Der Süden Äthiopiens gilt noch als geheimnisvolles Ziel für Safarireisende. Tiere und Menschen dort sorgen für bemerkenswerte Begegnungen

Links vorn, vor dem Bug, tauchen prustend Nilpferde aus dem schlammigen Wasser auf, schnaufen empört, schauen dem Boot argwöhnisch hinterher. „Hippos auf halb elf!“, ruft Gashaw und gibt Gas. Die Berge stehen als Silhouette vor einem tropischen Himmel, der sich schon vormittags verdichtet, massive Wolkentürme bilden sich im Dunst. Der Chamo-See im Süden Äthiopiens liegt in einer milchigen Hitze.

Wir fahren eine knappe Stunde über kabbeliges Wasser, dann dreht Bootsführer Gashaw den Motor ab und lässt das Boot auslaufen. Der Schilfgürtel kommt näher, Papyrus raschelt im Wind, auf Akazien sitzen Fischadler. Gashaw nimmt die Holzstange und steuert das Boot in den Kanal, keine zehn Meter breit. Hier mündet ein Fluss in den See und hat ein unübersichtliches Delta aus Sandbänken, Rietinseln und Wasserläufen geschaffen. Schläfrig liegen See und Ufer da. Selbst die Vögel haben aufgehört zu zetern. Und die Krokodile haben, um sich abzukühlen, ihr Maul geöffnet. Sie liegen auf der Sandbank wie gestrandete Baumstämme.

Gespannte Ruhe liegt über der Sandbank und den 20 Krokodilen

Vorsichtig gleiten wir vorbei, immer tiefer hinein in diese Zwischenwelt, begleitet nur vom Wind, der im Schilf wispert. Wer genau hinschaut, zählt 20 Krokodile auf der Sandbank. Ibisse und Marabus stolzieren davon, als ihnen das Boot zu nahe kommt. Eine gespannte Ruhe liegt über dem Ufer, der Wasserlauf wird enger, hier geht auch kein Wind mehr. Plötzlich eine Explosion der Echsenleiber, Wasser spritzt auf, die Vögel fliegen kreischend auf, Krokodilrücken verschwinden im Fluss. Dann herrscht wieder Ruhe. Als wäre nichts passiert. Libellen tanzen übers Wasser; schillern rosa, blau und schwarz. Nur die leicht gekräuselte Oberfläche des Sees zeigt die Position des Krokodils. Die Schnauze kann man sehen und den Schwanz, dazwischen sieben Meter stilles Wasser. Sieben Meter, so lang ist auch unser Holzboot.

Wieder tauchen Nilpferde auf; blicken argwöhnisch. Nun auf vier Uhr, rechts hinter dem Bootsheck. Um ihre Position zu beschreiben, nimmt man das Zifferblatt der Uhr; zwölf Uhr ist vorn. Und auf zwölf Uhr liegen die Berge, die in den Wolken verschwunden sind. Die Regenzeit wird bald kommen, immer früher verdichtet sich der Dunst zu Kumulus- Gebirgen über dem Nirgendwo des südlichen Äthiopiens. Hier liegen die Seen des großen Grabenbruchs unter sengender Sonne, weiter im Osten verstellen Viertausender den Horizont, dahinter kommen Wüsten, Sümpfe, Savannen. Ein einsames Fischerboot fährt über den See und verschwindet im Ufergestrüpp.

Gashaw hat die Schneise zur Anlegestelle gefunden und stakt das Boot durchs Schilf. Der Steg ist eine wackelige Konstruktion aus Stroh und Brettern, schwankt, als wir Spritkanister darüberwuchten. Das Ufer ist ausgetreten, matschig, hier liegt eine Handvoll Boote. Ein uniformierter Mann mit Maschinenpistole kontrolliert Papiere. Unser Fahrer Bisrat wartet mit dem Geländewagen und steuert den Toyota durch meterhohes Dornengebüsch. Paviane toben durchs Geäst der Akazien und kreischen wie von Sinnen.

Auf der Hauptstraße nach Konso halten wir im Dorf Holte Kebele zum späten Mittag. Die junge Abaynesh serviert frittierten Tilapia aus dem Chamo-See mit Injeera-Fladenbrot, Tomaten, Zwiebeln und einer höllisch scharfen Chilipaste. Wir sitzen auf Gartenstühlen, essen mit Fingern vom Blechteller. Später gibt es gewürzten Kaffee. Das Shoferoch-Restaurant ist einfach, aber klasse, authentisch äthiopisch.

Hinter Konso windet sich die Piste ins Gebirge empor. Hier steigen die Gipfel bis auf 2500 Meter, sie sind längst in den Wolken verschwunden. Immer wieder queren trockene Flussbetten die Piste. Es nieselt. Wir müssen heute noch bis Jinka. Der allerletzte Posten Zivilisation vor dem großen weiten Nichts; die großen Naturparks Äthiopiens liegen dort – Omo und Mago. Fantastisch, kaum besucht.

Als wir die Kleinstadt Jinka erreichen, wird es dunkel, es ist Nachmittag, zwei Stunden vor Sonnenuntergang. Aus dem diesigen Grau der Wolken ist Anthrazit geworden, der Sturzregen bricht unvermittelt los. Aus Straßen wurden Bäche, der Toyota pflügt sich im Schritttempo hindurch; nicht, dass dies Fahrer und Führer Sorgen machen würde. Bald ist ein anderer Tag, das Wasser wird längst abgelaufen sein.

Sie liefern mich an einer schmucken, komfortablen Safari-Lodge ab. Der Regen hört so überraschend auf, wie er gekommen ist.

Am nächsten Morgen schleichen wir mit dem Landcruiser die Piste hinab ins weite Tal der Flüsse Mago und Omo. Der Tag liegt noch im Zwielicht, der Dschungel an den Flanken der Berge dampft. Der Weg hinab liegt noch im Schatten; Kurve um Kurve kriecht der Wagen herunter. Vogelgezeter, Affengekreische. Dann stoppt Bisrat in der Kurve, vorm Gebüsch ein Rudel Wildhunde. Die Tiere sind aufgeregt. Eines steht Wache, die anderen zerren mit einem hysterischen, schauerlichen Blaffen und hohem Kreischen an einer Antilope. Fell reißt mit einem Geräusch wie Klettverschluss, Knochen knacken, es knirscht, als die Läufe der Antilope aus dem Kadaver gerissen werden. Paviane stehen abseits und lauern auf ihre Chance, sich etwas von der Beute zu holen.

Bisrat steuert den Wagen immer weiter westwärts, das Unwetter von gestern hat sich in zartrosa Wolkenschleiern aufgelöst, die über einen sauber gewaschenen Himmel treiben. Zikadengesirre und leise Vogelstimmen unterstreichen die majestätische Ruhe im Tiefland von Omo und Mago. Diese Flüsse sind die einzig nennenswerten, die die Trockensavannen dauerhaft durchfließen. Sie sammeln sich oben im Norden in den Bergen. Der Omo mündet in den Turkana-See, den Salzsee unten in Kenia.

Kudus sehen wir, wie sie in die Savanne fliehen, das Land wird immer flacher, immer tiefer. Anderthalbtausend Meter ist der Höhenunterschied zwischen der Bergkette vor Jinka und dem Tal des Mago. Das Buschland ist offener Savanne gewichen, einzelne Akazien stehen darin. Auf dem Weg liegt frischer Elefantendung, die Tiere haben eine Schneise ins Dickicht geschlagen.

Sogar Nashörner leben hier, heißt es. Und Leoparden und Löwen, so berichten es Safari-Führer, schleichen durch das Unterholz, stellen Gazellen nach und Büffeln. Die Parks in Äthiopien haben eine erstaunliche Artenvielfalt, doch sind sie nicht so voll davon und nicht so organisiert wie die in Südafrika oder anderen berühmten Safari-Zielen. Allemal lohnenswert. Das hier ist ursprünglicher, wilder, unberührter. Ein paar kleine Antilopen springen davon.

Der Mago-Fluss hat sich tief in die Savanne eingeschnitten und gurgelt mit rostbraunen Schlammfluten, angeschwollen durch die Unwetter im Einzugsgebiet, durch sein enges Bett. Nach der Brücke passieren wir immer mehr Rinderherden. Die Savanne weicht einer Steppe, und erste Gatter, gebaut aus Holzknüppeln und Dornenzweigen, tauchen auf. Bald ein Dorf der Mursi. Milisha, 35, ist der Chef hier und zeigt nach Abgabe einer Eintrittsgebühr die Siedlung, Heimat von 2000 Rindern und 200 Leuten. Die Mursi sind halbe Nomaden; sie bauen Hirse und Mais an, sammeln Honig, ihr kostbarster und wichtigster Besitz aber sind ihre Rinder.

Denn die geben Milch. Und Blut: Zwei Männer und ein paar halbwüchsige Jungen sind dabei, es abzuzapfen. Sie haben das Tier gepackt und die Halsschlagader angestochen, das Tier rollt panisch mit den Augen. Das helle Blut fließt in einen Kanister, zusammen mit der Milch ist das ein Lebensmittel für die Leute vom Mursi-Dorf. Das Rind wird nach kurzer Prozedur entlassen und trottet über den staubigen Kral davon, als wäre nichts passiert.

Längst haben sich wieder gewaltige Wolkentürme aufgebaut. Bisrat nimmt die sichere Strecke zurück über Jinka, dann biegen wir ab nach Süden. Hundert Kilometer weiter nördlich muss ein heftiges Unwetter niedergegangen sein, der Kaske-Fluss – auch er sonst ausgetrocknet – läuft in voller Breite. Gewaltige Tafelberge begleiten die Piste, Wetterleuchten im beginnenden Abend. Das Flussbett zur Busca-Lodge nahe Turmi ist passierbar.

Nur noch die Idee eines Weges ist übrig, Dornen kratzen am Dach des Autos

Am kommenden Tag steuert Bisrat den Wagen durch abschüssiges Gelände in Richtung Omo-Fluss, der rund 40 Kilometer weiter westlich fließt und am grünen Band seines Uferwaldes zu erkennen ist. Aus der anfänglichen Piste ist nur noch eine Art Idee eines Weges übrig. Dornen kratzen über das Blech, der Fahrer leistet Schwerstarbeit am Lenkrad. Ein Schlangenadler thront auf einem Termitenhügel, Geier kreisen am Himmel. Dik-Diks, kleine Antilopen, laufen davon, ihre Feinde, die Paviane, stehen abseits und lauern auf unachtsame Beute. In der Ferne schimmert in diesigem Graublau ein Gebirge, wir schaukeln über eine sandige Ebene. Bunte Bienenfresser fliegen zwischen den Bäumen, und durchs Fernglas erkennen wir eine Herde Thompson-Gazellen, die zum Fluss rennt.

Die Sonne steht an einem wolkenlosen Himmel, doch durch manche Senken fließt Wasser. Immer mehr Wasser; hier ist ein Loch vollgelaufen, dort steht es in einer Vertiefung. Wir fahren mal durch offene Savanne, mal durch dichten Busch, aber immer über eine brettebene Fläche. Und ganz leise, ganz langsam tritt hier Wasser auf. Allerhöchste Zeit also, die Gegend zu verlassen. Ein Hirte mit Rindern und vier Frauen geht vorüber, die Maschinenpistole geschultert, ein paar freundliche Worte. Doch, meint er, der Regen, der da wohl komme, wäre gut; ein glücklicher, gelassener Mann, so scheint es. Muss er nicht mehr von Pumpe zu Pumpe laufen

Die Luft steht und flirrt, im Osten, weit weg zwar, aber bedrohlich schon, eine schwarze Wolkenwand. Nur raus hier jetzt. Es ist still, keine Tiere mehr zu sehen, keine Vögel mehr zu hören. Alles wartet. Der große Regen steht unmittelbar bevor.