Mitten in der kleinen Stadt Goroka in Papua-Neuguinea findet einmal im Jahr das Sing-Sing-Festival statt, an dem bis zu 150 Volksstämme prächtig geschmückt teilnehmen

Seit den frühen Morgenstunden bereiten sich die Frauen eines Hochlandclans im Hof ihrer Herberge auf das große Kulturfestival von Goroka vor. Zuerst schlüpfen sie in einen Rock aus Dschungelblättern. Dann befestigen sie an den Oberarmen hellgrüne Büschel und legen sich Dutzende Muschelketten um, die bis zu ihren nackten Brüsten reichen. Die Haare verbergen sie unter buntem Kopfschmuck, gekrönt von prächtigen Paradiesvogel-, Papageien- und Pfauenfedern. Am längsten dauert die Gesichtsbemalung mit den typischen Farben und Mustern ihres Clans.

„Unsere Gruppe heißt Hooks Ambe und hat 14 Mitglieder“, sagt Anna, eine von ihnen. „Gestern sind wir mit dem Bus aus Mount Hagen gekommen, aus dem Bergdorf Bata Compound, eine weite Reise.“ Wie eine Maske wirkt ihr Gesicht. Die Lippen sind weiß geschminkt und blau umrandet, ebenso Stirn und Augenpartie. Auf Wangen und Kinn wird flächig ein feuriges Rot gepinselt. Dabei helfen sich die Frauen gegenseitig. Zufrieden beäugt Anna das Werk in einem abgebrochenen Autorückspiegel. Gleich werden alle zum Festplatz von Goroka aufbrechen.

Solange die Stämme miteinander tanzen, bekriegen sie sich nicht

In dieser kleinen Stadt mitten im Hochland findet jedes Jahr im September das berühmteste Sing-Sing-Festival von Papua-Neuguinea statt, an dem bis zu 150 Volksstämme teilnehmen. Es sind Geistergeschichten, die sie mit ihren Körpern erzählen und die wir nicht verstehen. Da schleppen fast nackte, pechschwarz gefärbte Jungen auf ihren Köpfen eine riesige nachgebildete schwarze Schlange, so lang wie der Kreis, den zwei Dutzend Jungen bilden, und sie drehen sich unaufhörlich mit erhobenen Armen in der Mittagshitze, um den Sieg über die Schlange, die in der Kultur der Chimbu als gefährlicher Geist im Wald lebt, mit einem Sprechgesang zu beschwören. Ein paar Meter weiter stürmen wilde Krieger aus Guasa, einem kleinen Dorf im östlichen Hochland, mit Pfeil und Bogen, Speeren und Trommeln über die Wiese, dass einem angst und bange werden könnte. Sie tragen Felle, Wildschweinhauer und magische Bilum-Taschen um den Hals, und auf ihren Köpfen thronen mächtige borstige Büsche. Die Frauen aus Mount Hagen aber sind im Lärm der bunten Zeremonien verschwunden.

Die „Goroka Show“ ist keineswegs für Touristen erfunden worden, sondern wurde 1957 zum ersten Mal von der damaligen australischen Provinzregierung organisiert, um die verfeindeten Stämme zu einem friedlichen Miteinander zu bewegen. Papua-Neuguinea gilt als eine der gewalttätigsten Gesellschaften der Welt. Die etwa 750 bis 1000 verschiedenen Volksstämme des Landes mit ebenso vielen eigenen Sprachen und Mythen, dazu mit einem bis heute unerschütterlichen Glauben an böse Geister und Hexenmagie, bilden ein enormes Konfliktpotential. Aber solange die Stämme in Goroka tanzen, heißt es, bekriegen sie sich nicht.

An den drei Festtagen haben auch die Händler Hochsaison. Sie bieten handgeknüpfte Netztaschen, selbstgeschnitzte Holzmasken, geflochtene Körbe, Muschelketten und magische Amulette aus Tierknochen und Vogelfedern an. Die meisten Händler und Passanten sind barfuß und haben vom Betelnusskauen rot verschmierte Zähne. Voll ist die Straße am späten Nachmittag.

Am nächsten Tag geht es mit einem Truck in die unwegsame Kotuni-Region. Ein steiler Pfad, durchzogen von reißenden Flussarmen, führt zu einem mächtigen Wasserfall hinauf. Unterwegs lernt man Bäume, Früchte und Pflanzen kennen, die zum Kochen und als Schmuck bei Zeremonien verwendet werden. Nathan, ein jugendlicher Begleiter aus dem Dorf Kaveve, erzählt voller Inbrunst von dem Riesen Nakondi, einem „Halfman“ mit einem halben Körper, der einen gewaltigen Felsen mit seinem Penis zerteilte, so dass eine Hälfte in den Fluss stürzte. Hier, in der östlichsten Bergprovinz mit dem 3750 Meter hohen Mount Michael, sind auch die berühmten Lehmmänner, die Mudmen des Asaro-Clans, beheimatet. Der Legende nach kamen die Krieger eines Gebirgsclans ins Tal hinunter, voller Neid auf das fruchtbare Land, und töteten Männer, Frauen und Kinder. Doch einige konnten in den Schlamm des Asaro-Flusses fliehen. Am nächsten Morgen erschienen sie schlammbedeckt im Dorf wie Geister, ohne Bewegung, ohne Tänze, ohne Sing-Sing. Als die Feinde sie sahen, rannten sie panisch weg, zurück in die Berge, und kehrten nie wieder zurück. Im Dorf Geremiaka wird die Szene vor palmgedeckten Bambushütten nachgespielt. Gespenstergleich schleichen die Mudmen mit Fratzenmasken aus dem Gebüsch und erschrecken nun die Besucher.

Durch Fischfang wird das Überleben vieler Dörfer gesichert

Vom Hochland an die Pazifikküste zu reisen, dauert im drittgrößten Inselstaat der Welt einen ganzen Tag. Der kleine Ort Tufi in der nordöstlichen Provinz Oro ist nur per Flugzeug erreichbar. Nach der Landung auf einer Sandpiste direkt am Meer wird das Gepäck auf dem Anhänger eines Treckers zum nahe gelegenen Hotel gebracht. Es liegt 80 Meter oberhalb einer wundervollen Fjordlandschaft an der Spitze von Cape Nelson und gilt als eines der besten Tauchresorts des Landes. Jenseits der Fjorde, im offenen Tropenmeer der Salomonsee, zieht sich parallel zur Küste ein bis zu 600 Meter tiefes Barriere-Riff entlang, ein Fest für Schnorchler und Taucher.

Beim Paddeln in den idyllischen Gewässern rund um Tufi begegnet man Kindern und Frauen, die in ihren Einbäumen Früchte, Wasser, Töpfe und Holz transportieren. Ein steiler Pfad führt zum Dorf Yavi hinauf. Es hat 155 Einwohner, sagt William, der Gemeindesprecher. Zwei Männer arbeiten gerade mit einem Beil an den Innenseiten eines neuen Einbaums aus Eukalyptusholz. Eine gute Gelegenheit für William, den Besuchern zu erklären, wann ein Mann zum Mann wird: „Wenn er weiß, wie man ein Kanu macht, wenn er weiß, wie man fischt, wenn er weiß, wie man einen Garten macht, wenn er weiß, wie man ein Haus baut. Und wenn er ein Kanu hat, einen Garten, ein Haus und eine Ehefrau, dann hat er alles, was er zum Leben braucht. Das gibt ihm Ansehen unter den Männern des Dorfes.“

Zwischen Yavi und dem Nachbardorf Komoa liegt am Fuße des Berghangs ein langer weißer Sandstrand. Mit mehreren Auslegerbooten stechen zehn junge Fischer aus Yavi in See. Zwei Männer setzen ihre Taucherbrillen auf und springen mit Harpunen ins Meer. Zuerst erwischen sie einen Hornhecht, dann einen kleineren Fisch. Plötzlich gibt es riesige Aufregung. „Ein Hai“, schreien sie. Anstatt ins Boot zu flüchten, hüpfen zwei weitere Männer ins Wasser, während unsereins Herzrasen kriegt vor Angst. Die vier kämpfen mit dem Hai, der sich teilweise im Netz verfangen hat. Es ist ein Schwarzspitzenriffhai. Einem der Männer gelingt es, dem Hai ein Paddel ins Maul zu stoßen, damit er nicht mehr zubeißen kann. Dann wird gejubelt.

Abends, als das Fleisch des Hais verspeist worden ist, versammelt sich das halbe Dorf um die Gästehütte. „Wenn das Meer ruhig ist und wir zum Fischen gehen, fangen wir mit der Langleine jeden Tag einen Hai“, sagt Peter John, der jüngere Bruder von William. „Wir schneiden die Flossen ab und verkaufen sie an Asiaten.“ Bezahlt wird pro Stück nach Armlänge, etwa 80 Kina (umgerechnet 27 Euro). Für die Flosse eines Weißen Hais gibt es fast das Doppelte. Das ist viel Geld für ein armes Dorf. „Wir Fischer hier wissen, wie man mit den verschiedenen Arten von Haien umgeht“, sagt ein anderer stolz. „Alle zwei Monate töten wir einen Weißen Hai.“ Den Schnorchlern wird mulmig zumute. Ist es nicht verboten, Haie zu jagen? „Stimmt“, sagt William, „es ist ein geschützter Fisch. Aber wir brechen das Gesetz für das wirtschaftliche Überleben unseres Dorfes.“

Die Nacht in den drei Kojen der Bambushütte ist unerquicklich. Die Regenzeit hat begonnen. Schlechte Zeit für die Fischer.