In einem Areal bei Dörverden an der Aller können Besucher die schönen Tiere sehen und in Gehegen das Leben zweier Rudel beobachten

Und dann heulen sie sogar! Nasskalte Herbstluft hängt zwischen den Bäumen, und im Schatten steht der erste Frost. Ein kalter Wind weht durch den lichten Wald tief in der niedersächsischen Provinz, Krähen krächzen in der Einsamkeit – und wieder heult der Wolf dazu. Dies scheint im Menschen noch immer einen Reflex auszulösen: Unter den Haaren kribbelt’s, und die Gänsehaut kommt nicht nur wegen der Kälte allein. Wer beobachtet wen? Ich spüre die Blicke aus unsichtbaren Gesichtern. Der Puls beschleunigt sich. Blicke mich um und sehe – nichts. Habe nur so ein Gefühl. Der Mensch und der Wolf – ein besonderes Verhältnis. Und kalt lässt es keinen, wenn sie draußen in der Nähe heulen.

Wölfe – von Märchenerzählern zur Bestie erklärt und vor mehr als 100 Jahren in Deutschland ausgerottet. In Niedersachsen wurde das letzte wild lebende Exemplar der ursprünglichen Population im Jahr 1905 erlegt, in Schleswig-Holstein knapp 100 Jahre früher. Nun kommt der Wolf auch nach Norddeutschland zurück. Niedersachsen hat er inzwischen einmal komplett von Ost nach West durchquert – im April 2013 wurde ein Einzeltier im Emsland eindeutig identifiziert, es muss von Osten gekommen sein. Im Wendland und der Lüneburger Heide leben längst Rudel. Vor den Toren Hamburgs wurden sie gesichtet, und in Schleswig-Holstein sind bereits welche überfahren worden.

Ein Ausflug hier ist ungefährlicher als ein Spaziergang durch die Stadt

Sie sind wieder da, aber: Draußen wird außer Artenschützern und Jägern kaum jemand jemals einen Wolf sehen oder hören. Hier in Dörverden, in zwei großen Gehegen mit Wald und Busch, schon: Vorsichtig schleiche ich hinter Frank Faß durch das Unterholz, ein Pfad läuft durch mannshohes Gebüsch. Frank Faß macht mit der Hand hinter seinem Rücken ein Zeichen; das vereinbarte Signal, stehen zu bleiben. Still sein sollen wir sowieso. Trockenes Buchenlaub raschelt an den Bäumen, die Kronen der Fichten wiegen sich im Wind. Sonst ist es ruhig. Auffällig ruhig. Nur die Krähen krächzen.

Dass sie hier sind, ist klar. Aber als Frank Faß eine Spur zeigt, stockt für einen Augenblick doch der Atem. Durch das Fernglas sind deutlich zwei Wölfe zu erkennen, die sich auf dem Hügelrücken in einem Bogen nach vorn zum Teich geschlichen haben und nun zwischen zwei Eichen regungslos verharren, wachsame Augen blicken herüber. „Keine Angst: Die kommen nicht zu uns, die halten Abstand und passen auf – draußen hätten Sie sie niemals bemerkt, die Wölfe wären längst ausgewichen!“ Nein; keine Angst, eher Respekt. Und wachsame Blicke auf beiden Seiten. Frag nicht, wie viele Tiere du gesehen hast; frag, wie viele dich gesehen haben.

Wir marschieren auf einen Hügel und haben eine offene Fläche im lichten Kiefernwald erreicht, können die Szene überblicken: Weiter unten liegt ein Tümpel, der Hügelzug, auf dem wir stehen, führt im halben Kreis in Richtung des kleinen Teiches hinab. Gleich Gespenstern huschen drei, vier Tiere in weitem Bogen um uns herum. Völlig lautlos und uns Eindringlinge im wachsamen Blick, auf Abstand bedacht.

Wir stehen still und staunen stumm; es sind wunderschöne Tiere, hochbeinig und groß wie ein Schäferhund, grau meliert. Wieder taktet der Puls nach oben; wir sind unter Wölfen. Das hier ist das Wolfcenter nahe Dörverden an der Aller. Zwischen Bremen und der Lüneburger Heide haben Christina und Frank Faß zwei Gehege von je knapp 10.000 und 6000 Quadratmetern Größe errichtet.

Wer Wölfe in einem natürlichen Umfeld sehen und das Leben der beiden Rudel beobachten möchte, kann auf dem Gelände des Wolfcenters um die Gehege spazieren. Wer sich traut, kann mit Frank Faß hinein: Ein Wolf hält Wacht und steht mit den Vorderläufen auf einem Baumstumpf, überblickt wachsam die Lichtung; ein anderer versteckt sich hinter dem Stamm einer Eiche, auch er beobachtet das Geschehen. Andere Tiere dösen im Schutz eines Stapels Wurfholz, die Schnauze unter die Rute gesteckt. Umgestürzte Bäume liegen in diesem Wäldchen und bieten den Wölfen genügend Verstecke.

Ein kalter Wind weht durch den Wald und lässt das trockene Laub zittern. Und der Blick in die Augen dieser Wölfe ist ein Blick in eine andere Zeit, die längst vergessen schien. Bis die Wölfe zurückkamen. Angst aber muss man vor ihnen nicht haben. Respekt, den schon. Wenngleich ein solcher Ausflug berechenbarer – und ungefährlicher – ist als ein Spaziergang durch die Stadt.

Später beobachten wir, wie zwei Wölfe auf etwas herumkauen – ob Knüppel oder Knochen, das ist nicht zu erkennen. Dann kommt ein drittes Tier dazu, es duckt sich, macht sich klein, sie stupsen sich ganz vorsichtig an, spielen, tollen herum, zeigen Zähne und trennen sich wieder.

Abends rauschen die Kronen der Eichen im Wind, oben auf dem Hügelkamm steht ein einsamer Wolf mit dunklem Rücken und mächtiger Mähne still wie eine Statue, wacht. Und da ist es wieder – das schaurig-schöne Heulen.