Im lothringischen Lunéville bewahrt Maryvonne Francois-Remy das Erbe des Stickereihandwerks, der Broderie – und arbeitet ganz besonders gern für Modeschöpfer Karl Lagerfeld

Ruft Karl Lagerfeld an, schlägt das Herz von Maryvonne Francois-Remy schneller. Denn Aufträge des in Hamburg geborenen Modezaren gehören zu den Lieblingsprojekten der französischen Stickkünstlerin aus Lunéville. „Es gibt nichts Schöneres für mich, als für die Haue Couture zu arbeiten“, sagt die lebenslustige Kunsthandwerkerin. „Denn dann kann ich zeigen, wie hochkarätig und fein diese Arbeit ist.“

Die Gelegenheiten dazu sind selten genug. Während Broderie, wie die feine Stickkunst auf Französisch heißt, fester Teil der Alltagskultur war, ist ihr Einsatz heute selten, weil teuer. Textilien, von Tischdecken bis zu Bettwäsche und besonders Mode, wurden überall in Europa über Jahrhunderte durch Stickereien veredelt und individualisiert. Einen letzten Höhepunkt erlebte die Stickkunst in den 1920er- und 30er-Jahren, so Maryvonne Francois-Remy. „Als Art déco und Tanzstile wie Charleston populär waren, mussten die Tanzkleider der Frauen reich verziert und besetzt mit Perlen und Pailletten sein – das war schick und angesagt.“

Im Paris der Goldenen 20er gehörte das Tanzvergnügen zum Lebensgefühl der Kulturmetropole. Und das lothringische Lunéville war eine große Metropole der Stickkunst – der „Point de Lunéville“, der Lunéviller Stich, war als hochkarätiges Qualitätsmerkmal von Experten auf den ersten Blick zu erkennen. Seine feine Ausführung zeichnete die populäre Handwerkskunst aus dem Département Meurthe-et-Moselle vor anderen aus, auch preislich.

„Damals arbeiteten in und um Lunéville Hunderte Frauen als Stickerinnen. Meist in Heimarbeit“, erzählt Francois-Remy, deren Familie bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts über Generationen Stickereierfahrung gesammelt hat und zu den Besten ihrer Zunft gehörte. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wandelten sich Mode und Lebensstil, und die Stickkunst verschwand aus dem Alltag. Als das Handwerk um die Jahrtausendwende fast auszusterben drohte, wandte sich die engagierte Francois-Remy mit einer rettenden Idee an ihre Heimatstadt: Die über fast 200 Jahre zusammengetragene Privatsammlung mit Unikat-Stickereien und Werkzeug aus Familienbesitz wollte die zurückhaltende Französin an kommende Generationen weitergeben. Und dazu ihr eigenes Wissen.

Francois-Remys Vorschlag fand offene Ohren in der Kulturverwaltung. Seit 1998 zeigt das Privatmuseum Conservatoire des Broderies in einem Seitenflügel des Rokokoschlosses Lunéville auf 500 Quadratmetern außergewöhnliche Schätze aus der eigenen Sammlung, aber auch Wechselausstellungen zu Stick- und anderer Modekunst. Darüber hinaus ist das sehenswerte Museum eine lebendige Werkstatt, in der die Anfangsechzigerin ihre Künste an Interessierte aus aller Welt weitergibt. Die ein- bis viertägigen Kurse von Francois-Remy richten sich zu Preisen ab 118 Euro an Anfänger ebenso wie an Fortgeschrittene, die nach ersten Übungen ihr Können in Perlenstickerei und besonders beim „Point de Lunéville“ verfeinern möchten. Teilnehmer sind meist Frauen mittleren Alters – „selten Jugendliche, weil in unserer strukturschwachen Region kaum jemand bleiben kann“, sagt Maryvonne Francois-Remy bedauernd.

Die Kunst der Broderie sei auch keine Alternative, um großes Geld zu verdienen. Aussterben aber werde die Stickerei nicht, ist Francois-Remy sicher. Das Erbe bewahren wird auch ihre Tochter Aude, die sich nach anfänglichem Zögern ebenfalls dem Stick-Handwerk verpflichtet hat und sogar mit einem Atelier in Paris Präsenz zeigt. „Denn an der Seine schätzen Modehäuser wie Dior und Chanel noch unsere außergewöhnliche Dekoration – heute und morgen“, glaubt Francois-Remy an die Zukunft ihres alten Handwerks.

www.broderie-luneville.com