Die Bergsteigerdörfer im Sellraintal bieten urige Gasthäuser und Schneeschuhwandern

Nur selten fährt ein Auto die schmale Straße entlang, die durch das tief eingeschnittene Tal führt. Hoch oben, jenseits der Baumgrenze, ragen schroffe Felsen in den Winterhimmel, dessen tief hängende Wolken die Bergspitzen manchmal fast streifen. Der Alpengasthof Praxmar, ein altes Gemäuer mit weit überstehendem Dach und umlaufenden Balkonen, schmiegt sich dicht an den Hang. In der vorderen Gästestube, wo schon am Vormittag das Kaminfeuer knistert, sitzt Gastwirt Luis Mellmer und erzählt, dass er schon vor Jahren den Lift abgebaut hat. Er ist ein nachdenklicher Mann, der zu seinen Überzeugungen steht.

Und zu seiner Entscheidung für eine andere Art des alpinen Tourismus, obwohl ihn die Leute von der Seilbahnlobby anfangs belächelt haben. „Zu uns kommen Menschen, die die Natur genießen wollen“, sagt der Gastwirt, der auch Bauer ist und den Besuchern gern den gleich ans Haus grenzenden Stall zeigt, in dem sieben Kühe stehen und ein paar Schweine.

Neues Konzept für eine nachhaltige Entwicklung der Bergwelt

Von der Landwirtschaft allein kann hier im unweit von Innsbruck gelegenen Sellraintal kaum jemand mehr leben, dabei ist sie wichtig. „Nur eine beweidete Bergwiese kann das Schmelzwasser ausreichend binden. Landwirtschaft ist zugleich Landschaftspflege und schützt die Umwelt“, sagt Sepp Pramstaller aus Gries. Er selbst hat auch etwas Land, verdient sein Geld aber vor allem mit Gästezimmern, einer Skischule und mehreren Läden, in denen er Wintersportausrüstung verkauft.

Der umtriebige „Sport Seppl“ und der bedächtige Gastwirt Melmer unterstützen beide das vom österreichischen Alpenverein entwickelte Konzept der Bergsteigerdörfer. „Es geht um eine nachhaltige Entwicklung des Alpenraumes und um die Bewahrung seiner natürlichen Grundlagen“, sagt Alpenvereins-Präsident Andreas Ermacora. Die Zukunft seien nicht immer noch größere Skigebiete, noch mehr Lifte, noch luxuriösere Hotels. „Es gibt durchaus ein Bedürfnis nach Entschleunigung und nach einer eher stillen Art, die Natur der Bergwelt zu erleben“, sagt der Jurist, der sich mit diesem Konzept allerdings nicht nur Freunde macht. Eine ganze Reihe von Auflagen muss ein Ort erfüllen, um das insgesamt erst 20 Mal verliehene Prädikat „Bergsteigerdorf“ zu erhalten.

Tags darauf steige ich zum ersten Mal mit Schneeschuhen bergauf. Schneeschuhe gibt es in unterschiedlichen Formen schon seit Jahrhunderten, aber nachdem sie vor gut zehn Jahren technisch stark verbessert wurden, sind diese alpinen „Gehilfen“ mächtig angesagt. Man schnallt sie sich wie Ski an und sinkt dank der breiten Auflagefläche auch im Tiefschnee kaum ein. Noch beliebter ist freilich das Skitourengehen. Dafür wird eine Stofflage unter die Ski geschnallt, damit sie beim Aufstieg ausreichend Halt finden. So oder so ist der Anstieg anstrengend, eröffnet aber immer wieder neue Ausblicke auf die umliegende Bergkette und macht etwas möglich, das sonst nur noch selten zu finden ist: Stille.

„Man sollte der Bergwelt unbedingt mit Respekt begegnen“, sagt unser Bergführer Klaus Kranebitter. Vor dem Start hat er uns Rucksäcke gegeben, mit Klappspaten und Lawinenverschütteten-Suchgeräten, deren Funktionstüchtigkeit wir prüfen müssen, bevor wir uns auf Österreichs ersten Skitourenlehrpfad wagen dürfen. Der beginnt gleich neben dem Gasthof, führt auf die Lampsenspitze hinauf und besteht aus sechs Schautafeln, die an markanten Punkten angebracht sind und über das Verhalten im Gelände und über mögliche Gefahren informieren.

Auch Graf Christian Stolberg zu Stolberg, der im unweit entfernten Kühtai sein Hotel Jagdschloss Kühtai betreibt, spricht sich für einen respektvollen Umgang mit der Bergwelt aus. Kühtai ist kein Bergsteigerdorf, hier gibt es Hotels und Lifte, Restaurants und Discos. Das wirkt alles noch relativ neu, ganz im Gegensatz zu dem malerischen Jagdschloss, dessen heutige Einrichtung in großen Teilen noch aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammt. Der Graf empfängt uns in der Diele, die wie ein großes und sehr gemütliches Wohnzimmer mit Kamin wirkt. Und er erweist sich nicht nur als charmanter Gastgeber, sondern auch als glänzender Geschichtenerzähler. Zu erzählen hat der Urenkel von Kaiser Franz Josef und Kaiserin Elisabeth (Sissi) eine Menge. „Der russische Zar war der Taufpate meiner Großmutter“, sagt er schmunzelnd und erwähnt, dass er als Kind die an sie gerichteten Dankbriefe für Weihnachtsgeschenke auf dem Kuvert immer mit den Buchstaben I K H versehen musste, ohne zu wissen, dass das „Ihre Kaiserliche Hoheit“ heißt. „Es gibt in den Bergen sicher schickere Hotels, aber kaum eines, das so authentisch ist“, sagt der Graf, der sein Haus mit 35 Zimmern und 80 Betten familiär führt. Nicht ohne Stolz erzählt der Hausherr, dass schon Kaiser Maximilian das Gebäude Ende des 15. Jahrhunderts als Jagdschloss genutzt habe.

Der Besuch von Innsbruck ist eine ideale Schlecht-Wetter-Lösung

Der bedeutende Habsburger, der nicht nur römisch-deutscher König und Erzherzog von Österreich, sondern auch Kaiser des Heiligen Römischen Reichs war, hat sich oft in Tirol aufgehalten und Innsbrucks höfische Kultur maßgeblich geprägt. Die Landeshauptstadt, die sich vom Sellraintal aus in einer halben Stunde erreichen lässt, ist für Wintersportler eine ideale Schlechtwetter-Alternative.

Das wichtigste Denkmal der an Geschichte und Kunst so reichen Stadt ist das Grabmal des Kaisers in der Hofkirche, das im Volksmund „schwarzer Mander“ genannt wird. Die schwarzen Männer, das erzählt uns die in der Stadtgeschichte bestens bewanderte Stadtführerin Elisabeth Graßmayr, sind die 40 überlebensgroßen Bronzefiguren bedeutender Persönlichkeiten, die das monumentale Grabmal umstellen. Doch begraben ließ er sich gar nicht in Innsbruck, sondern in der St. Georgs-Kapelle der Burg der Wiener Neustadt. Das berühmte, dafür aber leere Grabmalwurde von seinem Enkel nach Innsbruck gebracht, in die eigens dafür erbaute Hofkirche.

Zweifellos echt ist das Grab des Freiheitskämpfers Andreas Hofer, der in einer Seitenkapelle des Prachtbaus ruht. Der Haudegen war der Anführer der aufständischen Tiroler, die sich gegen die bayerische und Napoleonische Besetzung ihrer Heimat wehrten. Zum Showdown kam es Ende 1809, als Hofer mit seinen Tiroler Schützen gegen die Bayern verlor, gefangen genommen und im Februar 1810 in Mantua erschossen wurde. Zuvor hatte er in drei Schlachten auf dem etwa 750 Meter hohen Begisel im heutigen Innsbrucker Stadtteil Wilten die Bayern und die Franzosen das Fürchten gelehrt.

Die dritte Schlacht, bei der Hofer am 13. August 1809 siegreich blieb, ist auf einem riesigen Panoramagemälde zu sehen, das zu den Hauptattraktionen der Tiroler Landeshauptstadt zählt. Erst 2010 ist dieses von dem Maler Michael Zeno Diemer im Jahr 1896 geschaffene Rundgemälde auf den Bergisel, den Schauplatz des historischen Ereignisses, umgezogen. In dem Gebäude des „Tirol Panorama“ kann man das mehr als 1000 Quadratmeter große Monumentalbild bestaunen – und anschließend von den raumhohen Fenstern den Blick auf die Stadt und das Bergpanorama genießen.