Auf nach Torgau! Die Elbe-Stadt bietet Spätgotik, einen Bärenfang und Deutschlands ältestes Spielwarengeschäft

Der Überraschungskandidat liegt zwischen zwei Prominenten: Auf halber Strecke zwischen der Lutherstadt Wittenberg und Meißen wartet Torgau darauf, entdeckt zu werden. Die Schatzkiste bietet lebende Bären im Schlossgraben und solche aus Stoff in Deutschlands ältestem Spielwarengeschäft – garniert mit einem spätgotischen Stadtzentrum und umschlossen mit modern verpackter Geschichte über Wehrmacht und DDR.

Wer vom Marktplatz in Richtung Elbe geht, wird Menschen durch einen Zaun in die Tiefe gucken sehen. Oft halten sie ein Kind oder eine Kamera hoch. Wer nicht weiß, dass es am Schloss Hartenfels in Torgau einen sogenannten Bärenfang gibt, wird ihn unweigerlich finden – aus Neugier über die Blicke der anderen. 1425 durch Friedrich den Streitbaren angelegt, hat das Bärengehege seinen ersten Schicksalsschlag 1634 erlitten: Im Dreißigjährigen Krieg verspeisten Schweden die Tiere, und 1771 war das vorerst letzte Jahr mit Nachweisen von Bären im Graben vor dem weißen Schloss.

Bis Torgau sich in den 1950er Jahren an seine Geschichte erinnerte und Bürger den Fang für die Haltung von Tieren wiederherrichteten. Moritz, Kuno, Quistel und Katja zogen in den Graben, sie bekamen 58 Nachkommen. An den Bären vorbei geht es in den Innenhof des Schlosses mit seiner 20 Meter hohen steinernen Treppe aus Elbsandstein – und in die Ausstellung über die „Spuren des Unrechts“ in den ehemaligen Torgauer Gefängnissen während des Nationalsozialismus, der sowjetischen Besatzung und der DDR. Dort lernen wir das Leben des Hamburgers Robert Stein kennen. 1918 in einem Arbeiterviertel geboren, schloss sich Stein 1932 der Sozialistischen Arbeiterjugend an. Gemeinsam mit anderen steckte er in Hannover einen Waggon mit Hakenkreuzfahnen in Brand, und als er 1940 zur Wehrmacht einberufen wurde, versetzte man ihn wegen seines ständigen Widerstands erst in eine sogenannte Erziehungseinrichtung, später landete er wegen Fluchtversuchen im Wehrmachtsgefängnis Torgau-Fort Zinna. 1943 galt er als „soldatisch wertlos“, kam zur Gestapo in Lübeck und später ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Im Mai 1944 wurde der Hamburger befreit. Aus Finkenwerder kam Hinrich Butendeich. 1908 geboren und 1940 zur Kriegsmarine einberufen, beklagte er sich häufig über die Behandlung an Bord. Fünf Jahre Zuchthaus wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ war die Konsequenz – auf die Todesstraße verzichtete das Gericht nur, weil Butendeich bis dato unbescholten war. Im Februar 1945 landete er im Torgau-Fort Zinna, wo er militärisch gedrillt wurde. Seine Strafe war zur „Frontbewährung“ ausgesetzt. Im September 1945 durfte Butendeich aus dem Lazarett zurück nach Hamburg.

Hinaus aus dem Schloss, hinunter zur Elbe: Dort erinnert das Denkmal der Begegnung daran, dass sich amerikanische und sowjetische Soldaten hier am 25. April 1945 die Hände reichten. Ein Stück die Elbstraße hinauf und dann rechts ins Fischerdörfchen, zur modern gestalteten Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof. In der Einrichtung, die am 7. November 1989 geschlossen wurde, haben mehr als 4000 Jugendliche Disziplinarmaßnahmen der DDR durchlaufen. „Duschen war das Schlimmste“, erzählt einer der ehemaligen Jugendlichen aus einem Hörer in der Dauerausstellung. „Das Wasser war erst eiskalt und dann so heiß, dass es weh tat.“

Von dort geht es über die Fischerstraße zurück zum Markt, wo Deutschlands ältestes Spielwarengeschäft zu einem angenehmen Abschluss des beeindruckenden Tages in Torgau einlädt – gegründet im Jahr 1685 von Carl Loebner und noch heute in Besitz der Familie. Torgau ist nicht nur überraschend modern, vielseitig und informativ. Es ist auch günstig: Sowohl die Ausstellung „Spuren des Unrechts“ als auch die Gedenkstätte sind kostenlos zu besichtigen. Wer die Elbauen von oben sehen möchte, zahlt im Turm von Schloss Hartenfels lediglich einen einzigen Euro. Wer das Schmuckstück noch vor den Massen entdecken möchten, fährt dort vor 2017 vorbei – denn im Luther-Jubiläumsjahr wird die Stadt Touristenströme die Elbe hinauf locken: Torgau war der erste Schritt ins bürgerliche Leben der Nonne Katharina von Bora, und hier starb sie 1552 als Katharina Luther.