Franz von Defregger malte hoch über Lienz Szenen seiner Heimat Tirol. Heute ist seine Sommerfrische eines der urigsten Domizile weit und breit

„Kommen Sie zu uns, wir haben nichts!“ Der Werbeslogan eines Ost­tiroler Bergtales brachte uns auf diese Alpenregion. Wir suchten ein Berghaus ­ohne WLAN und Beamer, ohne Fast-Food-Speisekarte und Seilbahnanschluss. Nicht mehr und nicht weniger als ein uriges Domizil mit nostalgischem Ambiente und heimeliger Atmosphäre, ohne Hundertschaften von Wanderern und Bikern. Und natürlich sollte das Nostalgiehaus inmitten saftiger Almwiesen liegen und einen herrlichen Ausblick bieten.

„Ganz schön viele Bedingungen auf einmal. Solche Hütten gibt’s heute kaum noch“, erwiderte die Dame vom Ost­tiroler Tourismusbüro und runzelte die Stirn. „Aber der Paula fällt bestimmt was ein!“ Kurz darauf meldete sich die Kollegin und präsentierte uns ihren persönlichen Tipp: das Anna-Schutzhaus am Ederplan.

Dass das knorrige Anwesen auf fast 2000 Metern Höhe einen prominenten Bauherren hatte, erwähnt sie nur so beiläufig. Wahrscheinlich will sie den Rummel im Rahmen halten, denn immerhin ist das Berghaus hoch über Lienz und dem Drautal bei den Einheimischen ein beliebtes Ausflugsziel.

Franz von Defregger (1835–1921), berühmter Maler und Professor der Münchner Kunstakademie, ließ sich 1882 dort oben eine kleine Sommerfrische bauen. Ein geschnitzter Malersitz mit 270-Grad-Blick erinnert heute noch an diese Zeit. Er selbst stammte vom Eder­hof in Stronach, auf halber Höhe zwischen Drautal und Ederplan-Gipfel. Doch dem kleinen Franz gefiel das Malen und Modellieren besser als die Knochenarbeit auf dem Bergbauernhof. Dennoch musste er schon im Alter von 23 Jahren nach dem frühen Tod des Vaters den elterlichen Hof übernehmen, den er jedoch bereits nach zwei Jahren wieder verkaufte. Es zog ihn zu einer künstlerischen Ausbildung nach Innsbruck und München. Sein liebster Rückzugsort blieben die Tiroler Berge, was sich auch immer wieder in seinen Bildern spiegelte. Den Ederhof am Iselsberg gibt es übrigens heute noch, allerdings befindet sich dort jetzt ein Rehabilitationszentrum für Kinder vor und nach einer Organtransplantation.

Im Jahr 1887 schenkte Defregger sein kleines Holzhaus am Ederplan dem Österreichischen Touristenklub, der es zu Ehren der Malergattin Anna-Schutzhaus nannte. Dank der Geschäftstüchtigkeit seiner fast 20 Jahre jüngeren Frau Anna war Defregger bereits zu Lebzeiten ein wohlhabender Mann. Seine Gemälde erzielten damals schon Höchstpreise.

Für uns gilt es jetzt allerdings noch dort hinaufzukommen zum gesuchten Bergjuwel. Wanderer bezwingen den Steilanstieg in mindestens zwei bis zweieinhalb Stunden durch Wald und Almwiesen ab Stronach oder Zwischenbergen. Wir entscheiden uns für die härtere Variante – per Mountainbike direkt vom Tal aus.

In Lienz liebt man das Leben. Durch die kleine Metropole Osttirols weht schon unverkennbar ein Hauch Italien. Südliches Flair zeigt sich an vielen Ecken der schmucken Altstadt. Nichtsdestotrotz verzichten wir erst mal auf den Cappuccino am Hauptplatz und orientieren uns Richtung Osten den Berg hinauf. An der Drau entlang fahren wir uns langsam warm, nehmen Anlauf für den Anstieg Richtung Ederplan – das ist der Zweitausender gleich hinter der Annahütte.

Etwa 1300 Höhenmeter am Stück wollen getreten sein. Mit vielen Flachstücken ist wohl kaum zu rechnen, wissen wir vom Hörensagen. Zuvor wird uns noch klar, warum Lienz solch ein interessanter Startort für Bike- und Wandertouren ist. In allen Himmelsrichtungen stehen markante Bergmassive: die Lienzer Dolomiten, die Villgratner Berge, die Hohen Tauern, die Karnischen Alpen. Und wir haben die Kreuzeckgruppe im Visier, die sich bis hinüber nach Kärnten erstreckt.

Nach wenigen Radwegkilometern verlassen wir die Flussauen. Gelbe Schilder weisen den Weg Richtung ­Anna-Schutzhaus und Ederplan. Noch ein paar Pedalumdrehungen durch die Dörfchen Gödnach und Görtschach, dann hat uns die Bergnatur fest im Griff, besser gesagt, der steile Bergweg. Auf der anderen Seite des Drautals drängen sich majestätisch die Felsen der Lienzer Dolomiten ins Blickfeld. Nach Linkskurven steuern wir auf die Hohen Tauern zu. Der Bergweg ist nicht schlecht, aber verdammt steil. So gönnt man sich an den aussichts­reichen Stellen gerne mal eine Verschnaufpause. Lienz und das Drautal liegen uns zu Füßen. Der Schluss­anstieg vorbei an lieblichen Almhäuschen fordert noch mal alles, zumal der Weg auf den letzten Metern auch noch ruppig wird.

Aber die Neuankömmlinge werden herzlich empfangen. Irgendwie gehört man schnell zur Hüttengemeinde, auch wenn man nicht mit Hüttenwirt Johann bekannt oder verwandt ist. Das Anna-Schutzhaus ist, wie unsere Tippgeberin Paula sagte, ein beliebtes Ziel der Einheimischen. Kein Wunder, präsentiert es sich doch wirklich so, wie man sich klischeehaft eine urige Berghütte vorstellt: alles aus Holz, etwas windschief und mit grandiosem Ausblick. In den 90er-Jahren wurde das Haus komplett renoviert und erweitert mit Brettern und Pfosten von 15 alten Almhütten. Es gibt sogar im Stadel versteckt eine kleine Dusche. Hüttenwirt Johann Wallensteiner ist im Neben­beruf noch Jäger, Metzger, Bergbauer und ein exzellenter Koch. Also darf der Gast sich auf beste Osttiroler Bergkost freuen, nur der Wein stammt von einem Biowinzer aus dem nahen Friaul.

Aber vor dem Abendessen mit Schlipfkrapfen und Tiroler Knödel muss noch ein Ausflug zum 2061 Meter hohen Ederplan sein. Kein Problem, denn zum Gipfelkreuz mit 360-Grad-Panorama sind es nur gute 20 Minuten zu Fuß. Es lohnt sich, außer es liegt ­gerade alles in den Wolken, was in dieser Höhe nicht so selten vorkommt. Zum Sonnenuntergang sitzen die Gäste draußen und schauen nach Westen, auch Hüttenwirt Johann. Selten lässt er sich das Schauspiel nehmen, wenn der rote Feuerball hoch über Lienz ­hinter den Villgratner Bergen und den Hohen Tauern langsam verschwindet.

Eigentlich sollte man auf einer solch urigen Berghütte gleich mehrere Nächte verbringen. Umso schwerer fällt am nächsten Morgen die Abfahrt, vor allem wenn über Nacht das Thermometer unter null gefallen ist. Jedenfalls haben wir unsere nostalgische Traumhütte gefunden. Anna und Franz – und Paula sei Dank!