Die große Blonde thront am Klavier. Ihr Blick ist unnahbar, das Haar trägt sie hochtoupiert zu einem uneinnehmbaren Turm. Nie schaut sie ins Publikum.

Die kleine Rote spielt die Violine. Ihre Haare sind nachlässig gefärbt. An den Wurzeln kommt Grau durch, man sieht die Kopfhaut darunter. Sie hat blaue Augen, die nichts mehr erwarten, ein Gesicht, das fast alles hinter sich hat und Mundwinkel, die im Boden versinken möchten.

Die beiden sind für die Musik zuständig heute Abend in diesem Touristenrestaurant im bulgarischen Bansko. „Oh, What a Kiss“ zum Chopska-Salat. Dann vieles andere.

Routiniert spielen sie. Vielleicht waren sie einst Musiklehrerinnen. Gnadenlos zu ihren Schülern – oder auch von unendlicher Güte. Unter ihren männlichen Kollegen sorgten sie zweifellos für Wirbel. Mit all dem jedoch sind sie erkennbar längst durch. Ihr offenkundiges Problem: Heute reicht die Rente nicht, sie müssen spielen. So, wie man es an solchen Orten liebt. Mit Schmelz in den Saiten und Feuer im Blut.

Manchmal schaut, während sie fidelt, die kleine Rote einer Katze zu, die in der Ecke mit ihren Jungen spielt. Gelegentlich darf man die Andeutung eines Lächelns vermuten. „Dr. Schiwago“ zum Schaschlik. Dann wieder vieles andere.

Nach jedem Stück diskutieren sie knapp, mit dem Rücken zum Publikum, welches das nächste sein soll. Sie kommen zurecht, aber sie mögen sich nicht besonders – mancher Blick, die eine oder andere Geste verraten es.

„Amor amor amor“ zum Joghurt mit Honig. Und noch vieles andere.

Die Verbeugungen nach dem Beifall sind knapp. Ihre Neugier auf das Publikum ist so gering wie auch dessen Interesse an ihnen. Wenig haben sie behalten. Aber einen Rest Stolz doch. Würdige Arbeiterinnen im Bergwerk der Unterhaltung.

„Wiener Blut“ zu Kaffee und Rakija. Dann nichts anderes mehr.

Sie gehen. Leicht gebückt führt die große Blonde die kleine Rote durch den Raum. Sie sind unsicher. Es ist nicht nur das Alter. Auf ihrem Tisch steht eine fast leere Flasche Wein.