Vom Schneeschuhlaufen bis zum Eisstockschießen – Die Schweizer Jungfrau-Region bietet eine breite Palette an Wintersportvergnügen

Isenfluh. Schon der Name klingt wie ein verwunschener Ort aus der Kino-Trilogie „Herr der Ringe“. 36 Einwohner leben in dem kleinen Schweizer Bergdorf auf 1085 Meter Höhe unweit von Interlaken, und wer hinauf will auf den 1520 Meter gelegenen Sulwald, steigt einfach in die 1975 erbaute, rote Luftseilbahn ein. Sie bietet acht Personen Platz – oder einer Kuh. So riecht es im Sommer manchmal auch in der Kabine, scherzt der Kontrolleur.

Es ist ein Selbstexperiment. Was könnte es Schöneres geben, als bei strahlend blauem Himmel in den glitzernden Pulverschnee einzutauchen und die Piste herunterzusausen? Doch beim Blick auf die aktuelle Ausrüstung deutet kaum etwas auf Fahrspaß hin. Die angeschnallten, 55 Zentimeter kurzen Schnee-Wanderschuhe haben Brems-Zacken an beiden Unterseiten. Fast fühlt man sich mit den Stöcken wie ein Hobbit auf Wanderschaft – Schussfahrt oder Gleiten unmöglich.

„Etwas breiter laufen – und nie rückwärts, sonst zerlegt es dich“, rät Timo, unser Bergführer, und stapft auf dem breiten Weg los. Nach 200 Metern biegt er unvermittelt in den unberührten Tiefschnee ab und läuft steil aufwärts. Doch die anfängliche Sorge des Abrutschens weicht schnell, da die Füße durch Innengelenke beweglich bleiben und sich die vorderen Zacken in den Schnee bohren können. Keine Drängler von hinten, keine Warnschilder vor kreuzenden Liftanlagen, nur das Knirschen des Schnees, die weiß bestäubten Nadelhölzer als stille Gefährten. Sonst nichts. Stille. Und die Naturlandschaft mit dem Panorama auf das berühmte Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau. Was für ein Moment!

Touristen aus aller Welt werden angezogen vom Jungfraujoch

Die Entdeckung der Einsamkeit abseits der Touristenströme wird beim Abstieg jäh unterbrochen. Als sich unter uns ein breiter, steiler Tiefschneehang ausbreitet, ist die Zeit für eine neue Technik gekommen: „Verlagert das Gewicht etwas nach hinten und rennt, als ob ihr joggen würdet. Und los“, feuert uns Timo an, den direkten Weg zu nehmen. Der Startschuss für ein etwas anderes Speedway-Rennen.

So ganz ohne Action geht es im „größten Abenteuerspielplatz Europas“, so die Eigenwerbung der Jungfrau-Region, eben auch beim Schneeschuhwandern nicht. Aber das ist nur einer von vielen unvermuteten Kontrasten zwischen Geschwindigkeitsrausch und Langsamkeit.

Wer in Interlaken aus dem Bahnhof tritt, hat die Auswahl: 200 Meter weiter rechts findet sich die moderne Jugendherberge Interlaken. Nur wenige Schritte weiter lockt das Lindner Grand Hotel Beau Rivage. Hier das wuselige Heim für Low-Budget-Reisende (37 Euro für ein Bett im Sechser-Zimmer, Frühstück inklusive), wo Kneipentouren angeboten werden, dort eine stolze 1874 erbaute „alte Dame“ auf Fünf-Sterne-Niveau mit dem Charme eines Sanatoriums auf einem Zauberberg (ab 336 Euro pro Person im Doppelzimmer mit Halbpension). Wer es uriger mag, steigt in Häusern wie dem 400 Jahre alten Hotel Alpenblick in Wildersvil ab, wo die Küche mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde (ab 62 Euro inklusive Halbpension). Egal aber, für welches Etablissement man sich entscheidet, man sollte sich darauf einstellen, von Gästen aus aller Welt umgeben zu sein.

„5200 von 24.000 Besuchern unseres Hotels kamen 2014 aus Asien“, weiß Andra Kunz, die Direktorin des Beau-Rivage. Im Hostel ist die Quote noch deutlich höher. Südkoreaner, Japaner, Thailänder, aber auch Araber, Indonesier und Inder, sie alle werden magisch angezogen vom „Top of Europe“, dem berühmten Jungfraujoch. Die mit 3454 Metern höchste und 1912 eingeweihte Bahnstation des Kontinents wird jährlich von 800.000 Gästen besucht. Die Reise dorthin ist allerdings kein billiger Spaß – ein Einzelticket kostet 104 Schweizer Franken, die einfache Fahrt, wohlgemerkt. 50 Prozent Rabatt gibt es für Skipass-Inhaber (ab drei Tage).

Ob Hoteliers oder Liftbetreiber, sie alle fürchten nach der Aufwertung des Franken sowohl einen Rückgang der Besucher aus der Euro-Zone als auch von Schweizer Touristen, für die ein Urlaub im Ausland deutlich günstiger geworden ist. „Bei der letzten Euro-Krise 2011 hatten wir 25 Prozent weniger Gäste aus Deutschland und den anderen Ländern“, rechnet Verkäufer Andrin aus dem Skiverleih Intersport vor. Kein Wunder: Wer in der Jungfrau-Region fünf Tage Top-Skier und Schuhe nutzen will, muss je nach Güte bis zu 350 Euro berappen, zuzüglich 297 Euro für den Skipass.

Zwar ist beispielsweise die halbstündige Auffahrt zum Skigebiet Kleine Scheidegg mit der Wengernalpbahn-Bahn etwas für Genießer, und für Geschwindigkeitsfanatiker gehört die Weltcup-Abfahrt ins (autofreie) Wengen zum Pflichtprogramm, doch längst haben die Betreiber den Zwang zur Modernisierung erkannt. Für 400 Millionen Franken soll die „V-Bahn“ entstehen, die mit zwei Gondelbahnen den Eigergletscher und den „Männlichen“ anfahren, die Kapazität steigern und die Reisezeit verkürzen soll. Doch noch sind nicht alle Bergschaften einverstanden. Der Bau kann sich noch hinziehen.

Ein Geheimtipp für Fußball-Fans ist ein Ausflug nach Spiez am Thuner See

Wer will, wird aber auch ohne steile Abfahrten glücklich und kann sich vom Basiscamp der Jungfrau-Region in Interlaken aus andere individuelle Erlebnisse verschaffen, ob beim Schneeschuhlaufen oder dem Skitourengehen (mit Fellen an den Skiern). Pferdeschlittenfahrten sind eine weitere Alternative. Wer nicht Skilaufen will, aber dennoch auf einen Adrenalinschub nicht verzichten möchte, den lockt eine 3,5 Kilometer lange Rodelstrecke von Isenfluh nach Sulwald. Vom Faulhorn bis nach Grindelwald sind es sogar 15 Kilometer. Ein Muss ist auch eine Velogemelfahrt, ein Fahrspaß auf einem einspurigen, lenkbaren Sportschlitten, der seit 1911 den Einheimischen als Fortbewegungsmittel dient.

Was die jungen Besucher anlockt, sind Paragliding- oder Skydiving-Trips, Rafting, Canyoning und nicht zuletzt der Base Simulator im Seilpark. Und: Längst hat sich das benachbarte Lauterbrunnen zum Dorado der Basejumper mit ihren Flügelanzügen entwickelt, weil die riesigen Felswände über 1000 Meter fast senkrecht aufsteigen und anders als in anderen Ländern keine Genehmigungen für die Sprünge notwendig sind. Offensiv vermarktet wird dieser Risikosport aber nicht, wie die Interlakener Tourismus-Managerin Martina Fuhrer betont.

Die neueste, erheblich harmlosere Attraktion findet sich auf dem Hauptplatz „Höhematte“ in Interlaken: Der Erlebnispark „Ice Magic“ mit vier Eisfeldern und 400 Metern kurvenreichen Wegen für Schlittschuhläufer, drei Eisstockschieß-Feldern und einem umfangreichen Gastro-Angebot inklusive Iglu-Restaurant. Mario Köpers, der Direktor der Unternehmenskommunikation beim Reiseveranstalter TUI, bestätigt den Eindruck, dass sich die Angebote den veränderten Bedürfnissen der Urlauber angepasst haben: „Die meisten Schweiz-Reisenden sind Paare und Singles im Alter zwischen 40 und 65 Jahren, gehobenes Einkommen. Ihre Motive sind Natur, Sport, Kultur, Wellness und Genuss.“ Hotelbetreiber wie Richard Stöckli vom Alpenblick in Wildersvil versuchen, der Frankenkrise zu trotzen, indem sie den Kurssprung nicht weitergeben: „Wir bieten unsere Zimmer weiter mit den gleichen Euro-Preisen an.“

Ein Geheimtipp ist ein Ausflug nach Spiez ins Hotel Belvedere am Thuner See, wo 1954 die deutsche Nationalmannschaft mit Trainer Sepp Herberger während der WM logierte. Nur rund 800 bis 1000 deutsche Gäste begeben sich pro Jahr auf die Suche nach dem berühmten „Geist von Spiez“, der für den Zusammenhalt des Teams verantwortlich gewesen sein soll. „Nach der Niederlage gegen Ungarn in der Gruppenphase hat eine Putzfrau dem deprimierten Herberger Trost gespendet“, erzählt Geschäftsführer Bruno Affentranger, „und ihm dann die berühmten Sätze zugeflüstert: Der Ball ist rund. Und ein Spiel dauert 90 Minuten.“

Wer Affentranger gut zuredet, darf einen Blick auf seinen kleinen Schatz werfen: Das vollständig erhaltene Sammelbilder-Album von der Weltmeister-Mannschaft. Und sich dann zum Strandweg aufmachen, wo Herberger einst seine Siegertaktik erdachte.