Die unzähligen buddhistischen Tempel des Landes sind Orte der Besinnung und liefern sich einen Wettstreit in sakraler Pracht und Herrlichkeit

Es war Kaiser Ashoka der Große, der Herrscher über das mächtigste Reich der indischen Antike, der im 3. Jahrhundert vor Christi das dritte buddhistische Konzil einberief, um von den klügsten Köpfen seines Imperiums die reine Lehre Buddhas festschreiben zu lassen. Sie taten es, und dann – so sagt es die Legende – sandte der Kaiser Mönche in alle Welt aus, um den Glauben des Erleuchteten zu verbreiten. Auch in den Osten zogen die Missionare, überquerten die Mündung des Ganges, überlebten die mörderischen Mangrovensümpfe der Sundarbans und kamen schließlich nach Suvarnabhumi, ins Goldene Land, in dem ihre Mission auf den fruchtbarsten Boden fiel. Und so ist Burma bis heute nicht nur immer noch das Land des Goldes, sondern auch jenes, das inbrünstiger als jedes andere auf Erden seinen buddhistischen Glauben pflegt.

Ganz Burma, so scheint es, ist ein einziger Tempelbezirk. Doch kaum irgendwo drängen sich so viele Pagoden auf so engem Raum wie in Mandalay, der nach Rangun zweitgrößten Stadt des Landes und der letzten Hauptstadt des unabhängigen burmesischen Reiches. Im Jahr 1857 wurde Mandalay von König Mindon mitten im Nichts am Ufer des Irrawaddy errichtet – nicht, weil er es sich größenwahnsinnig in den Kopf gesetzt hätte, sondern weil es göttlicher Wille war. Denn nach einer uralten Prophezeiung sollte am Ufer des Irrawaddy am 2400. Geburtstag des Buddhismus eine neue Metropole entstehen. Astrologen berechneten den exakten Standort, der König gehorchte der Prophezeiung, Mandalay wurde geboren. Ein glückliches, friedvolles Schicksal aber sollte der Stadt nicht vergönnt sein.

Die Briten plünderten sie 1885 nach ihrem Sieg im dritten britisch-burmesischen Krieg, die Japaner zerstörten sie im Zweiten Weltkrieg, die Burmesen bauten sie immer wieder auf. Und der englische Dichter Rudyard Kipling verlieh ihr wie zum Trost in seinem Gedicht „Road to Mandalay“ die Aura eines Sehnsuchtsortes, so wie es sonst nur Bertolt Brecht mit Surabaya gelungen ist. Kipling schildert in seinem Werk die verzweifelte Liebe eines britischen Soldaten zu einem einheimischen Mädchen, all den wehmütigen Schmerz des Abschieds, der von Frank Sinatra und vielen anderen herzzerreißend besungen wurde.

Mahamuni, Sandamuni, Kuthodaw, Kyauktawgyi, Eindawya, Set Kya Thiha, Shwe Kyi Myint, Atumashi Kyaung, Shwe In Bin Kyaung, Shwenandaw Kyaung: Legende ist die Zahl der Klöster und Pagoden in Mandalay, die sich ausnahmslos einen Wettstreit in Pracht und Herrlichkeit liefern. Ein halbes Jahr könnte man mit dem Besuch all dieser Tempel verbringen – oder auch ein halbes Leben, wenn man zum Beispiel die Kuthodaw-Pagode gründlich besichtigte. Denn sie ist nichts weniger als das größte Buch der Erde. 1871 berief König Mindon das fünfte buddhistische Weltkonzil nach Mandalay ein und ließ die Mönche über die richtige Fassung der Heiligen Schriften beraten, so wie es zweitausend Jahre zuvor Kaiser Ashoka getan hatte. Sie kamen zu einem Ratsschluss, den der König in 729 Marmortafeln meißeln ließ. Und für jede einzelne Tafel baute man eine Pagode. So entstand ein marmorner Pagodenwald, der die Wahrheit Buddhas für immer hütet.

Die Pilger bekleben den Großen Buddha als Zeichen der Verehrung mit Blattgold

Der berühmteste, beeindruckendste, betörendste aller Tempel ist der Mahamuni, das Haus des Großen Buddha. Ihm machen alle Burmesen bei einem Mandalay-Besuch ihre Aufwartung, nicht nur die Mönche und Pilger, sondern auch die weltlichen Herren, die sich dabei von ihren Hoffotografen ins rechte Licht setzen und dann die Aufnahmen im Tempel aufstellen lassen. Präsident Thein Sein ist auch schon da gewesen, ein Mann mit einem ernsten, aber offenen Gesicht, über das sogar eine Andeutung von Herzlichkeit huscht – eine subtile Propagandabotschaft, denn der Unterschied zu seinem Vorgänger von der Militär-Junta könnte erschreckender nicht sein. Auf dessen Fotos genau gegenüber sieht man einen misstrauischen, feindseligen, hartherzigen Soldaten, der den Großen Buddha herumzukommandieren scheint wie einen Untergefreiten.

Vielleicht putzt er ihn gerade wegen seiner schlechten körperlichen Verfassung herunter. Denn es ist keine Ketzerei, wenn man sagt, dass der Große Buddha inzwischen jede Form und Proportion verloren hat. Doch er trägt keine Schuld daran. Schuld ist allein die maßlose Liebe der Menschen zu ihm, die eine Bilderfolge neben der Statue dokumentiert: Ein Foto aus dem Jahr 1901 zeigt ihn noch als ranken, schlanken Kerl. Seither aber haben Millionen Gläubige ihre Blattgoldspenden auf den Leib des Erleuchteten geklebt, der jetzt zu einem wulstigen Klops angeschwollen ist und immer noch dicker wird. Stoisch sitzt er goldfettleibig auf seinem goldenen Podest in einem goldglänzenden Saal, während seine Verehrer Schlange stehen, um den Vierteltonnengoldkoloss weiter mit Blattgold zu bekleben, und die Pilger zu seinen Füßen in tiefer Meditation versunken sind, manche in Safrankutten, andere in FC-Barcelona-Trikots und einige wenige auch in Tarnanzügen. Eines Tages wird der Große Buddha wohl vollkommen verschwunden sein unter seinem goldenen Gewand, weil die Verehrung der Burmesen für ihn auch in hundert Jahren noch kein Ende genommen haben wird.

Nicht umsonst gelten die Burmesen in der buddhistischen Welt als besonders strenggläubig. Sie sind in ihrer überwältigenden Mehrheit Anhänger der Theravada-Schule, der ursprünglichsten und strengsten aller buddhistischen Lehren, deren wörtliche Übersetzung „Schule der Ältesten“ bedeutet. Ihre Gründer sollen noch von Buddha selbst unterrichtet worden sein. Die Glaubensrichtung ist vor allem in Südostasien und Sri Lanka verbreitet. Ihr Ziel ist es, den Kreislauf der Reinkarnationen zu durchbrechen, alles Irdische zu überwinden und ins Nirwana einzutreten. Das soll dank eigener Anstrengung und Läuterung, also individueller religiöser Verdienste gelingen. Deswegen ist es für die Burmesen existenziell, die Regeln des Theravada-Buddhismus so rigoros wie möglich einzuhalten und sich persönlich keine einzige Verfehlungen zuschulde kommen zu lassen.

Jeder Burmese muss in seinem Leben einige Monate im Kloster verbringen, und Hunderttausende streifen für immer die safranrote Kutte über. Die Zahl der Mönche lässt sich nur schätzen. Manche sprechen von 400.000, andere von doppelt so vielen. Unzweifelhaft aber ist, dass es in keinem anderen buddhistischen Land mehr Mönche im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung gibt als in Burma. Und nirgendwo sonst lässt man sich seinen Glauben so viel kosten wie hier.

Die Menschen sind voller Respekt vor dem Heer der Bettelmönche

Die Klöster sind weit mehr als nur Orte der Einkehr und Meditation. Sie sind auch Großfamilienersatz, Erziehungsanstalt und Schule. Hier werden diejenigen unterrichtet, um die sich sonst niemand kümmert und für die sich der Staat nicht interessiert – die Ärmsten der Armen oder die Kinder der versprengten Volksstämme aus den Bergen des Vielvölkerstaates Burma. Oft sieht man sie in den Klöstern unter einem Pagodendach im Kreis zusammensitzen, im Leierkastenchor ihre Lektionen aufsagen, dann erstaunt innehalten und die fremden Besucher aus Riesenrehaugen anschauen. Es sind Blicke vollkommen frei von Misstrauen, Argwohn und der Vorstellung, dass Menschen schlecht sein können. Es sind die schönsten Souvenirs, die man aus Burma mitnimmt.

Oder ist das kostbarste Andenken vielleicht doch der Anblick der Bettelmönche und ihrer Almosenprozessionen, dieser Hunderttausende Mann und Frau starken Gottesarmee, die nur mit einem Bettelnapf bewaffnet ist und friedlich durch Städte und Dörfer zieht? Jeder scheint in diesem Gottesheer willkommen zu sein, Greise und Kinder, Kräftige und Klapperdürre, Spaßvögel und Melancholiker. Es sind Menschen ohne irdischen Ballast, kahlgeschoren und viele barfüßig, denen Respekt und Demut entgegengebracht wird. Immer wieder bekommt man trotz Tropenhitze eine Gänsehaut, wenn man Zeuge dieser Ehrbezeugungen wird.

Dutzende Male kann man auf einer Reise durch das Land erleben, wie sich ein Burmese einem Bettelmönch nähert, vor ihm aus seinen Latschen schlüpft, so nackt wie er im Staub steht, sich tief verneigt und ihm dabei mit beiden, wie zum Gebet gefalteten Händen und einem Lächeln wie aus tiefstem Seelengrund eine Spende überreicht, ein paar Körner Reis, ein bisschen Geld, einen Schatz an Menschlichkeit für den Abgesandten Gottes. Doch keine reine Philanthropie sind die Almosen, sondern sichere Wege für die Spender, ihr Karma zu verbessern und so der ausweglosen Folge von Reinkarnationen wieder ein bisschen mehr zu entkommen. Aus diesem Grund werden auch die Tempel so reich beschenkt, selbst von den korrupten Generälen, und mitunter macht schon das böse Wort vom Ablasshandel die Runde.

Niemals käme man beim Anblick der Bettelmönche auf die Idee, dass die Buddhisten Burmas etwas anderes als sanftmütige Gottesdiener sein könnten, als Menschen auf dem Pfad der Erleuchtung, denen alles Böse, Schlechte, Niederträchtige fremd ist. Und doch entpuppt sich Burma, auch wenn es um seine Glaubenskultur geht, als janusköpfiges Land, in dem es mehr als eine Wahrheit gibt und jede Wahrheit immer auch ihr Gegenteil in sich zu tragen scheint. Denn die Kehrseite der frommen Friedfertigkeit ist ein militanter Buddhismus, der sich vor allem im Hass auf die Muslime im Land Bahn bricht. Immer wieder kommt es zu spontanen Gewaltausbrüchen und sogar zu Pogromen, genährt vom Irrglauben einer moralischen Überlegenheit des Buddhismus und von einer diffusen Angst vor einer muslimischen Weltherrschaft – auch Buddhisten morden, das musste unlängst selbst der Dalai Lama resigniert eingestehen.

Besonders berüchtigt ist die Extremistengruppe „969“, die von dem Mönch Ashin Wirathu aus dem Kloster Maseyein in Mandalay angeführt wird. Neun Jahre saß er schon wegen anti-muslimischer Propaganda im Gefängnis. Jetzt ist er amnestiert worden und schürt weiter den Hass, macht die Muslime für alle Probleme in Burma verantwortlich, wirft ihnen Morde und Vergewaltigung vor. Die Extremisten sind trotzdem eine verschwindende Minderheit, der eine überwältigende Mehrheit friedliebender Buddhisten gegenübersteht. Diese streben danach, ein „Arhat“ zu werden, ein „Würdiger“, der nach der Vorstellung des Theravada-Buddhismus alle menschlichen Übel wie Gier, Hass, Neid, Verblendung überwunden hat. Und Menschen von einer Würde, die nicht von dieser Welt zu stammen scheint, begegnet man in Burma zum Glück auf Schritt und Tritt.

Fotograf Dirk Bleyer präsentiert am Donnerstag, 12. März seine Live-Multivision „Burma – Goldenes Land“ in der Hamburger Laeiszhalle. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr.

„Burma – Neue Reisen in das Land aus Gold“, von Dirk Bleyer und Jakob Strobel y Serra, ab 12. März, 34,95 Euro