Zeit von Oktober bis Mitte Februar kreuzen Orcas und Buckelwale die Region „auf der Suche nach Hering“, wie die 27-jährige Liga aus Lettland erzählt.

Wir machen uns auf den Weg dorthin. Gut eineinhalb Stunden benötigt das Tragflächenboot in Richtung offenes Meer. Auf bis zu 650 wird die Zahl der Tiere geschätzt, die in der ­Region von Tromsø auftauchen. Hier und da ragen noch einige Steininseln aus dem Meer, als Kapitän Stein Are Poulsen abrupt die Geschwindigkeit drosselt. Eine Gruppe von Orcas kreuzt unseren Weg. Immer wieder tauchen die Tiere für einen Moment aus dem Wasser auf. Ihre Bewegungen sind anmutig und fließend.

Wenig später begegnen wir einer Gruppe deutlich größerer Buckelwale. Ihre Wasserfontänen spritzen mehrere Meter in die Höhe. Es scheint eine kleine Ewigkeit zu dauern, bis die schweren und bis zu 19 Meter langen Körper wieder im Wasser verschwinden und eine mächtige Schwanzflosse den Abschluss bildet. Buckelwale sind wahre Marathonschwimmer. Den Sommer verbringen sie in der Karibik und kehren erst im Herbst in die Barentssee ­zurück. Das erzählt zumindest Liga.

Kapitän Poulsen ist sich der Zweischneidigkeit des Whalewatchings bewusst. „Wir fahren nicht direkt in eine Herde hinein.“ Die „Vorsicht“ war auch Voraussetzung dafür, dass Hurtigruten seinen Passagieren Whalewatching­touren guten Gewissens anbieten kann.