Nach Wunsch des regierenden Scheichs soll der Wüstenstaat am Persischen Golf in wichtigen Kategorien zum weltweit anerkannten Player werden

Ein Blick in diese Augen, und du bist verliebt. Kugelrund, dunkel und unergründlich, sanft im Blick, mit Wimpern, so lang wie die Schnurrhaare einer Katze. So steht sie da, zusammen mit all den anderen Mädchen, die ebenso nervös wie neugierig schauen.

„Sie gehören alle mir“, sagt Dr. Hamid al-Mahry. „Ich habe 30 von ihnen. Und jede ist speziell.“ Al-Mahry streichelt versonnen über die Rücken seiner Schönheiten. Nie wieder auf dieser Reise durch Katar werden wir in den Augen eines Scheichs so viel Stolz und Zuneigung wiederfinden wie an jenem Tag am staubigen Camel Racetrack nördlich von Doha. Katarische Männer werden wachsweich, wenn sie von ihren Dromedaren schwärmen dürfen.

Es ist Donnerstag im Emirat am Golf. Kurz vor dem islamischen Wochenende am Freitag und Sonnabend. Der Scheich, im Dischdascha, dem weißen Männergewand, und in der Ghutra, dem gemusterten Tuch, elegant um den Kopf gelegt, frönt dem Zeitvertreib. Er lässt seine Renn-Dromedare auf dem Rundkurs unter der Wüstensonne gegen die Tiere anderer Scheichs antreten. Die Wüstenschiffe, die Preise zwischen 500.000 und zwei Millionen Dollar pro Stück erzielen, galoppieren bis zu 38 Kilometer lang im Kreis auf der tiefen Sandbahn, auf ihren Rücken keine Jockeys, sondern Roboter, die auf Funksignal die Gerte rotieren lassen. Die Fernbedienung regeln die Besitzer aus ihren Jeeps, mit denen sie auf der Straße nebenherbrettern.

„Prämiert werden das schnellste und das schönste Kamel – und das Tier, das am meisten Milch gibt“, sagt al-Mahry und bedeutet mit einem Handzeichen, ihm in seinen Stall zu folgen und mit seinen drei Söhnen in einem Beduinen-Zelt auf Kissen einen Gahwa, den Kaffee mit Kardamom und Safran, zu trinken und Datteln zu naschen. Er gibt eine Kostprobe in katarisch-muslimischer Gastfreundschaft und gerät ins Philosophieren. „Mein Islam ist friedvoll. Alle Menschen sind Brüder. Wir sollten nicht streiten und kämpfen. Wir sollten Geschäfte machen. Übrigens: Wenn ihr Business machen wollt in Katar – hier ist meine Mobilnummer.“

Business. Es schläft nie in Katar. Es ist allgegenwärtig. Kaum jemand, der Katar besucht und nicht irgendeinen Deal, irgendein Geschäft oder einen Job in Aussicht hat. Nur so zum Spaß, zur Erholung, zum Sightseeing ins Emirat fliegen? Von 60.000 deutschen Besuchern in Katar im Jahr macht das kaum ein Drittel. Denn es ist nicht viel, was man machen kann als Tourist auf der Halbinsel. Doch das, was geht, funktioniert in Perfektion. Luxuriöses Chillen, exklusives Shopping, Kulturgenuss und durchgeknallter Wüstentrip – die To-do-Liste im strenggläubigen Wahabiten-Emirat, das züchtiges Auftreten seiner Gäste in der Öffentlichkeit einfordert, ihnen den Alkohol in den Hotels aber nicht vorenthält (und Russen und Chinesen nur selten Visa erteilt).

Katar – das ist zurzeit das ganz große Graben. Es bohrt und buddelt an jeder Ecke der Hauptstadt Doha und im Umland. Betonstaub mischt sich mit Wüstensand zum ständigen Nebel. Projekte für 200 Milliarden Dollar werden bis 2030 auf der Halbinsel im Persischen Golf verbaut, ein stahl-, beton- und designgewordener Schrei nach Wandel und Anerkennung. Denn seine Hoheit, Katars Emir, Scheich Tamim Bin Hamad Al-Thani hat die Vision ausgegeben, dass sich sein Kleinstaat aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreit und sich zum weltweit wichtigen Player für Sport, internationale Tagungen, Architektur, Bildung, Kultur und Tourismus entwickelt. Alles auf einmal – das ist die von Dollar-Milliarden aus dem Gas-Geschäft geschwängerte Staatsmaxime.

Die Dynamik dieses sich neu erfindenden Landes ist fast greifbar, etwa beim Fahren auf den chronisch überlasteten Straßen des Großraumes Doha, den die Katarer mit durchschnittlich drei Autos pro Haushalt verstopfen. Ein wesentlicher Teil jedes Katar-Trips ist das Staunen über die aus dem Boden gestampften Ergebnisse dieser entfesselten Dynamik. Gleichzeitig entstehen die neue Innenstadt Musheireb, ein neuer Hafen für einen Jahresumschlag von sechs Millionen Containern, vier U-Bahn-Linien, die Festival City Doha mit der zweitgrößten Shoppingmall der Welt und mit Lusail-City eine komplette Stadt für 450.000 Einwohner.

Und dann sind da noch die gerade erst beginnenden Bauarbeiten für die geplanten acht Stadien, in denen sich die Fußballweltmeisterschaft 2022 abspielen soll. Ein auf 30 Milliarden Dollar taxiertes Unterfangen, das hier scheinbar nebenher mit entsteht, worüber sich Fußball-Europa echauffiert und dabei nicht müde wird, Korruption und die Ausbeutung von Wanderarbeitern anzuprangern, ganz zu schweigen von den unmenschlichen Temperaturen von bis zu 50 Grad in den Sommermonaten, die Fußballspielen auf Top-Niveau unmöglich machen.

Wer sich ausführlich mit dem Thema Arbeitsbedingungen befasst, wie es die Journalistin Kristina Milz für die Zeitschrift „Zenith“ getan hat, die dafür wochenlang im Umfeld katarischer Großbaustellen recherchierte, erkennt, dass es keine pauschalen Antworten auf die kritischen Fragen gibt. Milz bilanziert in ihrem Dossier vom März 2014: „Wir sind alle Katar.“ Auch deutsche Großfirmen habe es seit Jahren nicht gekratzt, dass ihre Projekte am Golf mit teilweise unzumutbaren Bedingungen für die über 700.000 asiatischen Bauarbeiter im Land hochgezogen wurden und werden. Der schwarze Peter wird den Baufirmen zugeschoben, die sittenwidrige Arbeitsverträge mit Indern und Nepalesen abschließen würden und Hungerlöhne von kaum 400 Euro im Monat für Knochenjobs zahlten. Erst der Fußball habe internationale Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt. Insofern sei die WM 2022 ein Segen.

„Katar hat diese Kritik nicht verdient“, sagt Gerhard Foltin, im Tea Garden im 21. Stockwerk seines Luxus-Hotels The Torch sitzend. „Hier gibt es ein geltendes Arbeitsrecht, die 48-Stunden-Woche, strenge Vorgaben für Unterbringung und Behandlung der Arbeiter und sogar einen Mindestlohn.“ Foltin ist Garmisch-Partenkirchener, aber eigentlich seit 1978 Katarer, seit er mit dem Sheraton, dem ersten Top-Hotel, wie mit einem Ufo an der damals aus Staub und Sand bestehenden Prachtmeile Corniche landete, an der sich heute dicht an dicht die Wolkenkratzer drängeln und das pyramidenförmige Sheraton wie einen Zwerg erscheinen lassen. Foltin spielte Tennis mit Senior-Emir Hamad bin Chalifa Al-Thani, dem Vater des jetzt regierenden Emirs. Trotz seiner 70 Jahre will Katar ihn und sein Know-how nicht weglassen, wie er sagt. Foltin appelliert, doch die Vision des Emirs zu sehen, das viele Nachhaltige und Gute, das er schaffe. „Katar hat den ganzen Golf umgedreht.“

Das Torch, mit über 300 Metern höchstes Gebäude Katars, steht in einer dieser Visionen, der Aspire Zone. Eine gigantische Sportanlage, inklusive des bald 60.000 Zuschauer fassenden Khalifa-WM-Stadions, des Dome mit Spielfeldern für jeden Sport und des Hamad Aquatic Centers. „Da unten auf den Plätzen trainieren immer mal wieder die Bayern. Dieses Jahr kommt Schalke04. Die wohnen auch bei mir“, sagt Foltin. „Macht euch in Deutschland keine Sorgen um die WM. Die könnten wir hier prima im Mai machen. Da sind die Temperaturen angenehm!“

Mit diesem Gedanken verlassen wir das Torch und landen unversehens in einem venezianischen Kitsch-Exzess: Die Villagio Mall gleich nebenan, ein Einkaufszentrum inklusive Wasserstraßen und Eislaufbahn zwischen den Geschäften. Launige Katarer dümpeln samt Familie in Gondeln von Foot Locker zu H&M. Die Schwimm-Elite aus aller Herren Länder, die nebenan im Aquatic Center gerade die Kurzbahn-Weltmeisterschaft austrägt, sitzt in der Fress-Zone der Mall und schiebt sich Burger und Fritten rein.

Wer volkstümliches, arabisches Flair sucht, der wird in Katar nur im Suk Waqif fündig, dem durchrenovierten alten Stadtzentrum Dohas, in dem Touristen mit Wolkenkratzer-Aversion auch acht angenehm kleine und luxuriöse Boutique-Hotels vorfinden, darunter das aus gerade mal zwei Suiten bestehende Bismillah-Hotel, das erste Hotel Katars überhaupt.

In den Gängen des Suk kann man bei unaufdringlichen Händlern feilschen um Trockenfrüchte, Gewürze oder Stoffe. Es gibt auch einen Gold-Suk für Geschmeide und einen Falken-Suk, wo Scheichs Greifvögel shoppen. Entspannend ist das Sitzen in einem der Cafés, während man Shisha raucht, Kaffee trinkt oder ein Glas frisch gepressten Granatapfel-Saft. Verspannend hingegen ist der Anblick im Tiermarkt des Suk, wo Singvögel in Käfigen kauern, neben Käfigen mit Hundewelpen, Kätzchen und Albino-Igeln.

Wem Gewusel und Lautstärke zu viel werden, der macht einen kleinen Spaziergang zum Museum der Islamischen Kunst. Ein zum Niederknien schönes Gebäude, das letzte Meisterwerk des Star-Architekten Ieoh Ming Pei, das der wie einen Mittler zwischen Tradition und Moderne, zwischen Suk Waqif und der Skyline der Innenstadt, in die Bucht von Doha gebaut hat. Die Präsentation der historischen Sammlung des Emirs ist atemberaubend.

Es ist Freitag geworden im Emirat, der Katarer hat frei und will Spaß. Was bedeutet: mit aufgemotzten Acht-Zylinder-Jeeps oder Allrad-Buggys halsbrecherisch über die Kämme der bis zu 70 Meter hohen Wüsten-Dünen rund um den Khor al-Adaid, den See in der Wüste, zu fetzen. Touristen schaukeln in klimatisierten Toyota-Jeeps, gelenkt von erfahrenen Guides, nebenher und versuchen abwechselnd zu schreien und das Essen bei sich zu behalten.

Dann geht’s auf den großen Einfallstraßen wieder zurück ins pulsierende Doha. Vielleicht zu einer romantischen Dhow Cruise vor funkelnder Skyline. An Bord der Holz-Segelschiffe, mit denen früher die Perlentaucher den ersten Reichtum des Emirats sicherten, chillen heute Katarer wie Touristen bei Lounge-Musik, Drinks und feinem Essen. Wer danach die Piste ins Nachtleben sucht, landet vielleicht im exklusiven Sharq Village der Ritz-Carlton-Gruppe, das vom deutschen Direktor Carsten Fritz geführt wird. Ein Luxus-Traum mit eigenem Strand und allen Annehmlichkeiten, zum Beispiel einer Royal Villa – einem arabischen Palast mit 36 Bediensteten –, in der VIPs wie Sharon Stone, superreiche katarische Großfamilien oder ehemalige Staatenlenker wie Nicolas Sarkozy unbehelligt logieren können.

Katarer mieten sich im Village gerne übers Wochenende mit der ganze Familie ein, genießen den Service und das exzellente Essen in den Restaurants, etwa im Seafood-Tempel Al Dana. Jeden Freitag kann man hier den Clash der Kulturen erleben, bei der Sundowner Session. Unter freiem Himmel mit Blick auf Strand und Skyline feiert die Jeunesse dorée des Emirates, eine Mischung aus aufgedrehten internationalen Expats und säkularen Arabern. Bei reichlich Alkohol und gepusht von den Electro-Beats der DJs lassen sie die westliche Dekadenz und Ausschweifung hochleben.

Auf dem Hotelgelände betrachten zwei Scheichs im Dischdascha auf ihrem Weg ins Hotelzimmer das Treiben. Sie haben den Abend auf der Sisha-Dachterrasse des Sharq Village verbracht, duften süßlich nach Apfel-Tabak und schütteln sanft den Kopf.