In dem indonesischen Nationalpark gibt es Warane mit Giftdrüsen, einen pinkfarbenen Prinzessinnenstrand und eine märchenhafte Unterwasserwelt

Die Fahrt in eine andere Welt dauert mit dem Schnellboot eine Stunde. Je näher das Boot der indonesischen Insel Komodo kommt, desto merkwürdiger werden die Gedanken. Wie viel Ähnlichkeit hat der Durchschnittstourist mit einem Wildschwein? Oder einem Hirsch? Im Zickzack können die Komodowarane nicht hinter Beutetieren herlaufen, hatte der Parkranger gesagt. Aber er hat auch gesagt, dass sie nicht klettern können, und zehn Minuten später auf seinem Handy ein Foto gezeigt, auf dem ein Jungtier an einem Baumstamm klammerte. Und obwohl der Komodowaran zu seinen Beutetieren eher Wildschweine, Ziegen, Mähnenhirsche und manchmal Wasserbüffel zählt: Es kommt immer wieder vor, dass er auch Menschen angreift.

Ich bin unterwegs, um die Tiere zu treffen, die an Dinosaurier erinnern und auch Drachen genannt werden, und das völlig zu Recht: So wie Drachen im Märchen sehen die Komodowarane aus, mit schuppiger Haut und flachem Kopf, mit Schlangenzunge und kräftigem Körper. Komodowarane sind mit bis zu drei Metern Länge und 135 Kilo Gewicht die größten Echsen der Welt. Sie leben in Indonesien, im Schutzgebiet Komodo National Park – in freier Wildbahn nirgendwo sonst. Das Schutzgebiet östlich von Bali erstreckt sich über drei größere Inseln – Padar, Rinca und Komodo – und zahlreiche kleinere. Am Hafen des Fischerstädtchens Labuan Bajo auf der Insel Flores legen Boote in Richtung Nationalpark ab.

An Bord wartet Bony, der eigentlich Benediktus Jehadin heißt und seit sieben Jahren als Hilfsranger Besucher durch den Nationalpark führt. Bonys Liebe zu den Waranen ist eher praktisch: „Ich mag die Drachen, sie sind etwas Besonderes, weil es sie nur hier gibt. Ihretwegen kommen Touristen, und die bringen Geld.“ Jährlich kommen Tausende in den Nationalpark, sie zahlen Eintritt, und wenn sie Fotos machen, fällt noch eine Extragebühr an. Und auch der Ranger will bezahlt werden. Ohne ihn geht es nicht; wer die Insel ansehen will, braucht Begleitung. „Das ist so, seit vor mehr als 30 Jahren ein Mann verschwand“, sagt Bony. „Er hat sich von seiner Gruppe getrennt. Man hat nur seine Kamera gefunden. Und einen Waran mit dickem Bauch.“

Über den Bug geblickt, taucht Komodo auf. Die Insel ist vulkanischen Ursprungs, auf den Hügeln wachsen trockene Sträucher und Lontar-Palmen. Am Ufer sieht man eine kleine Sammlung flacher Häuser. Es ist eine von vier Siedlungen, im gesamten Schutzgebiet leben etwa 4000 Menschen in Stelzenhütten. Der Nationalpark hat eine Landfläche von etwa 600 Quadratkilometern und ist damit fast so groß wie Hamburg ohne Harburg. Zwei Drittel der Fläche macht Komodo aus. Unser Motorboot donnert über die Wellen der Insel entgegen.

Das Boot legt an, wir betreten den Steg und schreiten der Insel entgegen. Ein Schild zeigt, worum es hier geht: „Komodo“ steht darauf, das Loch im zweiten O in der Form eines Warans. Links hinter dem Schild stehen die Hütten der Ranger. Frans Yanuar ist einer von ihnen, er lebt hier für sechs Monate. Der 21-Jährige studiert Tourismusmanagement und absolviert ein Praxissemester als Ranger. „Hierher kommen viele Menschen aus verschiedenen Ländern, deshalb habe ich mir den Job ausgesucht“, sagt er. Angst vor den Tieren hat er nicht. Frans Yanuar trägt das gelbe Hemd der Ranger und hält einen langen Stock, der sich an einem Ende gabelt. Er soll ihm helfen, das Tier im Falle eines Angriffs abzuwehren. „Als ich das erste Mal einen Drachen sah, war mir ein bisschen mulmig. Aber es war ein Freund von mir dabei, der schon länger als Ranger gearbeitet hat“, sagt er.

Kaum um die Ecke gebogen, liegt der erste Waran im Schatten der Hütte. Neben ihm zupft ein Hirsch Büschel aus der Erde. Aber Hirsche sind doch für den Waran Beutetiere? Vielleicht verdaut er gerade. „Mit einer großen Mahlzeit kommt er bis zu zwei Wochen aus“, sagt Frans Yanuar. „Kleinere Tiere tötet er sofort, größere beißt er, sie sterben an dem Biss.“ Komodowarane haben Giftdrüsen im Unterkiefer. Der Todeskampf kann Tage dauern. Der Waran geht den sterbenden Tieren nach. Er findet sie dank seines ausgezeichneten Geruchssinns immer wieder.

Auch für Menschen ist der Speichel der Tiere giftig. „Den letzten Vorfall gab es im April auf Rinca, da griff ein Komodowaran einen Parkranger an“, sagt Bony. „Er wollte einen Hirsch füttern und hat den Waran nicht gesehen, der hinter ihm im Gebüsch kauerte.“ Der Waran sei auf ihn zugeschossen und habe ihn ins Bein gebissen. Lebt er noch? „Ja, weil er sofort ins Krankenhaus kam. Aber das Bein hat er verloren.“ Die Ranger kennen einige solcher Geschichten. Das Gefühl beim Zuhören ist ein wenig wie bei Gruselgeschichten vor dem Einschlafen. Nur dass die Monster hier nicht im Schrank lauern, sondern sehr sichtbar auf dem Boden dösen. „Sie sind gefährlich, aber faul“, sagt Frans Yanuar und deutet auf die Tiere neben dem Hirsch. „Wenn sie nicht müssen, verschwenden sie keine Energie.“

Die Warane sind hauptsächlich zwischen sieben und neun am Morgen aktiv

Mehrere Wanderwege führen über die Insel, der Rundgang dauert je nach Route eine bis zweieinhalb Stunden. Verlassen darf man die Wege nicht. Es ist warm beim Besteigen des Sulphurea, oben angekommen belohnt der Ausblick: Das Wasser leuchtet türkis und klar. Über staubige Erde geht es entlang trockener Büsche runter vom Hügel. Im Wald liegen Hirsche im Schatten, hin und wieder quieken Wildschweine. Komodowarane sind keine mehr zu sehen. Etwa 3000 bis 4000 von ihnen soll es auf den Inseln des Schutzgebietes noch geben. „Sie sind hauptsächlich zwischen sieben und neun am Morgen aktiv“, sagt Frans Yanuar. Es ist Mittag, kein Wunder also: Die einzigen Drachen, die man noch sieht, sind aus Holz und Stein. Am Ende des Rundganges über die Insel steht ein Betonpavillon, in dem Händler Tische aufgebaut haben. Wer mag, kauft hier T-Shirts, Ketten, Schalen aus Holz. Und immer wieder Drachen. Als Magnet für den Kühlschrank. Als Figur in jeder Größe.

Es geht weiter mit dem Boot. Denn wer schon mal im Komodo National Park ist, sollte auch in die andere Märchenwelt eintauchen. Wo es Drachen gibt, ist ein bisschen weiter Gelegenheit zum Schnorcheln und tatsächlich etwas, was sich Prinzessinnen auf Sommerurlaub wünschen würden: ein pinkfarbener Strand.

Vom Boot aus sieht der Strand nicht pink aus, sondern pastell: Beige mit etwas Rosa. Wer näher kommt, sieht winzige Teilchen karminroter Korallen, die sich mit dem Sand mischen. Wunderbar ist es, unter einem Baum zu sitzen und die Farben zu betrachten: blaugrünes Wasser neben Prinzessinnensand.

Schnorcheln müsse man hier unbedingt, sagt Bony. Ein paar Flossenschläge vom Ufer entfernt wartet noch mehr Farbe. Es leuchten gelbe Fische gegen blaue gegen mandarinenfarbene. In den Gewässern um die Inseln leben Hunderte Fischarten, Wale, Delfine, Meeresschildkröten, Korallen. Meine Kenntnis an Fischarten stammt aus „Findet Nemo“. Ein Clownfisch, ein Halfterfisch. „Eine Schildkröte“, ruft eine Schnorchlerin. „Ich habe einen Rochen gesehen“, sagt ein Mann. Wer nicht aufpasst, hat am nächsten Tag einen Sonnenbrand auf dem Rücken.

Auf der Rückfahrt nach Labuan Bajo ist Wehmut an Bord, denn von dem Flughafen dort soll es nach Hause gehen. Ein bisschen Märchen aber kommt mit. In Gedanken – und ganz real. Denn bei manch einem aus der Reisegruppe wird sich die Haut bald pellen, etwas drachenmäßig sieht das schon aus.