Wer die französische Mittelmeerinsel im November besucht, wird es zu schätzen wissen, dass mehr Einheimische als Urlauber anzutreffen sind

Vielleicht sind die Korsen das ewige Hin und Her ihrer Fremdherrschaften im Laufe von gut zwei Jahrtausenden einfach satt: die Ligurer, die Römer, die Mauren, die Päpste, die Pisaner und Genuesen, zwischendurch diverse andere Herrscher und Kulturen – und jetzt auch noch die Touristen.

Und obwohl Napoleon, der wohl bekannteste Franzose, von Korsika stammt, erscheint den Insulanern von heute, im freien Europa, das Mutterland Frankreich als „Besatzungsmacht“. Widerstand aus Prinzip? Oder die Einsicht, dass in einem zusammenwachsenden, vom Euro beherrschten Raum gerade die regionale Identität überlebenswichtig ist. Oder altmodisch ausgedrückt: die Liebe zur Heimat.

Diese Zuneigung spürt der Inselbesucher. Denn das korsische Fleckchen Erde im Mittelmeer übt eine Faszination aus, die man mit geschlossenen Augen erahnen, weil erschnuppern kann. Korsikas gerühmte Düfte und Gerüche, die sich nur unzureichend in einem Leinensäckchen als Souvenir mit nach Deutschland nehmen lassen, sind so faszinierend vielschichtig wie die Insel selbst – und so sagenumwoben.

Von Napoleon stammt das Zitat, er könne die Insel seiner Jugend mit verbundenen Augen am Geruch erkennen. Auch wenn die Menschen des Ruhrgebiets in den ersten Nachkriegsjahrzehnten das Gleiche hätten sagen können, der Unterschied wäre bei gelöster Augenbinde sofort offensichtlich. Auf Korsika benebeln die Wohlgerüche, verbreitet von den Schönheiten des Landes, vom Meer, das die Luft erfrischend und salzig macht, vom immergrünen, stellenweise undurchdringlichen Buschwald, der Macchia, mit Kräutern und Gewächsen und dem typisch harzigen Geruch.

Lassen wir den Exil-Insulaner aus „Asterix auf Korsika“ schwärmen: „Dieser hauchzarte Duft nach Thymian und Mandeln, Feigen und Kastanien ... und dieser Hauch von Kiefer, diese leichte Andeutung von Beifuß, diese Ahnung von Rosmarin und Lavendel ... ach, meine Freunde, dieser Duft! Das ist Korsika!“

Und das mitten im Herbst. Wer Korsika kennt oder kennenlernen will, wird es im November zu schätzen wissen, dass selbst dort, wo die großen Fähren in Bastia und Ajaccio anlegen, endlich mehr Einheimische als Urlauber anzutreffen sind.

Die Touristen werden jetzt besonders freundlich empfangen. Es sind die Liebhaber, die Individualreisenden, die treuesten Korsikakenner aus vergangenen Sommern, die ein neues Urlaubsmotto entdeckt haben: „Ich komme im Herbst und habe die Insel für mich alleine.“

Jedenfalls gibt es keine endlosen Autoschlangen an den Fahrspuren hinter den Rampen der Fährschiffe, keine genervten Kellner und Köche, keine lähmenden Hitzestaus. Die laut Wetterstatistik 17 Regentage im November und Dezember sollten nicht abschrecken. Oft fällt der Niederschlag nur in Höhenlagen, und auch an einem „Regentag“ sind nach Abzug der dunklen Wolken mehrere Sonnenstunden oft die Regel.

Dabei sind die Temperaturen für Deutsche auch im Spätherbst noch sommerlich. Am Tag mehr als 20 Grad, sogar im Dezember erreichen sie bis zu 15 Grad, ideale Voraussetzungen, um zum Beispiel das malerische Cap Corse mit dem eigenen Auto oder einem Mietwagen zu umrunden, den geografischen Zeigefinger im Norden, der an Elba vorbei Richtung Genua weist.

Wem die 110-Kilometer-Tour von Bastia nach Norden, über die Spitze bei Barcaggio und dann wieder nach Süden bis Saint-Florent, für die man wegen der sich eng windenden Bergstraßen mindestens einen Tag kalkulieren muss, zu beschwerlich ist oder wem der Blick in die Schluchten den Atem raubt, dem sei die „Abkürzung“ empfohlen. Die zwölf Kilometer Luftlinie von der direkten Route von Bastia nach Saint-Florent täuschen einen kurzen Weg nur vor. Mit dem Wagen sind es kurvenreiche 24 Kilometer oder 40 Minuten Fahrtzeit. Sobald man verführt ist, Gas zu geben, weil die Straße zwischendurch ein kurzes Stück ohne Kurven verläuft, ist Vorsicht geboten. Achsgefährdende Bodenschwellen, gekennzeichnet durch Warnschilder, sorgen dafür, dass die Bewohner in der Nachbarschaft nicht von aufheulenden Motordrehzahlen in ihrer Gelassenheit gestört werden.

Die Geduld wird belohnt mit dem malerischen Panorama im kleinen Hafenort Saint-Florent. Am Quai d’Honneur liegen Segelboote und Yachten, die Korsen nennen es ihr Saint-Tropez – mit einer Mischung aus Stolz und Humor, hier legen auch Ausflügler von der Côte d’Azur und aus Ligurien an.

In den Bars und Restaurants mit Blick auf den Hafen fließt der Champagner ebenso wie der lokale Wein, der Vin de Corse, Qualitätswein aus den insgesamt neun Appellationen der Insel, für die strenge Auflagen gelten, die zum Beispiel den Anteil der einzelnen Rebsorten vorschreiben. Korsika ist eines der ältesten Weinbaugebiete der Welt, und die Investitionen der korsischen Winzer in ihre Keller haben die Qualität ihrer Produkte in den vergangenen Jahren merklich gesteigert.

Das gilt auch für die heimischen Köche, so gibt es an der Saint-Florent-Promenade die korsische Fischsuppe „Aziminu“, kräftig-gebunden, in einer edlen Version mit Streifen von Langusten und Hummer. Bei Menüpreisen zwischen 30 und über 85 Euro können verwöhnte Gäste schwelgen: auf heißem Stein gebackener Ziegenkäse, Linguine mit Seespinne, Taubenbrust mit klassischer Polenta sowie der korsischen, schokoladenfarbenen Variante „Pulenda“aus nussartigem Kastanienmehl. Letztere schmeckt auch als Dessert mit Brocciu, dem König des korsischen Käses, einem luftigen Frischkäse aus Schafs- oder Ziegenmilch, der dem Brousse aus der Provence ähnelt, wie am Namen abzulesen ist.

Die Korsen hüten ihr reiches, kulinarisches Erbe. Die Insel kennt 34 Produktfamilien von Käse, Wurst etc., in ganz Frankreich sind es nur 18. Woran das liegt? An der Vielfalt der Landschaft, geprägt vom Meer und der Küste, vom Land und der Ebene, von den Hügeln und den Bergen. Und wie sieht es aus mit der „typisch korsischen“ Eselswurst? Ein einheimischer Spitzenkoch sieht nur Attrappen. Die Korsen, erklärt er, respektierten ihre Esel. In den abgelegenen Regionen seien die Tiere Transport- und Beförderungsmittel. Die würde er nicht essen.

Wohl aber die Schweine, vor allem die halbwild lebenden 30.000 Hausschweine. Aber auch, wer auf die regionalen Produkte der Insel setzt, muss eingestehen, dass nicht alles Schweinefleisch, was hier verzehrt wird, auch von hier stammt, „dafür bräuchte man ein Viertel der Insel als Zuchtgelände“, sagt ein einheimischer Landwirt, „das wäre eine ökologische Katastrophe.“

Die ist eher zu befürchten, wenn im beschaulichen Saint-Florent mit 1600 Bewohnern die Zahl der Menschen in der Hauptsaison im Sommer auf das Zehnfache anschwillt. Ein solches Missverhältnis ist aber nur in wenigen, kleinen Ortschaften anzutreffen.

Die für die Touristik verantwortlichen Korsen wollen zwar ihre Insel natürlich auch gerne im Herbst und Winter vermarkten, „wenn viel Platz für Individualreisende ist“, sagt Stephane Orsoni von der Tourismusagentur Korsikas – allerdings nicht in den klassischen Urlaubshotels an den malerischen Küsten. Die sind ab Mitte November meist geschlossen. Aber in den größeren Orten stehen überall Quartiere zur Verfügung, ein Doppelzimmer auf französischem Drei-Sterne-Niveau für 65 Euro am Tag.

Korsika im November-Ruhezustand wartet auf Gäste, die den auf Eigenständigkeit bedachten Inselbewohnern helfen, den Charme ihrer Insel zu pflegen – und zu genießen.